Russische Energielieferungen: Ein Boykott rückt näher

Diese Woche debattieren die Botschafterinnen und Botschafter der EU-Staaten mit der EU-Kommission über ein sechstes Paket an Sanktionen gegenüber Russland. Entscheidend soll dabei ein Boykott von Öllieferungen sein. Am Montag treffen sich überdies die Energieministerinnen und -minister zu Beratungen über die jüngste Eskalation im Zusammenhang mit Gaslieferungen durch Russland. Dieses hat am vergangenen Mittwoch Polen und Bulgarien den Gashahn zugedreht. Die wichtigsten sieben Punkte zur jüngsten Entwicklung. 1. Warum es zum Lieferstopp nach Polen und Bulgarien gekommen ist Zum Ende der Gaslieferungen ist es gekommen, weil beide Länder sich geweigert haben, das Gas in der russischen Währung Rubel zu bezahlen. Rubelzahlungen hat Russlands Präsident Wladimir Putin schon Ende März zur Bedingung für weitere Lieferungen von Gas und Öl gemacht. Weil sich Polen und Bulgarien geweigert haben, den russischen Forderungen nachzukommen, haben die Russen die Lieferungen eingestellt. 2. Umstrittener Devisentausch bei der Gazprombank Eine Zahlung in Rubel verletzt die Verträge für die Gaslieferungen und würde bedeuten, dass westliche Länder, beziehungsweise ihre Unternehmen, die Rubel gegen Devisen bei der russischen Notenbank kaufen müssten. Dies wiederum würde einem Bruch der beschlossenen Sanktionen gleichkommen. Um den Handel aufrechtzuerhalten, verlangt Russland deshalb für das Gas nicht direkt Rubel. Die Käufer können das Gas weiter über ein Konto bei der Gazprombank in Euro oder Dollar bezahlen. Um aber Putins Bedingung einzuhalten, müssen sie bei der gleichen Bank noch ein zweites, auf Rubel lautendes Konto eröffnen. Die Gazprombank tauscht dann die auf das erste Konto eingezahlten Devisen über die russische Notenbank in Rubel um und schreibt sie diesem zweiten Konto der Käufer gut. Erst darüber werden dann die Gaslieferungen bezahlt – und damit wie verlangt in Rubel. Die Gazprombank mit Sitz in der Schweiz gehört zum russischen Gazprom-Konzern, der das Gas liefert. Um die Gasversorgung aufrechtzuerhalten, wurde die Bank von den Sanktionen des Westens ausgenommen. 3. Keine Einigkeit zur Rechtslage Einige westliche Unternehmen planen laut der britischen «Financial Times», sich auf diesen Deal einzulassen: darunter Unternehmen aus Deutschland, Österreich, Ungarn und der Slowakei. Unter den Unternehmen ragen die zwei grössten Gas-Importeure heraus: Uniper aus Deutschland und OMV aus Österreich. Die italienische Eni hat sich bisher offenbar noch nicht zu einem konkreten Vorgehen entschieden. Ob die Unternehmen damit die Sanktionen des Westens verletzen, ist bisher unklar, da es bisher keine einheitliche rechtliche Einschätzung dazu gibt. Der Sprecher der EU-Kommission, Eric Mamer, erklärte zwar am Freitag, das System mit den zwei Konten verletze die Sanktionen. Doch Mitgliedsländer berufen sich trotz der Aussage des Sprechers auf Richtlinien der EU, die das Vorgehen rechtfertigen würden. Laut «Financial Times» sagte etwa der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck: «Deutschland wird seine Zahlungen in Euro und nicht in Rubel leisten, und dann liegt es an Gazprom, wie es das Geld umrechnet. Wir haben uns mit der EU auf diesen Ansatz geeinigt und werden diesen Weg auch weiterhin gehen.» Der gegenteilige Standpunkt sieht dagegen eine Verletzung der Sanktionen, weil die Devisen bei der Gazprombank im Namen der Käufer bei der russischen Notenbank in Rubel für deren zweites Konto getauscht werden. Devisendeals mit der russischen Notenbank verletzen das Sanktionsregime. 4. Wieso Polen und Bulgarien vorgeprescht sind Die beiden osteuropäischen Länder sind stark abhängig von russischem Gas. Polen bezieht 45 Prozent seines Bedarfs von Putin, Bulgarien sogar 80 Prozent. Dennoch haben sich beide geweigert, die von den Russen verlangten Zahlungsmodalitäten zu akzeptieren. Damit wollen sie ein Zeichen gegen die russische Invasion setzen. Sie dürften aber auch besser mit dem Ende der Lieferungen umgehen können, als es die hohe Abhängigkeit vermuten lässt. Zum einen verfügen sie über sehr hohe Reserven, die im Sommer weniger beansprucht werden. Zum anderen haben beide sich schon seit Jahren auf einen solchen Lieferstopp vorbereitet und bereits im Vorfeld die Lieferverträge mit den Russen auf Ende Jahr gekündigt. Ab Oktober kann Polen überdies Gas über eine neue Pipeline aus Norwegen beziehen. Das Land hat auch seine Infrastruktur für Flüssiggas-Importe ausgebaut. Bulgarien setzt auf eine neue Verbindungsleitung nach Griechenland, um ab Juli Gas aus Aserbaidschan zu beziehen. 