Pierre Castel: Darum schuldet der Weinmilliardär der Schweiz 415 Millionen Franken

Das ist die Geschichte eines Imperiums mit einem geschätzten Wert von 14 bis 15 Milliarden Franken. Genauer geht es um den Familienpatron hinter der Castel-Gruppe, die an der Spitze des französischen Weinhandels steht: Pierre Castel. Die Schweizer Justiz hat den 95-jährigen Milliardär zu einer Steuernachzahlung verdonnert, die es in sich hat: 415 Millionen Franken schuldet Castel dem hiesigen Fiskus. Das urteilte ein Genfer Berufungsgericht im vergangenen Juli. Demnach hat der Weinunternehmer, der seit 1981 im Steuerexil in der Schweiz lebt, mehrere Jahrzehnte lang seine Steuern nicht ordnungsgemäss bezahlt. Belangt wurde er vom Gericht jedoch wegen Verjährungsfristen nur für die Periode 2007 bis 2011. Der im Sommer gefällte Gerichtsentscheid wurde erst kürzlich publik. Der Westschweizer Blog «Gotham City» berichtete zuerst darüber. Die Namen von Castel, anderen Familienmitgliedern und den beteiligten Unternehmen sind im Urteil geschwärzt, jedoch weist eine detaillierte Beschreibung des Unternehmens und des Gründers auf seine Identität hin. Klein gestartet mit den Brüdern in Bordeaux Das Gerichtsurteil bietet einen seltenen Einblick in die Angelegenheiten eines der geheimnisvollsten Vermögen Frankreichs. Nach dem Zweiten Weltkrieg baute Castel zusammen mit seinen Brüdern einen kleinen Handelsaussenposten in Bordeaux auf. Über all die Jahre stieg er zu einem der mächtigsten Weinhändler in Europa und Bierbrauer in Afrika auf. Von seinem Heimatland wandte sich Castel vor gut vierzig Jahren ab. Der Grund: François Mitterrand. Der sozialistische Politiker wurde 1981 zum französischen Präsidenten gewählt. Gegenüber dem französischen Wirtschaftsmagazin «Challenges» sagte der Getränkemilliardär einst: «Ich hatte immer Angst vor den Sozialisten. Finanziell und wirtschaftlich wird Frankreich gefährlich. Wenn man Ihnen mehr als 50 Prozent Ihres Einkommens wegnimmt, können Sie das nicht akzeptieren.» Also liess er sich in Genf nieder. Wer ist dieser Jesus? Gemäss dem Gerichtsurteil hat Castel seine starke Abneigung gegenüber Steuern auch in seiner Wahlheimat Schweiz ausgelebt – und zwar eben über viele Jahre. Aber warum ist seine Steuerhinterziehung, die ihm die Schweizer Steuerbehörden vorwerfen, so lange nicht aufgeflogen? Pierre Castel bediente sich eines Tricks, indem er bei seiner Ankunft in der Schweiz den Namen Jesus Castel angab, den er dann auch für seine Steuererklärungen nutzte. Die hiesigen Behörden stellten über all die Jahre keine Verbindung zum wohlhabenden Franzosen fest. Anhand von Medienberichten kamen sie ihm aber auf die Schliche. Denn in Interviews stand teilweise sein vollständiger Name: Pierre Jesus Sebastian Castel. 2017 leiteten die Schweizer Behörden Ermittlungen ein. Streitfrage um Eigentümerschaft Die Details dieses Steuerfalls drehen sich um die komplexen Mechanismen von in Steuerparadiesen beheimateten Gesellschaften und Holdings. Simpel ausgedrückt: Castel behauptete vor Gericht, schon lange nicht mehr Inhaber seines Getränkeimperiums mit der Weinhandelskette Nicolas zu sein und daher auch die enormen Dividenden nicht zu bekommen, die ihm die Steuerbehörde zuschreibt. Die Schweizer Behörden argumentierten ihrerseits, dass Castel und seine Familie weiterhin die Hauptnutzniesser der Gruppe waren. Dabei stützten sie sich auf verschiedene Berichte, wonach der Patriarch sein Firmengeflecht aus mehr als 215 Gesellschaften in rund 40 Ländern weiterhin «mit eiserner Hand» führt. Das Netz ist insbesondere in der Schweiz und in Gibraltar sowie in Liechtenstein mit einer Stiftung und in Singapur mit einem Trust organisiert. Offiziell gilt als Eigentümer des Konzerns seit 2009 ein in Singapur ansässiger Fonds, der Investment Beverage Business Fund, der jedes Jahr Millionen von Euro an Dividenden an die Anteilinhaberinnen und -inhaber ausschüttet. Die Identitäten dieser Personen sind unbekannt. Laut dem Urteil gaben Castels Rechtsberater während der Untersuchung zu, dass er «bestimmte Elemente» seiner Einnahmen und seines Vermögens zwischen 2007 und 2011 ausgelassen hatte. Der Patriarch praktiziere einen Führungsstil der alten Schule mit Händeschütteln und mündlichen Abmachungen, weshalb brauchbare Dokumente schwer zu finden seien. Das Schweizer Gericht kam zum Schluss, dass es keine ausreichenden Beweise für Castels Ausscheiden als Begünstigter seines Imperiums gibt. Wie «Gotham City» berichtete, erklärte sich der Patriarch bereit, die für 2009 geforderte Steuernachzahlung zu berappen. Gegen den Rest des Gesamtbetrags von 415 Millionen Franken hat Castel jedoch Berufung beim Bundesgericht eingelegt. Bis zu einem rechtsgültigen Urteil gilt die Unschuldsvermutung. Auch in Frankreich im Visier der Behörden Unabhängig vom endgültigen Urteil durch die letzte Instanz war der letzte Sommer für Castel und dessen Gruppe kein guter. In Frankreich nahm die Antiterrorismus-Staatsanwaltschaft im Juli Untersuchungen gegen eine Castel-Gesellschaft auf, die in der Zentralafrikanischen Republik tätig ist. Der Vorwurf: Kooperation mit einer Milizgruppe, die mit Gräueltaten im konfliktreichen afrikanischen Land in Verbindung gebracht wird. Die Ermittlungen beruhen auf einem Bericht der Nichtregierungsorganisation The Sentry, die von Schauspieler George Clooney und Aktivist John Prendergast gegründet wurde. Castel hat eine eigene Untersuchung seines ins Visier geratenen Zuckerproduzenten durchgeführt. Es würden «keine wesentlichen Elemente oder Informationen die Anschuldigungen bestätigen», sagte ein Sprecher des Unternehmens im Juli gegenüber «Bloomberg».

Pierre Castel: Darum schuldet der Weinmilliardär der Schweiz 415 Millionen Franken

Warum ein Weinmilliardär der Schweiz 415 Millionen Franken schuldet