Top-Banker wechseln den Job und werden WInzer

Er wisse nicht, ob er die richtige Person für diesen Artikel sei, meint Patrick Thalmann von der Winzerei zur Metzg im Zürcher Weinland beim ersten Kontakt, denn er lege bei der Weinbereitung selber Hand an. Damit unterscheidet er sich von anderen, die ein Weingut besitzen, aber die Weinbereitung einem Önologen überlassen. Dazu gehört etwa Thomas Bär, früher VR-Präsident der Bank Julius Bär und heute noch Jurist in seiner Anwaltskanzlei Bär & Karrer. Seit Jahren besitzt er im Chianti-Gebiet das Weingut Gaglione. Der 83-Jährige und seine Frau Monika verbringen die Hälfte des Jahres in Italien, die Verantwortung für den Gutsbetrieb trägt ein Önologe. Bär wollte nicht nähere Auskünfte über seine Beweggründe geben, Winzer zu werden. Verschwiegen ist auch Iwan Deplazes. Der Leiter Asset Management von Swisscanto und Präsident der Swiss Funds & Asset Management Association hält zusammen mit drei Freunden das Weingut zum Rosenberg in Altdorf im Kanton Uri. Um den Wein kümmert sich einer von ihnen. Vor vierzig Jahren bereits hat Meinrad C. Perler den Schritt vom Banker zum Rebbauern gemacht. Dass er überhaupt Banker wurde, bezeichnet der 83-jährige Perler heute als «Lebensunfall». Ein verlottertes Weingut im Tessin kaufenUrsprünglich wollte der älteste Sohn einer vielköpfigen Bauernfamilie aus dem Freiburgischen Agronomie studieren. Doch dies lag finanziell nicht drin. Also absolvierte er die Handelsschule und sollte einige Jahre später die Niederlassung der Credit Suisse (damals noch SKA) in Chiasso leiten, eine der grössten Niederlassungen der Schweiz. Später gründete er eine Treuhandfirma. Für seine Kunden suchte er in dieser Funktion international Ländereien. Dabei wurde ihm auch das verlotterte Weingut Tenimento dell’Ör im Tessin zum Kauf angeboten. Zusammen mit sechs Partnern schlug er selbst zu, um auf einem Teil des Gutes Häuser zu bauen und auf dem anderen Teil Rebberge anzulegen. Nach einiger Zeit übernahm er das Grundstück alleine. Er pflanzte Chasselas-Trauben, für die das Klima im Tessin viel zu trocken ist. Heute lacht Perler darüber und bezeichnet die Chasselas-Pflanzung als teures Lehrgeld. «Als Winzer hatte ich damals keine Ahnung», urteilt er. Dennoch bezeichnet er es als einen Vorteil, Quereinsteiger zu sein: «Ich hatte schon einige Lebenserfahrung in meinen vorherigen Tätigkeiten gesammelt.» Perler war auch in der Solarindustrie tätig und hat eine Rehabilitationsklinik entworfen, verfügt also über ein breites Wissensspektrum. Dennoch sei der Einstieg in die Winzergemeinschaft hart gewesen. 19 von 20 Punkten«Alle haben mich ausgelacht – kein Wunder, mit den Chasselas-Trauben.» Nachdem er zuerst die Trauben an andere Winzer verkauft hatte, machte er 1994 seinen ersten Wein, einen Merlot, zusammen mit seinem Freund und Mentor Rainer Zierock, einem Tüftler in der Önologie. Dieser Merlot wurde von der Zeitschrift «Weinwisser» mit 19 von 20 Punkten ausgezeichnet. Innert drei Wochen war der Wein ausverkauft. 2001 erstand Perler ein zweites Weingut: Tenimento La Prella in Genestrerio. 