Wertvolle Vespa – ein Lebensgefühl und eine Geldanlage

Hier geht es um dreckige Hände, Freundschaft und Liebe. Wobei, am Ende hängt das alles mit der Vespa zusammen. Es ist Mittwochabend in Zürich. Auf dem Trottoir vor dem Vespaladen Scooter Planet stehen die Wespen dicht gedrängt, und es werden grad immer mehr. Hier treffen sich die Mitglieder des Vespa Fan Club zur monatlichen Ausfahrt. Vom Sozialhilfebezüger bis zum Millionär ist hier alles vereint. Woher jemand kommt, interessiert nicht. Einziges Kriterium für die Clubmitgliedschaft: eine Vespa. Schwätzchen hier, Schwätzchen da. Man kennt sich, ist per Du. Marc (48) ist seit einem Jahr dabei. Wegen seines Nachbarn. Obwohl, der ist nicht hier. Es war so: Der Nachbar von Marc kaufte sich zu Beginn der Pandemie eine Vespa. Marc ging dreimal daran vorbei – und kaufte sich auch eine. Weil: «Viel machen konnte man nicht während Corona.» Und weil die Lockdown-Zeit eher einsam war, trat er gleich auch dem Vespa Fan Club bei. Mittlerweile habe er zusammen mit seiner Liebsten schon fünf Vespas in der Garage stehen – klassische Amour fou. Flugzeugpneus, Metall und grüne FarbeUm kurz nach 19 Uhr setzen sich die über zwanzig Vespas in Bewegung. Der Ritt in den Feierabend beginnt. Begonnen allerdings hat das hier schon viel früher. Vor 75 Jahren. Weiter südlich und weniger friedlich. Jagdflugzeuge und Kampfbomber für die italienische Armee hat die Firma Piaggio im Zweiten Weltkrieg gebaut. Die Faschisten wurden besiegt. Kampfjets brauchte es keine mehr. Die finstere Zeit wirkte nach – in den Menschen und in einer kaputten Infrastruktur. Mobilität war gefragt. Enrico Piaggio gab also den Auftrag, einen einfachen, sparsamen Motorroller zu entwerfen. Gebraucht werden sollte, was noch in der Fabrikationshalle stand: Flugzeugpneus, Metall, grüne Farbe. Entwickler Corradino D’Ascanios Leidenschaft galt dem Hubschrauber, Motorroller verabscheute er. Trotzdem machte er sich daran, einen zu entwerfen – und landete einen Coup. «Sembra una Vespa», soll Enrico Piaggio gesagt haben, als er einen ersten gezeichneten Entwurf davon sah – «sieht aus wie eine Wespe». Welchen Siegeszug rund um den Globus diese Wespe antreten würde, ahnte Erfinder D’Ascanio damals nicht. Auch nicht, dass dieses aus der Not geborene Fahrzeug ein Lebensgefühl verkörpern würde. Eines, das auch 75 Jahre später noch da ist. Denn sonst würden an diesem Mittwochabend nicht die Vespafans im Abendlicht durchs Säuliamt knattern. Zuvorderst mit dabei: Daniel Urben (55). Schon seine Eltern fuhren auf der Vespa über den Gotthard in die Tessinferien. Er selbst war zwanzig Jahre alt, als ihn ein Kollege aus der Pfadi anrief. Falls Daniel eine Vespa wolle, könne er seine haben, meinte der. Einzige Bedingung: Sie musste sofort abgeholt werden. Das tat Urben. So begann alles. Das «Schrauben», wie das Rumhantieren an der Vespa genannt wird, das Fahrgefühl, der Vespafanclub und schliesslich der eigene Laden Scooter Planet, der nächstes Jahr seine 25-Jahre-Jubiläum feiert. Doch zurück zum Lebensgefühl. Marc erklärt es so: «Helm aufsetzen, draufsitzen und alles andere vergessen.» Hinter dem Vespalebensgefühl steckt kluges Marketing. Weltweit wird die Vespa mit Freiheit assoziiert. Gewollt. Piaggio war eine der ersten Firmen, die mit Prominenten für ihr Produkt warb. Unvergessen die Szene im Film «Roman Holiday» aus