«An Awesome Wave» von Alt-J

Wenn es stimmt, dass am Ende das Leben wie ein Film vorbeizieht, dann wünsche ich mir dieses Album als Soundtrack dazu. Die fröhlichen Töne mit den schweren Texten erschaffen eine Dissonanz, in der sich die Höhen und Tiefen des Menschseins wiederfinden. Die Texte der Band Alt-J oder ∆ («alt + J» sind das Tastaturkürzel für Delta) zeichnen sich durch eine bildgewaltige Sprache voller Metaphern aus. Entdeckt habe ich sie über Umwege, an einer Ausstellung zur Fotojournalistin Gerda Taro, der ersten weiblichen Kriegsfotografin. Für ihre Arbeit im Spanischen Bürgerkrieg liess sie 1937 ihr Leben. Ihre Geschichte packte mich. Beim Nachlesen bin ich auf das Lied «Taro» gestossen. Es handelt von ihr und ihrem Partner Endre Friedmann (alias Robert Capa) und davon, wie sie beide an unterschiedlichen Fronten starben. Noch heute treibt mir die Zeile «Doors open like arms, my love» Tränen in die Augen.
Olivia Ruffiner, Redaktorin

«The Wall» von Pink Floyd

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

«Another Brick in the Wall»: Dieser Song von Pink Floyd – beziehungsweise das ganze Album «The Wall» – zählt zu den Werken, die mir aus meiner Jugend besonders in Erinnerung bleiben. Meine Eltern schenkten es mir, als ich 16 Jahre alt war, auf meinen Wunsch hin zu Weihnachten. Das war insofern ironisch, als alles, was aus meiner Sicht das Album und besonders dieser Song auszusagen schienen, gegen die Welt meiner Eltern gerichtet war. «Wir brauchen keine Erziehung», «wir brauchen keine Gedankenkontrolle», «Lehrer, lasst die Kinder in Ruhe!» – diese im Original englischen Zeilen standen für mich für die Jugendrebellion der aufkommenden 1980er-Jahre, der ich mich zugehörig fühlte. Höre ich heute diese Musik, überkommen mich warme Erinnerungen an diese Zeit und an die leichtfüssige und verbindende Naivität meiner einstigen Weltsicht. Die Musik gefällt mir auch heute noch.
Markus Diem Meier, Chefredaktor

«Staring at the Sea» von The Cure

«Früher verbrachte ich viel Zeit bei meinem Grossvater in Wettingen AG. Und damals gab es dort noch ein stark sortiertes Plattengeschäft, wo man das Vinyl ungestört auf edlen Plattenspielern von Thorens probehören konnte. Eines Tages starrte mich dann dieser Mann an, mit seinem gefurchten Gesicht und den warmen Augen. Ich legte die Platte auf – und war hin und weg. Dieser Sound, diese Stimme, diese Düsternis, diese Poesie. Schlagartig änderte sich alles, was ich bislang an Musik geschätzt hatte. Fertig mit den allsonntäglich mitgeschnittenen Hitparaden-Tapes. The Cure hat mir eine musikalische Welt eröffnet, die ich nicht kannte. Und die Band hat mir den Weg bereitet für eine Klangreise, die mich immer weiter weg von dem führte, was meine Eltern, grosse Fans von Dieter Thomas Heck, als zumutbar ansahen. Der kleine, angepasste Bub fand dank einem unbekannten Mann auf einem Plattencover zur Eigenständigkeit. Erst musikalisch, dann persönlich.
Marcel Speiser, stellvertretender Chefredaktor

«Millennium» von den Backstreet Boys

Als ich sagte, dass mein Album «Millennium» von den Backstreet Boys sei, erntete ich nur ein kollektives Augenrollen. Nun, was soll ich tun? Ich wählte die Musik, die in der Zeit meiner Jugend lief, nicht aus. Aber Hand aufs Herz: Die Backstreet Boys waren damals cool, und sie sind es noch immer. Die Herren haben meine Freundinnen und mich durch so manche Jugendschwärmerei («As Long as You Love Me») und etlichen Liebeskummer («I Want it that Way») getragen. Mittlerweile zieren zwar nicht mehr «Bravo»-Poster meine Wände, aber ein bisschen schmachte ich dem Sänger Nick Carter noch immer nach. Als er heiratete, zerbrach die letzte kleine Hoffnung in mir, leise summte mein kleines Ich «Show Me the Meaning of Being Lonely». Aber hey: Zum Glück heiraten aktuell viele Jugendfreundinnen, und an keiner Hochzeit fehlen die Backstreet Boys.
Tina Fischer, Ressortleiterin

«Gmües» von Patent Ochsner

Wie ich zu Patent Ochsner fand, weiss ich nicht mehr. Klar ist nur: Das Album «Gmües» von 1994 war bei mir anfangs eine Kassette, von einer ausgeliehenen CD «gezogen». Und sie lief im Walkman heiss. Noch heute kommen Erinnerungen aus dieser Zeit hoch, wenn ich das Album auf Spotify anwähle. Etwa an eine Schulreise zu den Schlössern an der Loire (und den langen Busfahrten dazwischen). Grosse Hits wie «Bälpmoos» oder «W. Nuss vo Bümplitz» fehlen auf «Gmües». Doch als Gesamtwerk funktioniert das melancholische Album mit seinen kryptischen Texten, über die wir stundenlang rätseln konnten – und dank denen eine ganze Generation Baslerinnen und Basler Berndeutsch lernte. Patent Ochsner wurde zum Soundtrack meiner Jugend und begleitet mich seither. Nur eines vermisse ich seltsamerweise, wenn ich heute mal wieder «Gmües» höre: den einen oder anderen Fehlklang der ausgeleierten Kassette.
Michael Heim, Ressortleiter

