Der Start ins Prestigeamt, Bankratspräsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), war von Friktionen begleitet. Jean Studer (54) erlebte seine Wahl durch den Bundesrat im Spital, nachdem er in den Ferien einen Wadenbeinbruch erlitten hatte. Doch so schnell lässt sich der Noch-Regierungsrat aus Neuenburg nicht beirren. Immerhin lassen Beschreibungen von Bekannten («Bulldozer», «Dampfwalze», «Dauphin», «Roi Soleil») auf eine robuste Statur schliessen. Studer, 1,95 Meter gross und meist mit Zweitagebart, Krawatte und offenem oberstem Hemdknopf unterwegs, ist eine dominante Erscheinung. Dass der Machtbewusste mit den Dossiers Finanzen, Sicherheit und Justiz der starke Mann in der strukturschwachen République de Neuchâtel ist, bezweifeln nicht einmal seine Gegner.

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Nun warten grosse Herausforderungen auf den Romand. Als SNB-Bankratspräsident muss er beweisen, dass er den disparaten VR einen und führen kann. Im Neuenburger Regierungsrat, einem chronisch dysfunktionalen Gremium, ist ihm das nie gelungen. Gleichzeitig muss er die Glaubwürdigkeit der SNB wiederherstellen, nachdem der Bankrat in der Hildebrand-Affäre oft überfordert gewirkt hat. Zur Hand geht ihm dabei ein weiterer Romand: Olivier Steimer, VR-Präsident der Waadtländer Kantonalbank, seit neustem Vize im SNB-Bankrat.

Die Freunde

Sein SNB-Mandat hat Jean Studer Hans-Rudolf Merz zu verdanken. Sie lernten sich im Ständerat kennen. Als Finanzminister lotste Merz Studer 2007 in den Bankrat und machte ihn ein Jahr später gar zum Vize. Aus seiner Ständeratszeit ist er mit der SP-Magistratin Simonetta Sommaruga befreundet. Studer gilt als umgänglich sowie verlässlich und hat sich über die Parteigrenzen Goodwill geschaffen. Zu seinen engen Gesprächspartnern gehörten Bruno Frick (CVP), Rolf Schweiger (FDP), Hansruedi Stadler (CVP), Carlo Schmid(CVP) und Hannes Germann (SVP). Aus dem Parlament kennt er auch Gerold Bührer, heute Präsident von Economiesuisse und – wie Studer – von Merz in den SNB-Bankrat berufen.

Als Neuenburger Finanzminister ist Studer auf Armlänge mit den Firmen der Region. Mit Uhrenpatron Nicolas Hayeksoll er sich bestens verstanden haben. Ein alter Bekannter ist der Neuenburger SP-Ständerat Didier Berberat. Gemeinsam haben sie eine Motion eingereicht, die eine stärkere Präsenz der lateinischen Schweiz in der Bundesverwaltung forderte. Ein alter Bekannter ist Didier Burkhalter. Als Grossräte unterzogen sie einst die Neuenburger Kantonsverfassung einer Revision. Studer war Präsident der Kommission, Burkhalter sein Vize. Nun aber hat sich die Freundschaft abgekühlt, weil Studer drohte, bei einer Abwahl von Burkhalter als Bundesrat hätte er allenfalls Ambitionen auf den welschen Sitz. Zu seinem Freundeskreis gehört auch die ehemalige Neuenburger Stadträtin Valérie Garbani,die nach Alkoholproblemen zurücktrat.

Die Familie

Studers Familie stammt ursprünglich aus Trimbach SO. Sein Vater holte sich seine Ausbildung in der Bauindustrie in Frankreich, wo er anschliessend eine kleine Baufirma leitete. In Paris wurde Jean als jüngstes von drei Kindern geboren. Anschliessend zog die Familie nach Neuenburg, wo er mit seinem drei Jahre älteren Bruder Pierre und der zehn Jahre älteren Schwester Michelle aufwuchs. Pierre gründete und leitet das Architekturbüro Pierre Studer SA in La Chaux-de-Fonds. Michelle ist pensioniert.

