Investitionen von Saudi-Arabien: Ein neuer Player steigt ins Game des E-Sports ein

Als alles vorbei ist, springt Johan Sundstein von seinem Stuhl auf und fasst sich mit beiden Händen an den Hinterkopf. Er wirkt in diesem Moment völlig überfordert von dem, was er mit seinen Kollegen gerade erreicht hat. Der damals 25-jährige Däne hat mit dem Team OG gerade The International 2019 gewonnen, das wohl prestigeträchtigste Turnier der professionellen Gamerszene. Die Titelverteidigung an der Weltmeisterschaft des Echtzeit-Strategiespiels «Dota 2» machte N0tail, wie sich Sundstein als Gamer nennt, noch reicher, als er es zuvor schon war. Für den Sieg strich er 3,1 Millionen Dollar ein. Mit einem Karriere-Preisgeld von 7,18 Millionen Dollar ist der inzwischen zurückgetretene Sundstein der erfolgreichste E-Sportler der Welt. Preisgelder im zweistelligen Millionenbereich E-Sportler sind die Speerspitze der Video- und Computerspiel-Community. Wie im klassischen Sport unterteilen sich die Videospieler in Amateure, die in ihrer Freizeit zocken, und in Profis, eben die sogenannten E-Sportler. Letztere bestreiten als Einzelkämpfer oder im Team professionell organisierte Wettbewerbe. Für die beliebtesten E-Sport-Spiele existieren verschiedene Ligen, die am Ende oft in einem Finalturnier kulminieren. Bei den hoch angesehenen Turnieren geht es dann um hohe Geldsummen. An der Ausgabe von The International im Jahr 2021 gab es ein Preisgeld von über 40 Millionen Dollar. Das zeigt: E-Sport ist zu einer richtigen Industrie geworden – mit riesigem Wachstumspotenzial. 2021 knackte die Branche erstmals die Umsatzschwelle von 1 Milliarde Dollar. Für 2029 wird ein globaler Umsatz von 5,5 Milliarden Dollar prognostiziert. Erste Organisation hat Einhorn-Status erreicht Die Branche ist stark vom Sponsoring durch Unternehmen abhängig. Die Sponsorengelder machen rund 60 Prozent des Gesamtumsatzes im E-Sport aus. Dagegen spielen Medienrechte, Ticketverkäufe oder Gebühren von Game-Herstellern eine untergeordnete Rolle. Als Sponsoren sind viele Firmen aktiv, die selbst in der Gaming-Industrie oder in verwandten Branchen tätig sind. Beispiele dafür sind Intel und Logitech. Es sind aber auch branchenfremde Firmen in den E-Sport eingestiegen. Konzerne wie Mercedes-Benz oder der Energydrink-Hersteller Monster sind als Sponsoren nicht mehr wegzudenken. Die Firmen treten als Werbeträger von Turnieren, Ligen oder Organisationen auf. Letztere sind das E-Sport-Äquivalent zu den Sportvereinen. Die grossen Organisationen führen mehrere Teams, die jeweils auf ein Videospiel spezialisiert sind. Sie sind bereits selbst Unternehmen mit Marktwerten im dreistelligen Millionenbereich – oder gar darüber. Beim Börsengang im Sommer 2022 war die Organisation FaZe Clan eine Milliarde Dollar wert, was sie zum ersten E-Sport-Einhorn der Geschichte machte. Die Organisationen sind einem Trend ausgesetzt, der in zunehmendem Masse auch im Fussball, dem König des Sports, Einzug gehalten hat. Investmentgesellschaften und Superreiche haben Fussballclubs als Anlagevehikel und Prestigeobjekt für sich entdeckt. Das trifft auf E-Sport-Organisationen ebenfalls zu. So sind etwa der US-Rapper Drake und der Star-DJ Steve Aoki Miteigentümer von Organisationen. Letztes Jahr kaufte die Metaverse-Firma Infinite Reality das E-Sport-Unternehmen ReKT Global. Kaufpreis: 470 Millionen Dollar. Saudi-Arabien hat sich ambitionierte E-Sport-Ziele gesetzt Zu einem riesigen Player möchte nun Saudi-Arabien aufsteigen. So ist der Wüstenstaat für den grössten Deal 2022 verantwortlich. Die Savvy Games Group, ein Tochterunternehmen des saudischen Staatsfonds, erwarb für 1,5 Milliarden Dollar die beiden Turnier- und Liga-Veranstalter ESL und Faceit. Im September 2022 kündigte der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman die Nationale Glücksspiel- und E-Sports-Strategie (NGES) an. Diese umfasst einen Zehn-Jahres-Investitionsplan, um die gesamte Gaming- und E-Sports-Wertschöpfungskette zu entwickeln. Die Ankündigung war eine Botschaft an alle Gamer in der Region und auf der ganzen Welt. Sie heisst: Seht her, Saudi-Arabien hat das Potenzial von E-Sport erkannt. Wie die Saudis im Gaming mitspielen Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman ist begeisterter Videospieler. Sein Lieblings-Game ist angeblich der Ego-Shooter «Call of Duty». Über den Staatsfonds pumpt der Monarch bis zu 38 Milliarden Petrodollar in den Aufbau einer lokalen Gaming-Industrie. Sein ehrgeiziges Ziel: Bis 2030 soll Saudi-Arabien zur «ultimativen globalen Drehscheibe für den Spiele- und E-Sport-Sektor» werden. Die gigantische Investition hat disruptive Folgen für die Branche. Mehr dazu lesen Sie hier. Zu den ambitionierten Zielen gehört, dass Saudi-Arabien beim prozentualen Anzahl der E-Sportler in der Bevölkerung zu den drei führenden Ländern weltweit gehören möchte. Zudem haben die Saudis vor, in Zukunft den grössten E-Sport-Event der Welt, gemessen an der Gesamtzuschauerzahl, zu veranstalten. Noch liegt der Wüstenstaat deutlich hinter führenden Nationen wie Südkorea, den USA und China zurück. Ganz von vorne muss Saudi-Arabien aber nicht beginnen. So hat das Land Gamers Without Borders gegründet, die weltweit grösste Wohltätigkeitsveranstaltung im E-Sport. Zudem haben die Saudis das ehrgeizige Projekt Gamers8 organisiert, das weltweit grösste Gaming- und E-Sport-Festival nach Grösse und Dauer. Mit der E-Sport-Strategie will Saudi-Arabien seine Investitionen diversifizieren, um sich weiter von der Abhängigkeit von Öl zu lösen. Gleichzeitig hat der Wüstenstaat auch den E-Sport als Möglichkeit entdeckt, um sein Image aufzubessern – wie er dies im Fussball tut. 2021 kaufte der Staatsfonds etwa den englischen Club Newcastle United. Und Fussballstar Cristiano Ronaldo spielt aktuell in der saudischen Liga. Durchschnittlicher E-Sport-Fan ist 26-jährig Was generell für die Investoren und Sponsoren gilt: Ihr Interesse am E-Sport fusst auf dem grossen Wachstumspotenzial der Branche. Befeuert wird dieses durch die riesige Fangemeinde weltweit. Diese wird für 2022 auf rund 532 Millionen Menschen geschätzt – mit einem Wachstum von rund 10 Prozent pro Jahr. Was die E-Sport-Enthusiasten für Unternehmen ebenfalls interessant macht: Sie sind jung, der durchschnittliche Fan ist erst 26 Jahre alt. E-Sport ist für Sponsoren eine Plattform, um junge Menschen zu erreichen, die sich zunehmend von klassischen Medien abwenden. Schweizer Firmen halten sich noch zurück Auch hierzulande wird das professionelle Gaming immer beliebter, wenn auch mit der klassischen Schweizer Zurückhaltung. Laut einer Studie der ZHAW von 2021 erkannten damals 41 Prozent der Schweizer Bevölkerung E-Sport als Sport an. Zwei Jahre zuvor waren es noch knapp 28 Prozent gewesen. Damit hinkt die hiesige Akzeptanz jener in den grossen E-Sport-Nationen wie Südkorea, China, den USA und den skandinavischen Ländern hinterher. Entsprechend sind noch nicht jede Menge Schweizer Unternehmen auf den E-Sport-Zug aufgesprungen. «Viele hiesige Firmen lassen noch die Finger von Investitionen in den E-Sport, weil sie um ihr Image besorgt sind – zu Unrecht», sagt Marcel Hüttermann, der die ZHAW-Studie verfasst hat. Es gibt neben Logitech jedoch durchaus andere Schweizer Unternehmen, die das Potenzial für sich erkannt haben. Der Touring Club Schweiz hat bereits 2018 eine Liga für das Game «Rocket League» gegründet. Auch Swisscom betreibt mit der Swisscom Hero League eine eigene Liga in der Schweiz. Dass E-Sport in Zukunft Teil der Schweizer Sportkultur ist, davon ist Hüttermann überzeugt: «Es ist nur eine Frage der Zeit. Schliesslich werden künftig bei den Unternehmen immer mehr Menschen das Sagen haben, die mit dem Gamen aufgewachsen sind.»