2010 wurde er zum Winzer des Jahres gekürt. Heute produziert er mit 18 Mitarbeitenden und aus 28 verschiedenen Traubensorten 180000 bis 200000 Flaschen pro Jahr. Den Schritt vom Banker zum Winzer hat er nie bereut: «Ich bin Bauernsohn. Für mich ist wichtig, etwas gerne zu tun. Als Banker hatte ich eine schöne Zeit. Aber je länger, desto mehr wurde mir damals klar, dass dieser Beruf nicht zu mir passt und bloss ein Mittel ist, um Geld zu verdienen.» Klar ist für ihn jedoch auch, dass er ohne Zierock an seiner Seite das Weingut verkauft hätte. Mit dem Pferd an der frischen LuftAn der frischen Luft zu arbeiten, gefällt Marcel Bühler am meisten. An manchen Tagen sieht man ihn in seinem Weingut Domaine des Enfants im südfranzösischen Roussillon hinter seinem Pferd hergehen und den Boden pflügen. Dass er wegen dieser Art der Bodenbearbeitung aber ein eingefleischter Biodynamiker sei, der Reben und Wein nach dem Mondkalender, mit Schachtelhalmtee und anderen selbst erzeugten Mitteln pflege, ist ein Trugschluss. «Die alten Rebstöcke stehen zu eng beieinander und die Neigung des Hanges begünstigt die Erosion so sehr, dass es am sinnvollsten ist, den Boden mit dem Pferd zu bearbeiten», erklärt er. «Die alten Reben auszureissen, um mit dem Traktor arbeiten zu können, wäre schade.» Es sind übrigens auch nur 10 von 25 Hektaren, die Bühler mit dem Pferd bearbeitet. Dabei hatte er ursprünglich Angst vor Pferden. Der Respekt vor dem Tier ist bis heute geblieben. «Das Tier mit meiner Energie zu lenken, ist befriedigend und macht einen dankbar gegenüber dem Pferd.» Eigentlich wollte Bühler Gärtner lernen. Doch die Überlegung, sich die Türen für ein späteres Studium offenzuhalten, liessen ihn eine KV-Lehre auf der Bank und die HWV absolvieren. Er war fasziniert vom Geld, den Vernetzungen der Finanzwelt und schliesslich verantwortlich für den Handel von strukturierten Produkten bei der Credit Suisse. Er war wahrscheinlich einer der Letzten, der als Ringhändler ausgebildet wurde. «In der Börse am Ring zu handeln, als Jungspund, neben gestandenen Männern – das hat mir Spass gemacht», meint er rückblickend. Die Freundschaften von damals pflegt er immer noch. Doch irgendwann – Bühler ging gegen die dreissig – war der Kick weg. «Ich konnte mich nicht mehr motivieren, ins Büro zu gehen», berichtet er. Er kündigte ins Blaue hinaus und machte eine Stage bei einem Winzer in Malans. Überzeugt vom Beruf studierte er Önologie. Das Weingut hat Bühler gemeinsam mit vier Kollegen gekauft, die als Dividende den Wein etwas günstiger bekommen. Den neuen Weinkeller baut er dank Crowdfunding – und mit dem Strom aus der Photovoltaikanlage auf dem Dach kann er die Zinsen finanzieren. Rund 90 Prozent seines Weines exportiert er weltweit. Doch weite Sprünge liegen nicht drin: «Der finanzielle Druck ist hoch. Mein grösster Luxus ist, zu wissen, dass ich wenig brauche, und dass ich mit meinem Leben zufrieden bin», beschreibt er die Situation. Die Arbeit und die Möglichkeit, ein Endprodukt in den Händen halten zu können, befriedige ihn sehr. Bei der Arbeit in der Bank sei das Endprodukt nicht fassbar. Ob er den Schritt zum Winzer wieder wagen würde, weiss er nicht. Liquide Mittel im KellerZurück zu Patrick Thalmann: Die ersten Fässer vinifizierte der Wirtschaftsinformatiker, der damals bei der Credit Suisse arbeitete, zusammen mit ein paar Freunden in einer alten Metzgerei. Nach und nach wurde aus dem Hobby ein Beruf. Die Leidenschaft für den Wein, besonders für den Pinot noir, erwachte mit dem Besuch von guten Restaurants, den er sich mit dem – wie er sagt – vernünftigen Salär in der Finanzwelt leisten konnte. Nachdem er damals die Liquidität auf der Bank hatte, lagere er sie heute im Keller, sagt er lachend. In seinem neuen Beruf fühlt er sich wohl. «In der Bank war mein Job sehr reguliert. Heute habe ich ein viel breiteres Tätigkeitsspektrum und kann mich ab und zu in der Natur bewegen. Bei meiner