WTO: Auch Covid-Medikamente sollen Patentschutz verlieren

Mitte Juni kam die Welthandelsorganisation (WTO) überein, den Patentschutz für Covid-Impfungen partiell auszusetzen. Der Entscheid galt als wichtiger Sieg für Generaldirektor Ngozi Okonjo-Iweala, ehemals Chefin der internationalen Impfallianz Gavi. Und er war ein Schlag für Impfhersteller wie Pfizer, Moderna oder Astrazeneca und die ganze Pharmaindustrie. «Bärendienst an den Wissenschaftlern» Thomas Cueni, ehemals Cheflobbyist der Schweizer Pharmaindustrie und nun Direktor der des internationalen Pharmaverbands IFPMA (International Federation of Pharmaceutical Manufacturers and Associations) schrieb von einem «Bärendienst an den Wissenschaftlern», die nichts unversucht gelassen hätten, um möglichst schnell Impfstoffe auf die Markt zu bringen. Jetzt sieht es danach aus, dass es nicht bei diesem einen Tabubruch bleiben wird. Bei der WTO gebe es Überlegungen, auch die Patente für Covid-Tests und -Medikamente auszusetzen, berichtete das US-Branchenportal «Statnews». Ein solcher Schritt würde vor allem Pfizer und MSD mit ihren beiden Corona-Pillen Paxlovid und Molnupiravir treffen. Auch Roche wäre betroffen Doch auch Roche steht im Visier. Der Basler Pharmakonzern hat, Stand März, 1,5 Milliarden Corona-Tests ausgeliefert und damit einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie geleistet. Roche sei enttäuscht über den Entscheid, Ländern die Möglichkeit zu geben, Patente für Covid-Impfostoffe auszusetzen, schreibt das Unternehmen auf Anfrage. Die WTO schaffe damit einen gefährlichen Präzedenzfall für die Zukunft der medizinischen Forschung und Entwicklung – und sie sende damit «ein falsches Signal» mit Blick auf künftige Pandemien. «Waivers» auf Medikamente und Diagnostika seien «unbedingt zu vermeiden». Jede Entscheidung, die Rechte am geistigen Eigentum zu schwächen, werde Investitionen in die Entwicklung von Produkten zur Bekämpfung von Pandemien «im Keim ersticken», warnt das Unternehmen. Patente waren nicht das Problem Der Vorschlag, den Patentschutz aufzuheben, wurde vor zwei Jahren von Südafrika und Indien bei der WTO angebracht. Ihr Argument: Generikahersteller in Entwicklungsländern sollen Impfstoffe produzieren können, ohne Lizenzgebühren an die Originalhersteller in den USA und anderswo bezahlen zu müssen, um Covid besser bekämpfen zu können. Was unsinnig war. Denn das Problem waren damals, in der Anfangsphase der Pandemie, nicht die Lizenzen, sondern die Produktionskapazitäten. Nun ist der Entscheid, den Patentschutz auszuhebeln, noch absurder. Denn inzwischen versinken wir geradezu in Impfstoffen. Rund eine Milliarde Impfstoffe werden inzwischen jeden Monat produziert. Bereits im Februar hatte die Industrie 13 Milliarden Impfdosen ausgeliefert, inzwischen dürften es 16 Milliarden sein – mehr als genug, um 70 Prozent der Erdenbürger und -bürgerinnen zu grundimmunisieren. Doch die Impfstoffe kommen nicht in den Entwicklungsländern an, weil sie von den Industrieländern nicht abgegeben werden. Stattdessen werden sie vernichtet. Impfstoffe werden vernichtet anstatt weitergegeben Dazu kommt: Die Pharmaindustrie hat in der Pandemie ausgesprochen verantwortungsvoll gehandelt und unzählige Partnerschaften geschlossen, um die Impfstoffproduktion hochzufahren. Doch auch hier zeigt sich: Der Bedarf ist gedeckt. Nehmen wir Aspen. Der südafrikanische Hersteller unterzeichnete Ende vergangenen Jahres eine Vereinbarung mit Johnson & Johnson, um dessen Impfstoff in Lizenz herzustellen. Doch bis jetzt hat das Unternehmen keinen Auftrag zur Produktion des Impfstoffes bekommen. Das Serum Institute of India, weltweit grösster Impfstoffhersteller, habe die Produktion von Covid-Impfstoffen im April eingestellt, nachdem sich bei ihm 200 Millionen Impfdosen angesammelt hatten, wie «Statnews» berichtet. Das Problem ist nicht die Versorgung mit Impfstoffen, sondern Vorbehalte gegen das Impfen und logistische Probleme bei der Verteilung. Das allerdings hat die WTO nicht daran gehindert, auch bei den Medikamenten und beim Testing auf eine Erosion des geistigen Eigentums zu setzen. Für die Bekämpfung von Covid wird auch hier nichts abfallen. Denn auch bei den Medikamenten hat die Industrie längst auf freiwilliger Basis dafür gesorgt, dass Nachschub vorhanden ist. Die Corona-Pille von MSD gibt es in 100 Ländern Gilead startete schon im Mai 2020 ein Lizenzprogramm für Remdesivir. Das Medikament war ursprünglich gegen Ebola und Hepatitis entwickelt worden, hatte dann aber auch eine gewisse Wirksamkeit gegen Corona gezeigt. Im Juli 2022 berichtete das Unternehmen, 11 Millionen Menschen in 127 Ländern mit kleinen und mittleren Einkommen hätten dank dem Programm Zugang zu dem Medikament. Hersteller in 100 Ländern fabrizieren die MSD-Corona-Pille Molnupiravir; Paxlovid, das Pendent von Pfizer, kann von 35 Herstellern produziert werden. Patente sind auch hier kein Hindernis. Dafür ist der Schaden umso grösser, wenn sie aufgehoben werden. Die Entwicklung eines neuen Medikaments kostet mittlerweile rund 2 Milliarden Dollar. Damit Unternehmen dieses Geld in die Hand nehmen, braucht es die Zusicherung, ein Medikament in einem bestimmten Zeitraum exklusiv herstellen und vertreiben zu können. Der Patentschutz ist die Garantie für medizinischen Fortschritt. Oder noch einfacher: Ohne Patente keine neuen Medikamente. Mehr zum Thema: Jeder Erdenbürger, jede Erdenbürgerin macht im Schnitt drei Roche-Tests pro Jahr Gute Krebstherapie, böse Impfung