Er war ein Ausnahmetalent, ein Fantast, ein Poet und ein Magier der Mechanik: Pierre Jaquet-Droz schuf im 18. Jahrhundert nicht nur Uhren, sondern gemeinsam mit seinem Sohn Henri-Louis auch staunenswerte Automaten in Menschengestalt. Seine sogenannten Androiden faszinierten die Zeitgenossen: «Die Musikantin», «Der Maler» und «Der Schreiber» sind mechanisch bewegte Puppen, die wie von allein musizieren, zeichnen oder schreiben können. Gesteuert von Zahnrädern, Nocken und Rechen im Inneren, war die Illusion dieser Figuren so vollkommen, dass Jaquet-Droz in Spanien gar der Hexerei verdächtigt wurde.
Dabei sind es komplexe und ausgeklügelte Mechanismen, die hinter den Aktionen dieser Geschöpfe stecken. Allein der Apparat des «Schreibers» besteht aus rund 600 Einzelteilen. Ihr Zusammenspiel macht es möglich, dass jeder beliebige Text aus bis zu vierzig Buchstaben auf Papier geschrieben werden kann. Ein Schauspiel, das nichts von seinem Zauber verloren hat und heute im Musée d’art et d’histoire in Neuenburg dargeboten wird. Dort sind die drei Automaten von Jaquet-Droz ausgestellt und werden bei öffentlichen Vorführungen sogar in Gang gesetzt.
Die Androiden sind der Höhepunkt einer Karriere, die für den jungen Uhrmacher Pierre Jaquet-Droz in La Chaux-de-Fonds im Jura begann. Zunächst fertigte er Wand- und Pendeluhren, es folgten Läutwerke und Singvögel als akustische Ergänzung auf seinen Uhren und schliesslich die berühmt gewordenen Automaten in Menschengestalt.
Schon aus der Antike und aus dem alten China gibt es Berichte über gehende Statuen oder selbstfahrende Mechanismen – allerdings sind Wahrheit und Mythos wohl kaum zu unterscheiden. Tatsächlich überliefert sind Mechanismen für selbstspielende Musikinstrumente oder Türen, die sich von allein öffneten. Die Glockenspiele in den Monumentaluhren des späten Mittelalters sind ebenfalls diesem Genre zuzuordnen. In der Renaissance entstanden komplexe Musikautomaten und selbstspielende Spinette.
Schliesslich ermöglichte der technische Fortschritt die Konstruktion lebensgrosser Automaten. Von geradezu wundersamen Kreationen ist die Rede, erhalten wurden sie jedoch nicht. Im 18. Jahrhundert, während der Zeit von Jaquet-Droz, erlebten die Automaten ihre Blüte. Sie wurden bestaunt sowie bewundert. Doch nicht immer steckte echte Mechanik hinter den bewegten Darbietungen. Legendär wurde der «Schachtürke», eine angeblich Schach spielende Maschine eines ungarischen Mechanikers, die sich jedoch als Schwindel entpuppte. Denn im Inneren der Maschine verbarg sich ein Mensch.
Ganz anders bei den komplexen Androiden, die Vater und Sohn Jaquet-Droz bauten. Die Konstrukteure wirkten in der Tradition der Mechanik, in der auch Uhrwerke entstehen. Ob Zeitmessung oder Bewegung – beides folgt den gleichen Prinzipien und wurde oft kombiniert, etwa durch bewegte Figuren auf Gross- oder Taschenuhren.