dem Jahr 1953, in der Audrey Hepburn zusammen mit Gregory Peck auf einer Vespa durch die Strassen Roms kurvt. Verewigt nicht nur im Film, sondern auch auf unzähligen Filmplakaten. Das war sowohl eine Romanze zwischen den beiden Filmcharakteren als auch eine zwischen der Vespa und Rom. Sie würde anhalten. Und viele Jahre später auch die gelernte Floristin Isabelle Hunziker verzaubern. Die 43-Jährige ist bei der Ausfahrt im Mittelfeld anzutreffen. Ihre Vespa gehört nicht zu den schnellsten, dafür zu den schönsten. Sie selbst sei eine «super Schnulzen-Trulla», sagt Isabelle. Jeden Vesparomantikfilm haben sie gesehen, natürlich auch den mit Audrey Hepburn. Und so kam es, dass der Partner einer Arbeitskollegin sie eines Tages an einem Geburtstagsfest Daniel vorstellte. Gefunkt hat es auf einem dieser dreirädrigen Vespatransporter. Und mit Daniel kam die Vespa von der Leinwand in ihr Leben. An ihrer ersten Vespa schraubten die beiden gemeinsam herum. Sich zusammen die Hände dreckig zu machen, war Teil ihrer Liebesgeschichte. Was Isabelle gefällt an den italienischen Zweirädern: «Die Form und dass es so schön knattert.» Was sie auch mag: «Dass die Vespa stinkt.» Tatsächlich stinkt es, wenn zwanzig Vespas durch das zürcherische Hausen knattern. Wobei Daniel präzisiert: «Für uns ist das Parfüm!» Assistentin schaut nach der Vespa des ChefsEs gibt über 100 Piaggio-Werke auf der ganzen Welt. Sie haben bis heute etwa 19 Millionen Vespas produziert. Exportiert wurden sie aus Italien als Erstes in die Schweiz. Und es wird gemunkelt, dass heute nirgends auf der Welt so viele Vespas durch die Strassen kurven wie in Zürich. Die allererste und die zweite je produzierte Vespa übrigens sind verschollen. Die dritte wurde 2017 versteigert. Sie soll noch fahrtüchtig sein. Richtpreis: 300 000 Euro. Der neuste Streich aus dem Hause Piaggio: die Vespa 946 Christian Dior. Eine limitierte Sonderkollektion. Zu kaufen ab diesem Herbst – allerdings nur bei Dior und in ausgewählten Piaggio-Niederlassungen. Kostenpunkt: 18 000 Euro. Wer es noch exklusiver will, lässt sich eine Vespa auf den eigenen Geschmack anpassen. In Farbe und Ausstattung. Dieses Segment wächst. Auch Daniel macht Massanfertigungen. Manchmal trifft er den Kunden oder die Kundin nicht persönlich, sondern nur die persönliche Assistentin, die regelmässig vorbeischaut, um sicherzugehen, dass die Vespa genau so wird, wie ihr Chef sie sich ausgedacht hat. Auf der Mittwochsausfahrt gibt es sowohl neue Vespas wie auch Oldtimer, an denen jahrelang herumgeschraubt wurde. Gewisse Oldtimer können bis zu 30 000 Franken kosten. Gefahren werden diese Raritäten allerdings eher selten. Doch sogar beim italienischen Designklassiker ist das Aussehen nicht alles. Es geht auch um Komfort. Schon damals, 1946. Und zwar vor allem für die Frauen. Denn die Vespa lässt sich auch mit Rock fahren. Das tut Isabelle im Sommer gern. Im Winter gönnt sie sich beheizbare Handschuhe – «die beste Investition ever». Ein anderes Mitglied schwört auf die beheizbare Kniedecke. «Super unsexy», sagt Isabelle und lacht. «Wir sind alle älter geworden», meint Daniel. Er ist Gründungsmitglied vom Vespa Fan Club. Geplant war das nicht. Denn Daniel und ein Kollege wollten sich eigentlich einem bestehenden Verein anschliessen. Bloss als die beiden, damals Mitte zwanzig, bei einem Treffen vorbeischauten, trauten