Während in Deutschland über die Leopard-Lieferungen gestritten wurde, fand im ukrainischen Staatsapparat der grösste Umbau seit der russischen Invasion statt. Präsident Wolodymyr Selenskyj will seinen wichtigsten westlichen Partnern und der kriegsmüden ukrainischen Bevölkerung damit zeigen, dass er es mit der Bekämpfung der Korruption und der Bestrafung von Misswirtschaft ernst meint. Das führte zum abrupten Rücktritt von mehr als einem Dutzend Beamter in den vergangenen Tagen nach einer Reihe von Skandalen und Bestechungsvorwürfen.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Selenskyj braucht die weitere Unterstützung des Westens

Der seit langem andauernde Kampf der Ukraine gegen die Korruption hat an Bedeutung gewonnen, da Kiew um sein Überleben kämpft und gleichzeitig einen Antrag auf Beitritt zur Europäischen Union gestellt hat. Durch den Einmarsch Russlands ist das Land mehr denn je auf westliche Unterstützung angewiesen, nicht nur bei der Militärhilfe.

Die internationale Gemeinschaft hat deutlich gemacht, dass sie eine Verbesserung der ukrainischen Regierungsführung wünscht - vor allem als Voraussetzung dafür, dass irgendwann milliardenschwere Wiederaufbauhilfe Richtung Ukraine fliesst. Diese soll nicht in dunklen Kanälen versickern, wie westliche Regierungen Kiew sehr deutlich klar gemacht haben. «Vereinfacht gesagt war eine Warnung nötig, um den Beamten klar zu machen, dass sie sich nicht mehr in einer Weise verhalten können, die in Kriegszeiten inakzeptabel ist», sagt der politische Analyst Wolodymyr Fesenko.

Grösster Umbau im Staatsapparat seit russischem Angriff

Die Serie an Rücktritten und Entlassungen, die am Mittwoch mit dem Ausscheiden von fünf regionalen Staatsanwälten weiter ging, umfasste etwa Beamte, die mit früheren Bestechungsvorwürfen in Verbindung gebracht wurden. Zu den aufsehenerregenden Fällen gehörte der eines stellvertretenden Verteidigungsministers, der nach einem von ihm bestrittenen Bericht zurücktrat, wonach sein Ministerium überhöhte Preise für die Truppenverpflegung gezahlt habe. Auch ein Präsidentenberater, der von den lokalen Medien wegen seiner auffälligen Autos kritisiert worden war, musste seinen Hut nehmen - ebenso wie ein hochrangiger Staatsanwalt, der lokalen Medien zufolge unter Missachtung des Kriegsrechts nach Marbella in Spanien in den Urlaub geflogen war.

«Dies ist gleichzeitig eine Verschärfung des Kampfes gegen die Korruption und eine Reaktion des Präsidenten ... auf kritische Artikel in den Medien», erklärt Analyst Fesenko die neue Linie. Am Dienstag bezeichnete Präsident Selenskyj die Umstrukturierung als «notwendig für unseren Schutz» und als «hilfreich für unsere Annäherung an die europäischen Institutionen».

Nur geringes Vertrauen in ukrainische Gerichte

Dabei geht es auch um die politische Stimmung im Land. Korruptionsskandale würden mit zunehmender Dauer des Krieges den Zorn der Öffentlichkeit immer mehr anheizen und die Forderung nach Rechenschaftspflicht werde lauter, sagt der politische Analyst Petro Burkovskyj. Eine in diesem Monat veröffentlichte Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie ergab, dass nur 25 Prozent der Ukrainer den Gerichten und 21 Prozent den Staatsanwälten vertrauen. Dagegen ist das Vertrauen in Präsident Selenskyj von 27 Prozent im vergangenen Jahr auf nun 84 Prozent gestiegen.

EU registriert Veränderungen

Korruption gilt in der Ukraine seit langem als Problem. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor mehr als 30 Jahren und der Unabhängigkeit konzentrierten sich Reichtum und Ressourcen schnell in relativ wenigen Händen. Oligarchen beeinflussten auch die Politik des Landes. Doch seit die EU Kiew im Juni 2022 den Status eines Beitrittskandidaten verlieh, ist die Bekämpfung der Korruption dringlicher geworden. Die Entfernung korrupter Personen aus Regierung und Justiz war eine der Voraussetzungen für die Aufnahme von Verhandlungen mit der EU.

Die ukrainische Führung wolle mit der Umstrukturierung unter anderem zeigen, dass sie die Bekämpfung von Misswirtschaft als Schlüsselelement der Integration in den Westen betrachte, sagt der Abgeordnete Jaroslaw Jurtschyn, erster stellvertretender Vorsitzender des parlamentarischen Ausschusses für Korruptionsbekämpfung, zu Reuters. «Die Ukraine kann den Krieg gegen Russland nur als Mitglied einer breiten Anti-Putin-Koalition demokratischer Länder gewinnen, die eine klare Forderung nach Null-Toleranz in Bezug auf Korruption haben.»

Ein EU-Sprecher betonte, dass die Beamten in Brüssel «die Tatsache begrüssen, dass die ukrainischen Behörden diese Probleme ernst nehmen». Es seien aber weitere Reformen nötig. So hat die EU etwa die Ernennung eines neuen Direktors für die Leitung des Nationalen Antikorruptionsbüros der Ukraine gefordert. Die 2015 eingerichtete Behörde ist die wichtigste Einrichtung zur Bekämpfung von Korruption. 

(Reuters/nzu)