Tischuhr Montgolfière Aéro: Ein Heissluftballon transportiert den kleinsten jemals von Louis Vuitton gestalteten Koffer, in dem ein mechanisches Uhrwerk arbeitet.
Doch während Automaten entweder eigenständige Objekte waren oder ergänzende Mechanismen zur Zeitanzeige darstellten, entstand erst jetzt die Idee, sie mit einer Uhr zu einer Einheit zu verbinden. Die Vision, einen Automaten zur Anzeige der Zeit zu nutzen, stammt von Vacheron Constantin: Die Manufaktur krönt ihr 270-Jahr-Jubiläum mit La quête du temps – zu Deutsch «Die Suche nach der Zeit»–, laut Vacheron Constantin ein «Meisterwerk jenseits der Uhrmacherei»: Mehr als einen Meter hoch, verbindet es Kunst, Uhrmacherhandwerk, Mechanik und astronomische Präzision. Das ist so beeindruckend, dass das Objekt seine Premiere im Louvre in Paris hatte und dort über Wochen im Mittelpunkt der Ausstellung «Mécaniques d’art» stand.
An dem Wunderwerk arbeiteten Uhrmachermeister, Kunsthandwerker, Designer, ein Automatier, Ingenieure und Astronomen sieben Jahre lang. Sie schufen eine Konstruktion aus 6293 Einzelteilen; davon sind 2370 Komponenten für die Anzeige der Zeit erforderlich.
Das Ziel, erstmals eine mechanisch bewegte Figur zur Anzeige der Zeit zu nutzen, ist mit La quête du temps gelungen: Ganz oben steht unter einer Kuppe, die wie ein Himmelsgewölbe gestaltet ist, eine goldglänzende Gestalt, der Astronom. Zu seiner Rechten und Linken wölben sich jeweils eine gerundete Skala für Stunden und Minuten. Auf Verlangen oder durch eine Programmierung setzt sich die Gestalt in Bewegung, begleitet von einer eigens komponierten Melodie, die durch eine mechanische «Musikmaschine» erzeugt wird. Es gibt drei Bewegungssequenzen, bei denen sich der Astronom zunächst umsieht und die Arme bewegt. In der dritten Sequenz weist er mit den Armen in einer anmutig fliessenden Bewegung auf die aktuelle Stunde und Minute auf den Skalen.
Das war nicht die grösste Herausforderung, wie Christian Selmoni, Director of Style and Heritage bei Vacheron Constantin, berichtet: «Eine zusätzliche Schwierigkeit bestand in der Entscheidung, nicht nur eine, sondern verschiedene Melodien zu integrieren, die die Choreografie begleiten sollten. Dafür mussten wir zwei spezielle, mechanische Musikboxen erfinden, die in der Lage sind, den gewünschten Klang zu erzeugen.» Damit wurde François Junod beauftragt, Automatier und Künstler aus Sainte-Croix, der weltweit für seine meisterhaft gefertigten mechanischen Automaten und beweglichen Skulpturen bekannt ist. Laut Selmoni habe Junod die Konstruktion als «das mit Abstand anspruchsvollste Projekt in seinem ganzen Leben als Automatier» bezeichnet.
Die Bewegungen des Astronomen hat Vacheron Constantin mit weiteren Anzeigen und Funktionen verbunden – unter anderem mit einem ewigen Kalender und einer astronomischen Uhr. Betrachtet man die Mitte und den Sockel des Objekts, scheinen die Sensationen nicht zu enden: die Vielzahl der Anzeigen, der freie Blick auf die Mechanik, das feine Kunsthandwerk, das sich in Einlegearbeiten mit Schmucksteinen und Perlmutt, satinierten und polierten Oberflächen, Handgravuren und Bronzeguss zeigt. Es ist wahrlich eine Krönung für die Geschichte der Manufaktur.
Während dies für Vacheron Constantin eine Premiere in der Welt der Automaten darstellte, widmet sich Van Cleef & Arpels seit Jahren kostbaren bewegten Objekten, die verzaubern und zum Staunen anregen. Die jüngsten Kunstwerke scheinen einer Märchenwelt entsprungen: Da dreht sich zum Beispiel ein Planetarium, bei dem winzige Himmelskörper die Umlaufbahnen von Merkur bis Saturn nachzeichnen – natürlich in Gold und Edelsteinen. Beim Automaten Fée Ondine erwacht eine kleine Fee auf einer Seerose, Libellen summen, und Blüten öffnen sich – alles angetrieben von feinster mechanischer Kunst. Auch Van Cleef & Arpels arbeitet für diese Wunderwerke mit dem Automatier Junod zusammen, der die Poesie des Hauses in bewegte Konstruktionen übersetzt.

Poesie und Zeitanzeige: Auf dem Automaten Fée Ondine von Van Cleef & Arpels erwacht eine Fee mit anmutigen Bewegungen zum Leben.
Ein weiterer Spezialist, den Vacheron Constantin hinzugezogen hat, ist L’Epée, ein 1839 gegründeter Hersteller von mechanischen Tischuhren wie auch Kunstobjekten. Das Traditionsunternehmen unterstützt auch andere Marken bei der Fertigung aussergewöhnlicher Objekte, wirkte etwa an dem Zeitmesser Montgolfière Aéro von Louis Vuitton mit, einem Objekt in Form eines Heissluftballons. Auch an der modernen Zeitskulptur Albatross von MB&F, die wie eine Flugmaschine ausschaut, war L’Epée beteiligt. Und damit schliesst sich der Kreis aus Zeitmessung und Automatenbau – denn viele der Protagonisten, die in den letzten Jahren mit Automaten und Zeitobjekten auftraten, stellen auch Armbanduhren her. Und das führt zurück zu Jaquet-Droz, heute eine Marke der Swatch Group und Hersteller zauberhafter Zeitmesser fürs Handgelenk. In Erinnerung an den Gründer des Hauses gibt es nun eine Uhr mit Singvogel, der sein Konzert unter einer miniaturisierten Kuppel aufführt. Ein tragbares Kunstwerk und Zeugnis einer grossartigen Historie, die weiter reicht, als man diesem kleinen Wunderwerk ansieht.

Tischuhr Montgolfière Aéro: Ein Heissluftballon transportiert den kleinsten jemals von Louis Vuitton gestalteten Koffer, in dem ein mechanisches Uhrwerk arbeitet.