«Songs in the Key of Life» von Stevie Wonder

Man schrieb das Jahr 1979, und ich war ein 14-jähriger Geuggel aus dem Züri-Unterland. Mein musikalisches Weltbild war von der Radiohitparade geprägt – Sound-Commodity. Doch dann führte mich der Kumpel eines Kumpels in eine Musikerkommune ein, wo nicht die «Bestseller auf dem Plattenteller» liefen. Sondern jener Hot Shit, den es im Staatsradio nicht gab. Zum Beispiel den frühen Stevie Wonder. Der US-Sänger, Songschreiber und Multiinstrumentalist brachte mein Leben auf eine neue Tonspur. Wonders Wunderdoppelalbum «Songs in the Key of Life» lief auf Heavy Rotation. Jedes Stück, egal ob Soul-Ballade oder Funk-Kracher, war ein Gewinner. Eine Platte für alle Ewigkeiten, gekrönt vom triumphalen Song «I Wish», den ich auf Spotify bis heute regelmässig abrufe. Für «Songs in the Key of Life» gewann Stevie Wonder vier Grammys. Mich gewann er damit für die Black Music, für Motown, für Rhythm and Blues, für die Wunderwelt des Great American Songbook. Thank you, Stevie!
Andreas Güntert, Redaktor

«The Israelites» von Desmond Dekker

Zum ersten Mal hörte ich den Song «Israelites» mit 16 Jahren im Kino, im Film «Drugstore Cowboy». Ich verliebte mich sofort in den Sound und Rhythmus. Diese Art von 60er-Jahre-Musik war komplett neu für mich. Obwohl ich nicht den ganzen Text verstand, spürte ich, dass das Lied eine starke Botschaft hatte. Tags darauf erzählte ich davon einem Graffitikünstler, der ein Musikkenner war. Ich kannte den Namen des Liedes nicht, also beschrieb ich es und sang ein paar Zeilen, an die ich mich erinnern konnte. Er lachte, sagte «Willkommen!» und gab mir am nächsten Tag eine Kassette von Desmond Dekkers Album. Ich fühlte mich angesprochen von den Lyrics, die Rassismus und die Schwierigkeiten der britischen Arbeiterklasse anprangerten, von der Stimme des Sängers, von der Musik an sich und von diesem so spezifischen Beat. Von da an war ich im Bann von Ska und Rocksteady.
Julie Body, Creative Director

«Equinoxe» von Jean Michel Jarre

Die LP des französischen Elektropioniers aus dem Jahr 1978 hat mich mit am meisten geprägt, obwohl ich sie nie selbst besessen habe, zumindest nicht als physischen Tonträger. Denn in meiner Kindheit gab es bei uns zu Hause nur die  Plattensammlung mit klassischer Musik meines Vaters. Ich bin daher mit Bach, Beethoven, Vivaldi und Mozart aufgewachsen. Bei meinem Cousin hörte ich dann einmal auf seiner Stereoanlage «Équinoxe» – und war wie vom Blitz getroffen. Die sphärischen Synthesizerklänge, unterlegt zuweilen mit einem knackigen Beat, schienen mir wie aus einer anderen Welt zu stammen. Die Stücke fliessen nahtlos ineinander über, klassische «Lieder» gibt es nicht. Jarre hat seine Stücke schlicht durchnummeriert, von «Équinoxe Part 1» bis «Équinoxe Part 8». Vermutlich ist diese Platte ein Grund, weshalb ich bis heute ein grosser Freund elektronischer Musik bin – und auch Jarres Musik weiter gerne höre.
Holger Alich, stellvertretender Chefredaktor

«American Idiot» von Green Day

Als ich klein war, durften wir kein Radio hören. Pop und Rock waren off limits. Erlaubt waren geistliche Gesänge und Orchestermusik. Vielleicht ist es nicht verwunderlich, dass mir der Stadion-Rock von Green Day später dann so richtig eingefahren ist. Laut, überproduziert und sogar noch ein bisschen rebellisch. «American Idiot» gab mir die Liebe fürs Album als Kunstform. Die Geschichte von Jimmy, dem «Jesus of Suburbia», ist der rote Faden, der sich durch die gesamten 57 Minuten zieht. Die einzelnen Songs – allesamt heute noch totale Banger – verschmelzen ineinander und nehmen uns auf eine kleine musikalische Reise mit, wie sie eben nur ein gutes Konzeptalbum schaffen kann. Das Cover ist ikonisch, der Sound ist frech, und die Lyrics sind prallvoll von Wortspielen und evokativen Sprachbildern. Den Toptrack «Holiday» – eigentlich ein Protestsong gegen die Bush-Regierung – gebe ich noch heute an fast jedem Karaokeabend zum Besten. Geistliche Gesänge hingegen eher selten.
Raphael Knecht, Produzent