Musikveranstalter André Béchir spricht über die Rolling Stones und den Festivalsommer

Sie werden die Rolling Stones im Juni für ein Konzert nach Bern holen. Schliesst sich für Sie damit ein Kreis? Ja. Ich habe mit dem in Bern anstehenden Event 15 der 16 Schweizer Stones-Konzerte organisiert. Die Stones werden am 17. Juni im Wankdorf Bern auftreten – vis-à-vis von der Festhalle, wo sie 1973 bereits spielten. Es wird wohl auch das letzte Mal sein, dass sie in der Schweiz auftreten. Mick Jagger wird nächstes Jahr achtzig Jahre alt. Dass kann auch ein Jagger nicht verheimlichen, die Gesundheit ist das A und O. Und einer aus der Originalband fehlt bereits: Schlagzeuger Charlie Watts. Der Doyen der Eventbranche André Béchir ist der vermutlich bekannteste Eventorganisator der Schweiz – in den letzten fünfzig Jahren holte der Zürcher unzählige Musik- und Entertainment-Stars für Auftritte ins Land. Angelpunkt von Béchirs Karriere war die Konzertagentur Good News, die der 73-Jährige ab den 1970er Jahren zur wichtigsten Eventagentur der Schweiz aufbaute. Nach der Trennung von seinem Lebenswerk gründete er die Firma ABC Production, die heutige Gadget ABC Entertainment Group. Aktuell ist Béchir noch als Senior Advisor für Gadget tätig. Die Stones sind ja auch nicht gerade für einen gesunden Lebenswandel bekannt … Jagger ist fit wie ein Turnschuh. Das ist ja das Erstaunliche. Dabei haben sie in ihrer Jugend alles probiert. Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll gehörten in den wilden Jahren dazu. Ich hatte alle Episoden miterlebt. Man realisierte damals nicht, was für Gefahren in den Drogen stecken. Aber die Stones fanden den Turning Point. Sie merkten selber, dass sie an ihrem Lebensstil etwas ändern mussten. Sogar mit dem Rauchen hörten sie vor Jahren fast auf. Und sie haben heute immer noch Spass und Freude an der Musik. Das merkte man schon 2017, als die zum letzten Mal in Zürich gastierten, ein super Konzert. Wer bleibt noch länger im Geschäft – Sie oder Mick Jagger? Das ist eine schwierige Frage. Wir werden vermutlich zur gleichen Zeit aufhören. Sie sind aber erst 73 Jahre alt – Mick Jagger wird nächstes Jahr 80 … Ich habe schon mehrmals gesagt, dass ich aufhöre. Zum ersten Mal 2012 – und dann reizte es mich doch immer wieder. Der nächste Entscheid wird definitiv sein, ich bin ja schon jetzt nur noch vereinzelt operativ tätig, konzentriere mich auf meine Rolle als Senior Advisor. Sie kennen das Musikgeschäft in der Schweiz wie kaum ein anderer: Sagen Sie uns bitte, wie der Festivalsommer 2022 wird. Es ist klar: Der Festivalsommer ist überfüllt. Und zu viel von etwas ist nie gut. Da hat sich Volumen aufgestaut. An manchen Abenden werden wir in der Stadt Zürich bis zu zehn Konzerte besuchen können. Wir holen mit Gadget ja auch Konzerte nach, die wir 2020 aufschieben mussten. Eric Clapton, Pearl Jam, Queen und viele mehr. Die Frage ist nun: Haben die Leute unbegrenzt Lust, Geld für Konzerte auszugeben in dieser wirtschaftlich unsicheren Lage? Vermutlich müssen mehr darauf verzichten. Zudem haben sich in der Pandemie die Prioritäten sicher auch verschoben, die Familie erhielt eine grössere Wichtigkeit wie auch Partys bei Freunden in der Wohnung. Das wird auch Einfluss haben. Mit anderen Worten: Unter den Veranstaltern wird es Verlierer geben. Das glaube ich schon, ja. Gehören Sie auch zu den Verlierern? Bei manchen Veranstaltungen sind wir schon zufrieden, wenn wir eine schwarze Null erzielen. Und eine schwarze Null bedeutet nicht, dass wir etwas verdienen, in der Vollkostenrechnung schaut da ein Verlust heraus. Auch wir müssen mit Verlusten rechnen, ich hoffe natürlich: nicht mit allzu grossen. Werden Sie bei den Rolling Stones auch einen Verlust einfahren? Nein, das wäre traurig und für mich persönlich eine Niederlage. Für die Schweiz aus meiner Sicht auch ein Armutszeugnis.Mehr zu André Béchir und Musikstars Tina Turner in Stäfa: Der Run auf die Villen am Zürichsee ABO Die Villen der Zürisee-Promis André Béchir: Ein Abgang ohne Crescendo