5. Warum Deutschland zögert Bei einem Totalausfall von Gaslieferungen muss Deutschland mit einer Stagflation rechnen: Das heisst mit einem Wirtschaftseinbruch begleitet von einer steigenden Arbeitslosigkeit und einer hohen Inflation. Nur über das Ausmass einer solchen Entwicklung streiten sich Ökonominnen und Ökonomen in Deutschland. Die Deutsche Bundesbank etwa geht von einem Wirtschaftseinbruch von rund 5 Prozent aus.Russland, der Krieg und die Sanktionen Putin stoppen: Mit Anti-Mafia-Strategie statt Sanktionen Ersatzteile fehlen wegen Sanktionen: Russland muss Flugzeuge ausschlachten Wladimir Putin löst mit seinem Krieg eine Hungerkrise aus Wiederaufbau der Ukraine wird 600 Milliarden Dollar kosten: Eine Kalkulation Russlands Aussenminister Sergej Lawrow warnt vor Drittem Weltkrieg Da viele Unternehmen, vor allem aus der Chemiebranche, besonders vom Gas abhängig sind, warnen diese besonders intensiv vor einem Gasboykott und den wirtschaftlichen Folgen. Die deutsche Regierung will nicht dafür verantwortlich gemacht werden, eine Wirtschaftskrise bewusst durch eigene Entscheide herbeigeführt zu haben. Gleichzeitig tut die sie alles, um so rasch wie möglich von russischen Lieferungen unabhängig zu werden. Den Anteil des russischen Gases hat sie nach eigenen Angaben bereits von 55 Prozent auf 35 Prozent reduziert. 6. Was beim Öl anders ist Auf Öl aus Russland zu verzichten, ist für die meisten EU-Länder deutlich einfacher als ein Verzicht auf Gas. Öllieferungen lassen sich einfacher durch andere ersetzen und die Herausforderungen für den Öltransport sind kleiner als beim Gas. Ein baldiger Boykott von russischem Öl ist in den letzten Tagen wahrscheinlicher geworden, weil die deutsche Regierung nach anfänglichem Zögern nun erklärt hat, auf diese Öllieferungen demnächst ganz verzichten zu können. Laut Energieminister Habeck wären selbst bei einem sofortigen Öllieferstopp aus Russland zwar höhere Preise und lokale Engpässe die Folge, aber keine Katastrophe. Ein Berater von Kanzler Olaf Scholz hat von «wenigen Monaten» gesprochen, die Deutschland noch brauche, um ganz auf das russische Öl zu verzichten. Einig sind sich die EU-Länder allerdings nicht. Vor allem Ungarn und die Slowakei stellen sich gegen ein Öl-Embargo, da ihnen die Infrastruktur für alternative Lieferungen fehlt. Dem US-Kanal CNN hat Ungarns Aussenminister Péter Szijjártó erklärt, sein Land beziehe 85 Prozent seines Gasverbrauchs und 65 Prozent des Öls aus Russland, auf beides könne es noch die nächsten Jahre nicht verzichten. Präsident Viktor Orbán erklärte sogar, ein solcher Boykott würde Ungarns Wirtschaft killen. In Diskussion sind auch Kompensationen durch anderen EU-Länder oder Zölle statt einem gänzlichen Boykott. 7. Die Folgen für die Schweiz Die Schweiz kauft direkt kein Gas von Russland, indirekt allerdings durch Gasimporte aus Deutschland, dessen Gaslieferungen rund 80 Prozent des Schweizer Gasverbrauchs abdecken. Ein Ende von russischen Gaslieferungen an Deutschland würde die Schweiz daher indirekt spüren, am deutlichsten über steigende Gaspreise. Immerhin ist der Anteil des Gases am Energiemix der Schweiz deutlich geringer als in Deutschland. Schwerwiegendere Folgen für die Schweiz dürfte eine Stagflation in Deutschland als Folge eines Gaslieferstopps haben. Weil der nördliche Nachbar der weitaus wichtigste Handelspartner der stark vom Aussenhandel abhängigen Schweizer Wirtschaft ist, käme es auch hierzulande zu einer deutlichen wirtschaftlichen Abkühlung. Beim Öl würde die Schweiz im Fall eines Boykotts Russlands vor allem durch höhere Preise betroffen. Die EU ist jedenfalls aus eigenem Interesse bestrebt, die Sanktionen so umzusetzen, dass zu hohe Ausschläge des Preises nach oben verhindert werden können.

Russische Energielieferungen: Ein Boykott rückt näher

Die wichtigsten sieben Punkte zum geplanten Energieboykott

1. Warum es zum Lieferstopp nach Polen und Bulgarien gekommen ist