Studer ist seit 2008 in zweiter Ehe mit der Walliserin Marie-Catherine Blatter verheiratet. Die Juristin ist Untersuchungsbeamtin bei der Spielbankenkommission im Justizdepartement von Simonetta Sommaruga. Aus erster Ehe hat Studer zwei Töchter, aus zweiter Ehe eine Tochter.

Die Karriere

Der Bankratspräsident hat in Neuenburg das Gymnasium und das Jus-Studium absolviert. Sein Drang nach Unabhängigkeit war gross. Bereits mit 24 Jahren gründete er mit zwei Kommilitonen eine Anwaltskanzlei.

Als Anwalt schaffte er 1999 den Sprung in den Ständerat, wo er bis zu seiner 2005 erfolgten Wahl in den Neuenburger Regierungsrat blieb. Mehrmals hatte Studer Interesse an einer Bundesratskandidatur angemeldet, doch gefragt war dann entweder eine Frau (Micheline Calmy-Rey) oder ein Nicht-Neuenburger (Alain Berset).

Um die Unabhängigkeit der schweizerischen Notenbank zu stärken, wird Jean Studer seinen Regierungsratssitz so bald wie möglich aufgeben. Anfänglich will er das mit 140 000 Franken dotierte Bankratspräsidium vollamtlich wahrnehmen, später auf die bis anhin üblichen 40 Prozent reduzieren. Dabei nimmt er einen deutlichen Lohnschnitt in Kauf. Als Regierungsrat verdient er 240 000 Franken.

Die Gegner

Wer sich Studer in den Weg stellt, hat selten etwas zu lachen. Die lautesten Kräche ficht er mit den linken SP-Kollegen und der rot-grünen Mehrheit im Neuenburger Parlament aus. Seit Jahren verbindet ihn eine herzhafte Feindschaft mit SP-Regierungsrätin Gisèle Ory. Sagt Studer Ja, sagt Ory Nein. Studer will sparen und die Staatskasse ins Lot bringen, Ory, ehemalige Sprecherin von Ruth Dreifuss, ist fürs Gesundheitswesen zuständig und agiert auf dem Antikapitalismus-Ticket. Handfesten Streit gab es auch in der Affäre um FDP-Regierungsratskollege Frédéric Hainard. Ory hielt zu Hainard, während Studer Hainard unter Druck setzte. Studer siegte. Der 34-jährige Hainard, der sich als aufsteigender Stern des Freisinns wähnte, musste nach unappetitlichen Vorwürfen (Vetternwirtschaft, Amtsmissbrauch) 2010 das Feld räumen.

Ein Feindbild ist Studer bei den Neuenburger Linken, seit er die Unternehmenssteuern massiv gesenkt hat. Seine für die Romandie revolutionäre Steuerreform wurde 2011 an der Urne mit grossem Mehr gutgeheissen. Als Nächstes wollte er die Steuern von natürlichen Personen ins Visier nehmen.

Der Bankrat

Im Aufsichtsgremium der Nationalbank hat Studer in fünf Jahren dem Vernehmen nach keine dicken Stricke zerrissen. Als Vize hinter Präsident Hansueli Raggenbass habe er keine Akzente gesetzt, und als Promotor von Corporate Governance, einer Disziplin, in der die Nationalbank schwächelt, sei er auch nie in Erscheinung getreten. Aufgestossen ist die Wahl des SP-Mannes einzelnen FDP-Exponenten wie Ruedi Noser und Philipp Müller, die seinen sofortigen Rücktritt als Regierungsrat forderten. Sie befürchten eine sozialdemokratische Einflussnahme auf die Geldpolitik und einen Interessenkonflikt zwischen SNB und Kantonen. Diese Gefahr ist unbegründet: Studer tritt als Regierungsrat vorzeitig zurück, und für die Geldpolitik ist das SNB-Direktorium unter Thomas Jordan zuständig. Der Beirat hat sich nicht einzumischen. Ohnehin verfügt Studer über keine vertiefte Geldmarktexpertise, um dem Direktorium Paroli zu bieten.