Darum betrifft die niederländische Bauern-Demo auch die Schweiz

Sie blockieren Strassen mit Mist, fahren mit Traktoren bei den Behörden vor und verpassen Regierungsgebäuden eine Gülle-Dusche: Niederländische Bauern protestieren seit Wochen. Grund sind die neuen Auflagen der Regierung: Sie will Stickoxide und Ammoniak bis 2030 um 50 Prozent senken. Dafür soll die Viehzucht schrumpfen. Denn durch Dünger gelangt Stickstoff in Form von Nitrat unter anderem ins Grundwasser. Laut Berechnungen des Finanzministeriums müssten darum 11’2000 landwirtschaftliche Betriebe eingestellt werden, wie die niederländische Zeitung «NRC» schreibt. Weitere 17’600 Bauernbetriebe müssten ihren Viehbestand deutlich reduzieren. Gesamthaft gibt es in den Niederlanden rund 53’000 landwirtschaftliche Betriebe. Dabei zählt das Land zu den weltweit grössten Exporteuren von Agrarprodukten. Niederlande erwirtschaften 105 Milliarden Euro mit Fleisch Fleisch ist eine wichtige Säule der niederländischen Wirtschaft. So belief sich das Ausfuhrvolumen 2021 auf rund 105 Milliarden Euro. Die niederländischen Bäuerinnen und Bauern wehren sich mit verschiedenen Protestaktionen. Sie blockieren neben Strassen auch Supermärkte mit Heuballen und Traktoren. Das führt zu langen Staus, von denen auch Sommerferiengäste betroffen sind. Viele Proteste verlaufen friedlich, wie etwa ein Tweet aus der Gemeinde Almelo im Osten des Landes zeigt. «Ein friedlicher Bauernprotest. Er ist dringend nötig, denn ohne Bauern gibt es kein Essen. Das geht mich, dich und jedermann mit gesundem Menschenverstand etwas an», heisst es darin. Doch immer wieder arten die Demonstrationen auch aus. Immer häufiger hängen sich nämlich gewaltbereite Gruppen an die Proteste, wie es vonseiten der Anti-Terrorismusbehörde heisst. So hat die niederländische Polizei Ende Juli nach eigenen Angaben Warnschüsse abgegeben und auch gezielt geschossen, weil ein Traktor auf ein Polizeifahrzeug zugesteuert sei. Die Landwirte bestritten die Darstellung: Die Polizei sei nicht bedroht worden. Stickstoff-Emissionen müssen auch in der Schweiz reduziert werden In der Schweiz sind hohe Stickstoff-Emissionen ebenfalls ein Thema. So sind 95 Prozent der Schweizer Wälder überdüngt, wie Agrarallianz schreibt. Dabei stammt auch hierzulande der Grossteil des Stickstoffs aus der Landwirtschaft: 70 Prozent werden von Bauernbetrieben ausgestossen. Der Bundesrat will die Emissionen bis 2025 um mindestens 10 Prozent und bis 2030 um 20 Prozent im Vergleich zu 2016 senken. Dafür haben Bund und Kantone Hunderte Millionen Steuergelder in technische Massnahmen zur Behebung und Vermeidung von Umweltschäden aus den hohen Tierbeständen investiert. Werden die Ziele nicht erreicht, will der Bundesrat ab 2025 aber auf dem Verordnungsweg zusätzliche Massnahmen ergreifen. Abbau von hohen Tierbeständen könnte auch hierzulande nötig sein Agrarallianz begrüsst die politischen Bemühungen. Sie gehen ihr aber noch nicht genug weit. Darum fordert Agrarallianz die Einführung einer verbindlichen nationalen Reduktionsstrategie für Stickstoffemissionen aus der Landwirtschaft. Wo die technischen Massnahmen nicht ausreichend sind, sei zudem der Abbau der zu hohen Tierbestände zu prüfen. «Das wäre der schnellste, aber radikalste Weg, um Stickstoff-Emissionen der Schweizer Landwirtschaft zu reduzieren», sagt Agrarallianz-Geschäftsführer Hansjürg Jäger. Wann diese Forderung nötig werde, könne Agrarallianz aber noch nicht abschätzen. Betriebe, die Tiere halten, sind in diesem Fall immer die Verlierer. Schliesslich macht die Tierhaltung hierzulande die Hälfte der Wertschöpfung aus. «Müssten Tierbestände reduziert werden, ist klar, dass die Betriebe finanzielle Unterstützung erhalten müssen», so Jäger. Wie hoch diese genau ausfallen müssten, sei aber noch unklar. Eine Möglichkeit wäre die Umstiegs-Prämie. Schweinebauern in den 1970er Jahren haben eine solche erhalten, als es in der Schweiz zu viele Schweine gab. Um Stickstoff zu reduzieren, gibts weniger Kraftfutter Dass Bauernbetriebe weniger Tiere halten, sei isoliert betrachtet eine unvollständige Lösung. Denn gibt es weniger Nutztiere in der Schweiz, kann auch weniger Schweizer Fleisch hergestellt werden. Verändert sich der Konsum nicht, muss dann mehr Fleisch importiert werden. «Das ist keine Lösung im Sinn der Branche», sagt Jäger. Darum fördert Agrarallianz zurzeit vor allem die Umstellung der Fütterung. So soll etwa in der Rindviehhaltung so weit wie möglich auf Kraftfutter verzichtet werden. Unter anderem entsteht nämlich bereits bei der Herstellung von Kraftfutter viel Stickstoff, weil beim Anbau der benötigten Pflanzen grosse Mengen Dünger zum Einsatz kommen. Bei Hühnern und Schweinen soll der Fokus auf die Verfütterung von Nebenprodukten aus der Lebensmittelindustrie und der Landwirtschaft gelegt werden. «Und beim Konsum gilt es, weniger, dafür nachhaltiger hergestelltes Fleisch zu essen», so Jäger. Das alles leiste einen Beitrag zur Schliessung der Nährstoffkreisläufe und zur Reduktion der Stickstoff-Emissionen. «Schweiz hat generell nicht zu viele Nutztiere» Anders sieht das Ganze der Bauernverband: Eine Reduktion des Tierbestandes sei allgemein keine Frage in der Schweiz. «Wir haben hierzulande generell nicht zu viele Tiere oder zu viele Hofdünger», sagt Verbandspräsident Markus Ritter. Das zeige sich schon daran, dass die Schweiz für die Versorgung der Kulturen auf zusätzlichen Mineraldünger angewiesen sei. Daher dränge sich kein Abbau des Viehbestands auf. «Auch deshalb nicht, weil wir ja auch keine Überversorgung mit tierischen Lebensmitteln haben», so Ritter. Man müsse bei allen tierischen Lebensmitteln, ausser Milch, importieren, um den Bedarf der Schweizer Bevölkerung zu decken. Weniger Inlandproduktion bedeute nur mehr Importe und eine weitere Verlagerung des ökologischen Fussabdrucks ins Ausland.