André Béchir: Der Unersetzliche André Béchir verlässt Good News Wie sehr haben Sie unter Corona gelitten? Der Staat hat uns schnell verstanden und uns schnell und unkompliziert den Ausfall zu 80 Prozent entschädigt. Da muss ich den Kantonen und dem Bund ein grosses Kompliment machen. Sie verloren aber auch Geld. Die Firma Gadget, wo ich als Senior Advisor meine Beziehungen und mein Wissen einbringe, hat Geld verloren. Die staatlichen Hilfen deckten ja nur 80 Prozent der Kosten. Aber ohne die 80 Prozent gäbe es keine Veranstalter mehr. Gab es keine Bereinigung in der Branche? Weil Geld geflossen ist, gab es bis jetzt keine Bereinigung. Vielleicht kommt die noch. Im Moment läuft das Geschäft normal, ohne Auflagen – wie vor Corona: Das heisst, es gibt keine staatlichen Hilfen mehr. Das finde ich gut. Aber Corona ist nicht verschwunden. Im Sommer wird uns das Virus keine Probleme machen, aber im Herbst könnte die nächste Welle anrollen. Der staatliche Schutzschirm wird Ende Jahr auslaufen. Ich werde mich politisch weiterhin als Fürsprecher der Branche dafür einsetzen, dass die Hilfen verlängert werden. Wäre eine Bereinigung denn schlimm – gibt es nicht zu viele Veranstalter? Dazu möchte ich mich nicht äussern. Es geht um Fairness. Bei den grossen Veranstaltern dominieren heute grosse internationale Player. Diese Internationalisierung hat unser Geschäft verändert. Die beiden grossen internationalen Player sind Live Nation und AEG, die Firma der Anschutz Group. Die kaufen und sichern sich ganze Tourneen von Künstlern. Zum Beispiel Live Nation: Die haben Red Hot Chili Peppers, U2, Coldplay und viele mehr unter Vertrag. Die Bands müssen dann die Vorschüsse wieder einspielen. Dadurch wandelte sich das Business extrem. Die Ticketpreise stiegen und steigen weiter. Auch ich selber hatte einen Vertrag von Live Nation vorliegen, entschied mich aber für CTS Eventim in Hamburg, deren CEO, Klaus-Peter Schulenberg, ich seit langem kenne und mit dem mich eine Freundschaft verbindet. Früher waren Sie der Strippenzieher in der Schweizer Musikbranche: Sie hatten die Kontakte und konnten die Branchengrössen in die Schweiz locken. Sind Sie durch grosse internationale Konzerne verdrängt worden? Es gibt immer noch loyale Künstler: Die Rolling Stones, AC/DC, Bruce Springsteen, Bryan Adams, Zucchero und viele mehr. Mit vielen pflegen wir langjährige Beziehungen und Freundschaften. Sie halten weiter zu uns. Anders ausgedrückt: Ihre Connections sind immer noch wertvoll. Sie sind sehr viel wert. Man muss das Netzwerk pflegen, das ist intensiv, macht sich aber bezahlt. Der Kontakt muss gepflegt werden, das Leben besteht aus Geben und Nehmen.Der vielleicht letzte Schweizer Auftritt der Rolling Stones Die Rolling Stones sind nach fünf Jahren wieder auf Tournee und die «Sixty»-Tour wird sie auch in die Schweiz führen: Am 17. Juni werden Mick Jagger, Keith Richards und der Rest der Band das Stadion Wankdorf in Bern beschallen. Rund 40’000 Fans werden ans Konzert der Briten pilgern, Tickets sind aktuell immer noch erhältlich. Es ist das 16. Mal, dass die Rockband in der Schweiz gastiert. Der erste Auftritt fand vor über fünfzig Jahren statt – im April 1967 im Hallenstadion Zürich. Aber der Verdienst ist geschrumpft, weil die grossen Konzerne optimieren wollen? Coldplay arbeitete beispielsweise lange mit uns zusammen. Und dann erhielten sie ein attraktives globales Angebot, die Loyalität pulverisierte sich. Es kann passieren, dass es – wenn ich mich nach der Tournee eines Künstlers erkundige – plötzlich heisst: «Sorry, we have signed with Live Nation.» Ich lernte, damit umzugehen. Die Genesungskarte von Coldplay, die mir die Band anlässlich ihres Auftrittes bei «Moon & Stars» ans Spitalbett brachte, nach meinem Velounfall, werde ich dennoch nicht vergessen. Meinen Job mache ich trotzdem immer noch unglaublich gerne. Das kann ja nur Freude bereiten: Wenn im Juni 40’000 Leute die Rolling Stones sehen wollen, wie sie nach sechzig Jahren immer noch auf der Bühne rocken. Lassen sich die