An Herbert Bolliger hätte «Dutti» seine Freude gehabt. Der Wettinger führte die Migros von 2005 bis 2017 und verteidigte auch nach seinem Rücktritt das Erbe und die Werte von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler (1888–1962) rigoros. Nun ist Bolliger nach langer Krebserkrankung im Alter von 71 Jahren in der Nacht auf Donnerstag verstorben.

Insbesondere die geplante Aufhebung des Alkoholverkaufsverbots in den Supermärkten war ihm ein Dorn im Auge. Wobei er immer betonte, dass er sich in dieser Sache nicht als ehemaliger Migros-Chef, sondern als stimmberechtigter Genossenschafter äussere. «Zum Fundament der Migros gehört eben auch, dass kein Alkohol verkauft wird. Dass man bereit ist, dieses Erbe, das die Einzigartigkeit ausmacht, einfach so über Bord zu werfen, das verstehe ich nicht», sagte Bolliger im Interview mit Blick 2022 kurz vor der entscheidenden Abstimmung, die klar zugunsten der Alkoholgegner ausging.

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Aus einfachen Verhältnissen

Typisch Bolliger: Für die Fotoaufnahmen stellte er sich aufs Trottoir an der Zürcher Langstrasse, der Hauptsitz der Migros am Limmatplatz im Hintergrund. In seinen Interviews wirkte er manchmal etwas hölzern, doch immer authentisch und sattelfest in der Sache – und mit viel Herzblut für den Detailhandel.

Bolliger stammt aus einfachen Verhältnissen, sein Vater war Metzger bei Bell, die Finanzen meist knapp. Trotzdem konnte der spätere Migros-Chef ein Wirtschaftsstudium absolvieren, verdiente sich als Bademeister etwas Geld dazu. Seine Wurzeln hat er nie vergessen, lud jeden Freitag ein Dutzend Mitarbeitende in sein Büro im 19. Stock im Migros-Hochhaus zum Mittagessen ein.

Ein Büro, das Bolliger in seiner Amtszeit nicht gross verändert hat, denn Nachhaltigkeit war für ihn nicht bloss ein paar Seiten im Geschäftsbericht, sondern gehörte zur DNA der Migros. Die Beziehung zur Basis war ihm sehr wichtig, er kannte viele Angestellte beim Namen, erkundigte sich persönlich nach dem Fortschritt ihrer Projekte und Aufgaben. Zur Zeit Bolligers arbeiteten für die Migros über 100'000 Menschen.

«Er kannte alle Bereiche der Migros und war entsprechend kompetent. Er war unbestechlich, schnörkellos, weitsichtig, wertschätzend und für alle Mitarbeitenden auf allen Stufen nahbar», sagt Monica Glisenti (65), die ihn als Kommunikationschefin während zwölf Jahren eng begleitet hat. «Er war unaufgeregt, entscheidungsfreudig und stets da, wenn man ihn brauchte – ein Chef, wie man sich einen Chef wünscht.»

Bolliger holte den Alkohol in die Migros

Bolliger arbeitete nach dem Studium für die Chemiefirma Bayer, ehe er 1983 zur Migros kam – und dieser mit Ausnahme eines kurzen Abstechers in die Zementindustrie bis zur Pensionierung treu blieb. Sein Gesellenstück lieferte er mit der Fusion der Genossenschaften Aarau/Solothurn und Bern zur Migros Aare ab. Später bezeichnete Bolliger diese Zusammenlegung gegen viele Widerstände «als das Anstrengendste, was ich je gemacht habe».

Der Frühaufsteher war ein unermüdlicher Schaffer und krönte seine Karriere mit dem Aufstieg an die Spitze der Migros. Und holte ironischerweise als Erstes den Alkohol in die Migros – durch den Kauf von Denner im Jahr 2007. Als ehemaliger Migros IT-Chef erkannte Bolliger zudem früh die Bedeutung des Onlinehandels und holte den Versandhändler Digitec Galaxus in die Migros-Familie.

Nicht alles, was Bolliger anfasste, war für die Migros auch ein Erfolg. Der Kauf von Depot erwies sich ebenso als ein Verlustgeschäft wie der Einstieg bei der Kleiderfirma Charles Vögele. Und auch die Expansion in den Fitnessbereich war nur in der Schweiz erfolgreich – im Ausland dagegen ein Flop.

Noch wichtiger als die Migros war Bolliger nur seine Familie. Er hinterlässt seine Frau Beatrice und zwei erwachsene Kinder. Und auch seiner Region blieb er treu: Aufgewachsen in Wettingen AG, lebte er lange Zeit in Oberrohrdorf AG, eher er für seine letzten Lebensjahre wieder nach Wettingen zurückkehrte.