Es ist eine Reise in einen speziellen Kosmos zwischen Gentrifizierung und gewerbsmässiger Vergangenheit: Industrie-Romantik trifft auf Neubauten von Stararchitekten, Studierende von Hochschulen decken sich mit Mittagessen aus einer Kantine ein, wo einst Lastwagenfahrer aus- und eingingen, auf den heute nicht mehr genutzten Güterbahngleisen werden irrwitzige Draisinen-Rennen veranstaltet.
Wo bis vor 15 Jahren noch Vierzigtönner ihre Waren ein- und ausluden, wo Millionenwerte an Spirituosen und Zigarren zollfrei gelagert wurden, steuern heute Kunststudierende, Radiomitarbeiterinnen sowie Museumsbesucher das Areal mit dem Velo oder dem Tram an. Oder sie fahren mit dem Auto zu einer der Karosserie-Werkstätten, zum Bordell oder zu ihren luxuriösen Wohnungen.
Zentrum des neuen Quartiers ist der Freilagerplatz - benannt nach dem ehemaligen abgesperrten Zollfreilager. Im langgezogenen ehemaligen Lagertrakt haben die Studierenden der Hochschule für Gestaltung und Kunst (HGK) der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) heute ihre Werkstätten und Ateliers.
Hochschulen und Museen
Beherrscht wird der Platz vom 2014 eröffneten 40 Meter hohen Zentrumsbau der HGK. Er steht als Leuchtturm in Konkurrenz zum «Haus Helsinki» von Herzog & de Meuron. Die Basler Stararchitekten haben im hohen Sockel des Wohnhauses ein Schaulager für ihre Modelle und Pläne eingerichtet.
Sie waren es auch, die das 2003 eröffnete, nur wenige Hundert Meter entfernte Schaulager der Laurenz-Stiftung entworfen hatten. Das riesige Kunsthaus, das die hochkarätigen Sammlung der Emanuel Hoffmann-Stiftung beherbergt, präsentiert neben Führungen auf Anmeldung regelmässig öffentliche Sonderausstellungen. Bis Mitte November ist eine Licht- und Toninstallation des gefeierten Videokünstlers und oscarprämierten britischen Filmregisseurs Steve McQueen zu erleben.
Es sind viele Tage nötig, wenn man sämtliche Kunsträume auf dem Areal besuchen möchte. Die meisten von ihnen haben sich in ehemaligen Lagerhallen rund um den Freilagerplatz eingerichtet und können durchaus zu den wichtigen überregionalen Institutionen im Bereich der zeitgenössischen Kunst gezählt werden.
2011 öffnete das Haus der Elektronischen Künste (HEK) seine Tore. Es handelt sich um das schweizweit einzige Museum und Kompetenzzentrum für zeitgenössische Kunst mit elektronischen Medien. Gegenwärtig ist bis zum 10. August eine Ausstellung zum Thema «Andere Intelligenzen» zu sehen.
Hindu-Tempel und Bordell
An der Rückseite des HEK hat das Kunsthaus Baselland 2024 in weitläufigen Hallen, in denen einst Champagner gelagert wurden, sein neues Domizil eröffnet. Der von drei auffälligen Lichttürmen gekrönte Bau ist bereits mit einem Architekturpreis ausgezeichnet worden. Bis Mitte August ist eine internationale Gruppenausstellung mit dem Titel «Whispers from Tides and Forests» zu sehen.
Wer sich auf dem Gelände etwas weiter vom Freilagerplatz wegbewegt, stösst auf ein kunterbuntes Gemisch weiterer Institutionen: zum Beispiel auf einen mit unzähligen Götterfiguren geschmückten Hindu-Tempel, auf einen überreich bestückten Materialmarkt und auf ein Bordell, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Ausbildungszentrum des Basler Malermeisterverbands befindet.
Erbe des Kaufmanns Christoph Merian
Treibende Kraft der Arealentwicklung ist die Basler Christoph Merian Stiftung (CMS). Benannt ist die in Basel allgegenwärtige Stiftung nach dem begüterten Basler Kaufmann, Agronomen und Philanthropen Christoph Merian (1800-1858), der das gut 50 Hektar grosse Grundstück 1840 kaufte und für den Ackerbau nutzte.
Die Stiftung, die das Erbe Merians übernommen hatte, verpachtete das Landstück an den Kanton Basel-Stadt, der es zu einem Industrie- und Handelszentrum umwandelte. In jüngerer Vergangenheit sorgten äussere Umstände wiederum für einen Strukturwandel: Die Logistikfirmen zogen weg, das Zollfreilager wurde überflüssig, der Siedlungsdruck durch die Stadt vergrösserte sich.
2008 kaufte die CMS das Baurecht vom Kanton zurück und entwickelte die Idee, das Areal in ein «lebendiges, pulsierendes Universum» zu transformieren, «wo Gewerbe, Detailhandel, Gastronomie, Bildung, Kultur und Wohnen einander ergänzen», wie CMS-Stiftungspräsident Lukas Faesch gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA sagte.
Noch ist die Transformation nicht abgeschlossen. Am nördlichen Ende entsteht ein Neubau der Hochschule Wirtschaftswissenschaften der FHNW und nicht weit davon entfernt ist ein neues Wohnquartier mit bis zu 160 Meter hohen Wohntürmen geplant.
Nur im Süden harzt es noch: Dort sollte ein neuer Campus für die rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten der Universität Basel entstehen. Der Mitträgerkanton Baselland hat das Projekt aber auf Eis gelegt. Die CMS hat für dieses Gebiet aber bereits neue Pläne im Köcher, über deren Details sie sich aber noch nicht äussern will.