neuen Stars mit den Legenden von früher – wie den Rolling Stones – vergleichen? Früher spielten sich die Bands über Clubs auf die grossen Bühnen, über verschiedene Stufen. Heute steigt ein Star dank Social Media kometenhaft ganz oben ein, Olivia Rodriguez beispielsweise. Sie ist 18-jährig und verkauft in fünf Minuten 3500 Billets. Ob man sie in dreissig Jahren noch kennt, ist eine andere Frage. Das Business ist schnelllebig geworden. Ja, und es ist viel mehr Geld involviert. Die Garantien steigen, die Margen schrumpfen – und das Risiko für uns nimmt zu. Früher verdienten die Musiker das Geld mit Schallplatten und später mit CD. Tourneen dienten nur dazu, die Alben zu vermarkten. Heute ist es umgekehrt. Entsprechend sind auch die Preise gestiegen. Sie geben uns das Stichwort: Ein Ticket für ein Konzert der Rolling Stones im Juni kostet mindestens 170 Franken. Ist damit die Schmerzgrenze erreicht? Vergleichen Sie bitte die Stones mit dem Final der Champions League im Fussball: Das kann ein langweiliges Unentschieden sein oder auch ein torreiches Spiel. Und unter 500 Franken pro Billet findet man kaum ein Ticket. Bei den Stones in Bern erwartet sie zwei Stunden Livemusik, Hit an Hit, sechzig Jahre Musikgeschichte. Für maximal 500 Franken. Wir haben die gleichen Preise wie beim letzten Schweizer Stones-Konzert 2017. Im Vergleich zu Deutschland sind wir sogar günstiger. Ich verstehe nicht, warum die Preise bei der populären Musikkultur immer infrage gestellt werden. Wo liegt die Schmerzgrenze? Das entscheidet das Publikum. Wenn ich die Preise für das Stones-Konzert in Las Vegas anschaue, scheint es keine zu geben. Die Kapazität in Bern ist tiefer als 2017 in Zürich. Sie verdienen also weniger. Im Verhältnis verdiene ich weniger, ja. Wir wollen in der Kultur immer noch in der Champions League mitspielen. Wir werden alles daransetzen, dass wir kein B-Land werden. Spielen wir das Spiel nicht mit, müssen die Schweizer Fans für Shows nach Mailand oder London reisen. Ich habe als Veranstalter einen gewissen Stolz, wir wollen die Stars in die Schweiz holen. Die Rolling Stones als ein Art Service Public? Nein. Die Rolling Stones sind ein Stück Musikgeschichte. Generationen werden das Konzert besuchen, ganze Familien –– vom Kleinkind bis hin zu den Grosseltern. Für die Firma Gadget ABC Entertainment und für die Schweiz ist es genial, dass die Rolling Stones in Bern Halt machen. So sind wir kulturell noch auf der Europakarte. Apropos alte Legenden: Abba tritt ja auch wieder auf der Bühne auf. Aber nur virtuell, als Avatare auf einer Bühne in London. Sind Sie traurig, dass Sie sie mit dieser Show nicht in die Schweiz holen konnten? Bei uns würde das nicht funktionieren. Wir wollten in Zürich ein Konzert organisieren, bei dem Roy Orbison als Hologramm auf der Bühne gestanden hätte. Es hagelte Kritik, der Event musste infolge schlechter Verkäufe abgesagt werden. Erstaunlicherweise hatte eine ähnliche Show in den 1990er Jahren mit Elvis Presley funktioniert. Auf der Leinwand spielte Elvis, seine Originalband stand live auf der Bühne. 6000 Leute besuchten die Show im Hallenstadion und am Schluss rannten Besucher mit Rosen vor die Bühne, so echt hatte das gewirkt. Virtuelle Events sind für Sie nicht die Zukunft? Es finden ja schon Konzerte im Metaverse statt. Whitney Houston mit ihrer unvergesslichen Stimme hätte ich gerne auf diese Weise auf die Bühne gebracht, leider lebt sie ja nicht mehr. Aber nach Roy Orbison lasse ich die Finger von solchen Experimenten. Solche Produktionen sind teuer, die Technik ist kompliziert. Shows in solchen Dimensionen müssten mehrere Tage die Hallen belegen, dafür fehlt bei uns die Nachfrage. Für die Abba-Show in London wird eine eigene Halle gebaut. Bei uns ist so etwas undenkbar. Livemusik kannst du damit nicht ersetzen.

Musikveranstalter André Béchir spricht über die Rolling Stones und den Festivalsommer

«Vergleichen Sie die Rolling Stones mit dem Final der Champions League»

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