sie ihren Augen nicht: Da war keine Vespa vor dem Restaurant, und die Clubmitglieder sassen trotz Hochsommer drinnen. Nur Greise, die sich nicht für die Neuankömmlinge interessierten und nach einer Weile zum Kegeln übergingen. «Das passte nicht», sagt Daniel und lacht. Seither gibt es den Vespa Fan Club. Und der ist wie alle Vespaclubs im Gegensatz zu den Hells Angels, dem wohl bekanntesten Zweiradclub, weder in zwielichtige Geschäfte verstrickt, noch gibt es ein Aufnahmeprozedere. Was die Vespa-Club-Mitglieder verbindet, ist die Freude am Gefährt und am Fahren – und eben manchmal auch die Liebe. Weiter also in der Liebesgeschichte: Daniel und Isabelle trennten sich nach 14 Jahren. Die Leidenschaft für Vespas blieb. So ist Daniels Partnerin bereits Besitzerin von zwei Vespas, und Isabelle fand ihre neue Liebe gar in der Vespaszene: Chrigu Steger (48) aus Bern, der mittlerweile in Zürich lebt. Zurzeit ist Chrigu daran, ein weltweites Vespatreffen zu organisieren. Eigentlich hätte es schon dieses Jahr in Interlaken knattern sollen. Wegen Corona wurden die «Vespa World Days Suisse» um ein Jahr verschoben. Nächstes Jahr also werden dann Tausende Wespen ins Berner Oberland schwirren. Höhepunkt wird die gemeinsame Ausfahrt sein. Die ganze Adriaküste runter bis DubrovnikDie Zürcher Mittwochabendausfahrt endet im Restaurant Frohsinn in Uitikon-Waldegg. Man isst und redet. Und rasch ist klar: Isabelle, Daniel und Chrigu sind Freunde. Jeder freut sich über das Glück des anderen. Und jeden hier hat die Liebe zur Vespa an einem anderen Punkt im Leben erwischt. Bei Clubpräsident Stefano Cester (51) passierte es im Stau. Als der sich nach einer Stunde auflöste und Stefano endlich einen Parkplatz für sein Auto in der Stadt Zürich gefunden hatte, war noch eine halbe Stunde Parkgebühr fällig. Ohnehin schon wütend, dachte Stefano, er spare sich das. Als er heimkehren wollte, fand er am Auto eine Busse. Am nächsten Tag suchte Stefano im Internet nach einer Vespa. Fertig mit Stau, Parkplatzsuche und Bussen, dachte er. Nicht damit gerechnet hatte er wohl, dass die Vespa sein Leben auf den Kopf stellen würde. Zu der einen Vespa kamen weitere hinzu. Stefano sagt. «Ich habe rausgefunden, dass es das Allerschönste ist, mit einer Vespa in die Ferien zu fahren.» Viel schöner als im Cabrio. Im Auto sei er gestresst, bei der Vespa wisse er: «Die fährt einfach 80 Stundenkilometer. Stressen bringt da nichts.» Ausserdem bekomme er viel mehr davon mit, was am Strassenrand vor sich gehe. Schon oft habe er Zelt und Schlafsack auf die Vespa gepackt und sei losgefahren. Die ganze Adriaküste runter bis ins kroatische Dubrovnik, mit der Fähre nach Bari und wieder rauf in die Schweiz. Oder nach Sizilien, nach Sardinien. Mittlerweile hat Stefano alle seine schnellen Autos verkauft. Beim Ausklingen dieses Abends im Restaurant Frohsinn zeigt sich noch etwas anderes: Die Vespa ist nicht nur ein Stück Freiheit, sondern auch ein bisschen Heimat. Und die gibt es für Vespafahrerinnen und -fahrer überall auf der Welt. Wer eine Panne hat, findet stets ein hilfsbereites Mitglied eines örtlichen Vespavereins. Isabelle und Chrigu bieten Hilfe in der Schweiz an für Vespafahrende in Not. Isabelle hält fest: «Wer eine Panne hat, bekommt in unserem Zuhause auch gleich noch ein Bett und etwas zu Essen.» Selbstverständlich sei so was, findet sie.