BILANZ: Obwohl sich Ben Bernanke erst im Januar zurückzieht, ist der Kampf um seine Nachfolge bereits lanciert. Bernankes Vize Janet Yellen und Larry Summers, Bill Clintons früherer oberster Wirtschaftsberater, kreuzen die Klingen. Wer macht das Rennen?

Ernst Baltensperger: Beide sind überzeugte Keynesianer und würden Bernankes lockere Geldpolitik wohl vorerst weiterführen. Ich halte die Wahl von Yellen für wahrscheinlicher, da sie erstens seit drei Jahren Bernankes Vize ist und zweitens – und das ist ein wichtiges politisches Argument – die erste Frau an der Fed-Spitze wäre.

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Die Fed hat in den letzten Monaten sowohl die Ziele bei Inflation als auch im Arbeitsmarkt verpasst. Das spricht gegen Yellen.

Punktlandungen sind ein Ding der Unmöglichkeit. Solche Ziele sollte man nicht überbewerten. Im Gegensatz zu Summers ist Yellen aber festgefahren auf Wachstum und Arbeitsmarkt. Inflation lässt sie ausser Acht und nimmt damit grosse Risiken in Kauf.

Wie bitte? Die US-Arbeitslosenquote muss nun mal sinken.

Ja, aber nicht um jeden Preis. Die tiefen Zinsen verhindern einen funktionierenden Kapitalmarkt, das Risiko neuer Blasen steigt, der Anreiz zur Entschuldung verpufft. Inflation kommt bestimmt. Yellen und Bernanke glauben, die Situation mit ihrer Forward Guidance im Griff zu haben. Das ist der geldpolitisch letzte Schrei: Inflationserwartung durch Kommunikation steuern.

Das spricht aber dann eher für Summers.

Er würde zumindest etwas neutraler agieren, zumal er Bernankes lockeren Kurs schon kritisierte. Summers muss sich aber den Vorwurf gefallen lassen, eng zu sein mit der Wall Street, und er hat die Tendenz, überheblich aufzutreten. Inhaltlich würde ich ihn vorziehen, charakterlich aber Yellen.

Welcher der Kandidaten hat den engeren Draht zur Schweiz?

Yellen ist durch ihr langes Wirken in der Federal Reserve wohlbekannt bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Aber am Ende zählt die Persönlichkeit.

Wie beeinflusst die Wahl die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Schweizerischen Nationalbank?

Die Fed bleibt die wichtigste Zentralbank. Daran ändert sich in naher Zukunft nichts. Behält die Fed die Tiefzinspolitik bei, dann können EZB und SNB schwer einen anderen Kurs einschlagen. Unter Yellens Regime würde sich daher nichts ändern. Summers ist diesbezüglich eine Wundertüte. Sollte er das Rennen machen, dann könnte er das Bedürfnis haben, sich von der Politik seines Vorgängers zu emanzipieren und an der Zinsschraube zu drehen.

Ernst Baltensperger: Der 71-jährige Zürcher ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bern, war Direktor und Berater des Studienzentrums Gerzensee der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und Präsident der Eidgenössischen Kommission für Konjunkturfragen.