Statur ist das ein Vorteil», schmunzelt Thalmann. Früher sei er prozessgetrieben gewesen, heute entscheide er selbst, in Abhängigkeit vom Wetter. Den Bankerjob habe er gerne gemacht, weil er mit spannenden Menschen habe arbeiten können. Doch auch als Winzer treffe er spannende Persönlichkeiten. Der Anfang sei hart gewesen, berichtet Thalmann. Nach einer Stage bei einem biodynamisch arbeitenden Winzer in Österreich hatte er aus finanziellen Gründen immer wieder Jobs in der Bank angenommen. Schwer war es auch, in der Winzergemeinschaft akzeptiert zu werden. «Anfangs lieferte mir ein Küfer nicht mal ein Holzfass», erinnert er sich.Ein Weingut für eine halbe Million Euro Ein Weingut zu kaufen, ist für manche ein verlockender Gedanke. Doch eine solche Investition muss gut überlegt sein, kauft man mit einem Weingut doch nicht nur ein – häufig herrschaftliches – Wohnhaus, sondern auch einen Produktionsbetrieb. Gerade Quereinsteiger tun gut daran, sich von unabhängigen Fachkräften für die Übernahme von Weingütern beraten zu lassen. Zunächst sollte man sich über die eigenen Bedürfnisse klar sein: Soll das Weingut ein Restaurant oder Übernachtungsmöglichkeiten enthalten? Oder will man die Ruhe in der Natur geniessen? Wobei die Ruhe mit viel Arbeit verbunden ist, will man die Bewirtschaftung nicht an Angestellte delegieren. Vermittlung über MaklerZum Verkauf stehende Weingüter sind rar und werden meist über Makler vermittelt. Bis sich ein Weingut in der gewünschten Region und in der notwendigen Grösse findet, können Jahre vergehen. Der Preis für ein Weingut hängt nicht nur von der Grösse des Gutes samt der Rebfläche ab, sondern auch von der Region. Weingüter im Bordeaux sind teurer als solche in Südfrankreich, Hanglage ist begehrter als Güter mit Rebbergen in der Ebene. Ausserdem ist der Preis abhängig vom Zustand und Alter der Reben sowie von der Ausstattung des Kellers. Ein Weingut für beispielsweise etwas mehr als eine halbe Million Euro in Italien zu erwerben, ist möglich.Allerdings sollte man in diesem Fall noch genügend Reserven haben, um in die Weintanks, Fässer und Geräte zu investieren. Zudem muss man sich bewusst sein, dass die in diesem Preis enthaltene Rebfläche zu klein ist, um vom Ertrag des daraus produzierten Weines leben zu können. Nach oben sind die Preise für den Erwerb von Weingütern offen – je grösser das Gut und je renommierter der darauf produzierte Wein, desto höher der Preis. Als Erster in der Region, der seinem Wein keine Hefen zuführte, sondern ihn spontan vergären liess, war er ein Aussenseiter. Seitdem seine Weine aber von Parker gut bewertet wurden, wird er von jüngeren Winzern ab und zu um seine Meinung gefragt. Als Quereinsteiger profitiert er von seinen diversen Ausbildungen im Bereich Prozessablauf oder Marketing. Schliesslich entscheide über die Qualität des Weines aber einzig der innere Antrieb, es stets besser machen zu wollen, ist er überzeugt. 28000 Flaschen verkauft Thalmann heute. Er selbst bewirtschaftet nur einen kleinen Teil der Reben, die er dazu braucht. Die restlichen Trauben kauft er ein. Wobei er stark auf deren Qualität achte. Das Ziel sind 40000 Flaschen, um wirtschaftlich rentabel zu sein. Den Schritt vom Banker zum Winzer habe er nur wagen können, weil er nicht Verantwortung für eine Familie habe tragen müssen. Die finanziellen Einschränkungen sind gross. Gross ist aber auch die Freude an der Arbeit. «Ich bin auf dem richtigen Weg», meint er zufrieden.

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