Schätze der Meere: Warum Perlen ein überholtes Image haben

Es war eine Perle wie keine andere: einzigartig in Form und Grösse, dazu eng verbunden mit der tragischen Geschichte der letzten französischen Königin, Marie-Antoinette. Unter den Hammer kam die bekannte Perle im Jahr 2018 beim Auktionshaus Sotheby’s. In einem erbitterten Zweikampf überboten sich ein Geschäftsmann aus Hongkong und eine österreichische Interessentin gegenseitig. Immer wieder. Schlussendlich sauste der Hammer weit über dem erwarteten Preis von knapp 2 Millionen Euro nieder. Heidi Horten, die mittlerweile verstorbene Kaufhauserbin und Kunstsammlerin, hatte die Perle für 36 Millionen ersteigert. Sie trug das Stück bis zu ihrem Tod mit Stolz. Nur Grossmama trägt Perlen Die Geschichte der Marie-Antoinette-Perle ist ebenso einzigartig wie ihr Verkaufspreis. Doch Perlen werden gerade im europäischen Raum generell unterschätzt, wie Max Fawcett, Leiter der Schmuckabteilung des Auktionshauses Christie’s weiss: «Es ist eigentlich unglaublich, wie selten natürliche Perlen sind. Auf 10’000 Austern findet sich mit Glück eine – das ist seltener als ein perfekter weisser Diamant!» Vor Jahren seien die Preise für Perlen höher gewesen, doch dann seien sie deutlich gesunken. «Gerade in Europa wurden Perlen nicht vermarktet, ihnen haftet hier das Image an, dass nur ältere Damen sie tragen», erklärt der Experte. In Asien aber sei mittlerweile das Gegenteil der Fall: Junge, reiche Bieterinnen und Bieter liebten Perlen und seien sich deren Seltenheitswert und Prestige bewusst. Dabei seien natürliche Perlen die grossen Gewinner – auch vor dem Hintergrund, dass heute keine natürlichen Perlen mehr gesucht werden dürfen, dafür die Zuchtperlen qualitativ praktisch an die natürlichen herankommen. Süsswasserperlen aus China sind oft von schlechter Qualität «Die Problematik ist aber, dass beispielsweise gerade chinesische Zuchtperlen mit schlechter Qualität den Markt erreichen», erzählt Jörg Gellner, Inhaber der gleichnamigen Schmuckmanufaktur und einziger europäischer Direktimporteur von Perlen aus Fidschi. «In unserem Verständnis sind Perlen stets weiss, doch grundsätzlich sind gerade Süsswasserperlen leicht rosa oder lachsfarben. Die weisse Farbe erhalten sie erst durch den Bleichprozess.» Bei qualitativ hochstehenden Perlen dauere dieser Prozess über Monate und finde bei tiefen Temperaturen statt. China, das mehr als 90 Prozent der gesamten Süsswasserperlenzucht im Land vereint, erhöhe jedoch die Temperatur und verringere entsprechend die Zeit, was auch der Perle zusetze. Salzwasserperlen aus Japan, Tahiti oder der Südsee «Diese Süsswasserperlen haben nichts mehr mit der klassischen Akoya-Perle zu tun, dem Grundstein der Zuchtperlen», so Gellner. Die Akoya-Perle, ein Salzwasserprodukt, ist auf den Japaner Kokichi Mikimoto zurückzuführen. 1921 gelang es ihm zum ersten Mal, eine Zuchtperle auf der Juwelenbörse in Paris anzubieten. Von dort aus breitete sich die Nachfrage nach Zuchtperlen auf der ganzen Welt aus. Bei der Zucht wird jeder Auster ein kleiner Fremdkörper eingepflanzt, den sie zum eigenen Schutz mit bis zu 2000 Perlmuttschichten überzieht. Die japanischen Zuchten sind heute so weit perfektioniert, dass grösstenteils die gewünschten Perlen in der entsprechenden Qualität entstehen. Doch nicht nur Japan kultiviert Zuchtperlen im Salzwasser. Perlen aus Tahiti sind bekannt für ihre dunklen Farben, während Südseeperlen aus Australien, den Philippinen oder Indonesien Farben von Weiss bis Gold aufweisen. Japan setzte sich aber dank Mikimoto als Vorreiterin in der Perlenproduktion durch und hält dementsprechend bis heute den Status als grösster Wertschöpfungsplatz inne. «Circa 75 Prozent der Tahitiperlen gehen noch immer nach Japan», so Gellner, «und diese Wertschöpfung wollte ich unterbrechen respektive sie direkt nach Hause bringen.» Ausserdem könne er so die Nachverfolgung seiner Perlen garantieren: «Ähnlich wie bei den Diamanten sind auch im Perlengeschäft die Leute bereit, mehr zu bezahlen, wenn sie wissen, woher die Perle kommt.» Klimawandel bedroht Perlenzucht Das Perlengeschäft sieht sich aber mit zwei Hürden konfrontiert: Da ist einerseits der Fakt, dass bis anhin ein Bewertungssystem von Perlen wie die GIA-Skala der Diamanten fehlt. «Perlen haben noch weitere Facetten als Diamanten, die ihren Wert beeinflussen. Dazu gehören etwa der Lüster, die Fähigkeit einer Perle, das Licht zu reflektieren, oder die Dicke der einzelnen Perlmuttschichten», so Jörg Gellner. Es gibt zwar mehrere Ansätze, doch bis jetzt hat sich noch keiner durchgesetzt. Entsprechend viel Expertenwissen ist nötig beim Kauf und Verkauf von Perlen. «Die grösste Gefahr für die Perlenbranche ist aber der Klimawandel», warnt Gellner, «Japan produzierte im letzten Jahr 20 Prozent weniger Perlen aufgrund des Austernsterbens.» Denn durch extreme Hitzeperioden erhöht sich die Meerestemperatur, was sich auf die Austern auswirkt. Aber auch Giftstoffe und Abfälle in den Ozeanen gefährden deren Existenz. «Eine Möglichkeit wäre, die Zucht in tiefere Gewässer zu verlegen», so der Experte. Doch das sei wiederum kostspieliger und anfälliger für Wind, Stürme und Taifune. Düstere Aussichten also für die zukünftige Kultivierung von Perlen. Dazu kommen fehlende Bewertungsraster, aber zeitgleich eine steigende Nachfrage nach den Schätzen der Meere: Perlen werden rarer und begehrter. Heidi Horten verstarb im vergangenen Juni. Falls die Marie-Antoinette-Perle nach ihrem Tod wieder versteigert würde, lässt sich vermuten, dass sie für einen neuen Rekordpreis die Besitzerin wechselt.