Economiesuisse-Chef Christoph Mäder über Neutralität, Kriegsmaterialexport und Alpensolarprojekte

Er geht schlaue Allianzen ein, um Volksabstimmungen zu gewinnen. Er spaltet die Wirtschaft nicht, wie es frühere Präsidenten getan haben. Und er ist skandalfrei, im Unterschied zu ehemaligen Wirtschaftsführern. Dennoch redet er nicht um den heissen Brei herum. Das ist Christoph Mäder (64), seit zweieinhalb Jahren Präsident von Economiesuisse. Er ist die politische Stimme der wichtigsten Wirtschaftsverbände und Grossfirmen der Schweiz. Für Mäder läuft es gut. Seit er im Amt ist, hat der Dachverband acht Abstimmungskampagnen geführt, und sieben sind in seinem Sinne ausgegangen: Das Volk schickte die Konzernverantwortungsinitiative bachab. Das Freihandelsabkommen mit Indonesien wurde angenommen. Nur die Abstimmung zur Reform der Verrechnungssteuer hat Mäder verloren. Anders als sein Vorgänger nimmt er kein Blatt vor den Mund. «Die Russen führen einen brutalen Krieg in der Ukraine», sagt Mäder. Während es in der Politik eine Ambivalenz gebe, wie man zum Konflikt stehen soll, gebe es eine solche in der Wirtschaft nicht. «Die Beurteilung, was im Ukraine-Krieg Recht und Unrecht ist, ist nicht ambivalent», sagt Mäder, «Russland ist der Aggressor.» Über den Krieg hat der siebzigköpfige Vorstand des Wirtschaftdachverbandes gesprochen. «Ja, man ist in grosser Sorge über die Folgen und den Verlauf», sagt Mäder. Ist die Neutralität ein Thema? «Ja, das war sie, aber es ist dazu kein Beschluss gefallen.» Im Vorstand sitzen auch Ems-Chemie-Chefin Magdalena Martullo und Swiss-Life-Präsident Rolf Dörig. Sie gelten als Anhänger des Blocher'schen Neutralitätsbegriffs, der eine Parteinahme verbietet. Mäder sagt, Konzerne wie die Ems-Chemie, ABB oder Nestlé seien in Russland weiterhin präsent, aber sie hätten ihre dortige Produktion stark reduziert. Diese Firmen fühlten sich verantwortlich für die Angestellten vor Ort und hofften, dass Russland sie dort nicht enteigne. Mäder ist privat Verwaltungsrat (VR) der Ems-Chemie. Über seine Haltung im VR schweigt er pflichtgemäss. Gleiches gilt für seine VR-Mandate bei der Baloise und bei Lonza. Auch ist er Bankrat der Nationalbank. Gegen die Enteignung russischer Oligarchen Forderungen nach einer Enteignung russischer, sanktionierter Oligarchen in der Schweiz lehnt Mäder ab. «Oberste Richtlinie ist der Rechtsstaat», sagt Mäder, von Haus aus Rechtsanwalt für Wirtschaftsrecht. Er arbeitet im kleinen Umfang bei einer kleinen Lenzburger Anwaltskanzlei. Über Mandate spricht er nicht: Das gehöre zum Anwaltsgeheimnis. Aus dem Kontext seiner Aussagen geht aber hervor, dass er sicher keine Oligarchen vertritt. Und dennoch ist für ihn klar: «Politisch motivierte Beschlagnahmungen lassen sich juristisch nicht rechtfertigen», sagt Mäder, der Mitte der 80er Jahre an der Uni Basel sein Rechtsstudium abschloss. Auf die Frage, ob die Schweiz Bewilligungen zur Wiederausfuhr von Schweizer Kriegsmaterial in Deutschland, Dänemark oder Spanien (an die Ukraine) erteilen soll, sagt Mäder, dass es dazu keine Position von Economiesuisse gebe. Man habe die Frage nicht diskutiert. Doch Mäder hat eine persönliche Einschätzung: «Die Schweiz sollte den inneren Widerspruch auflösen, dass sie den Kriegsmaterialexport zulässt, aber den Empfängerländern vorschreibt, was sie damit zu machen haben.» Macht er einen Unterschied zwischen Empfängerländern wie Saudi-Arabien und Deutschland? «Die ehrlichere Variante wäre, Ländern wie Saudi-Arabien entweder Rüstungsgüter bedingungslos zu liefern oder den Export dorthin ganz zu verbieten.» Den Alpensolarprojekten fehlen die Leitungen Ein anderes Topthema der Politik ist derzeit «Alpinsolar». Der Bund fördert dringlich grosse Solaranlagen, darunter solche in den Alpen, sofern sie bis 2025 Strom liefern. Mäder lobt die Initiative, ist aber skeptisch, was die konkreten Projekte betrifft. «Das Konzept der alpinen Anlagen hat viel Charme. Doch die Anlagen stehen am falschen Ort», sagt Mäder. Damit meint er die fehlenden Leitungen in die hohen Alpen. Für Anlagen wie für das bekannte Walliser Projekt Grengiols müssten grosse Stromleitungen gebaut werden. Bis Bewilligungen dafür vorliegen, dürften Jahre vergehen – und damit das Recht auf Subventionen verloren gehen. Dringliche Subventionen haben ein Ablaufdatum. «Ideal wäre etwa ein Solarprojekt am Flughafen Belp bei Bern», sagt Mäder. Das Gebiet ist erschlossen und in der Nähe von Stromkonsumierenden. Mäder spielt auf das kürzlich vorgestellte grosse Solarprojekt der BKW an. Und die Stromeffizienz? Der bekannte Nachteil von Solaranlagen im Unterland ist, dass sie im Winter nur einen kleinen Bruchteil der Leistung liefern, weil sie häufig unter der Hochnebeldecke stecken. Alpine Anlagen liefern viermal mehr Energie im Winter – dann, wenn man den Strom am meisten braucht. Mäder sieht das Problem: «Richtig ist, dass Solaranlagen unter der Hochnebeldecke nicht sonderlich effizient sind, aber das Silber-Bullet gibt es nicht.» Es brauche einen raschen Zubau, auch im Unterland. Der oberste Wirtschaftsführer hebt hervor, was die Schweiz vor allem braucht: zusätzliche Bandenergie, seit ein AKW abgeschaltet worden ist. Die Lücke ist beträchtlich. Mit Bandenergie gemeint ist die gleichmässige Stromproduktion unabhängig von der Saison oder Tageszeit. Eine solche liefern derzeit nur Flusskraftwerke und die AKW. «Die Atomkraft muss in der Schweiz eine Option bleiben, sonst wird es für die Schweiz sehr schwierig», sagt Mäder. Müsste das Stimmvolk erneut über die Zukunft der AKW abstimmen? Mäder antwortet für einmal diplomatisch. «Zum Glück steht kein Abschaltdatum im Gesetz, aber wir dürfen uns nicht auf Solaranlagen fixieren.» Es sei sehr wahrscheinlich, dass die Schweiz noch lange Jahre auf Atomstrom angewiesen sei. Es brauche Investitionsanreize des Bundes in Bandenergie, auch in AKW. Damit meint er Subventionen. «Die Schweiz wird auch in Zukunft Atomkraftwerke nötig haben», sagt Mäder, das sei seine persönliche Haltung, «und nicht abgesprochen mit dem Vorstand». Dies gelte umso mehr, als ein Stromabkommen mit der EU «in weiter Ferne» sei. Die Schweiz sollte das EU-Schiedsgericht akzeptieren Mäder kritisiert nicht nur, er macht auch konkrete Vorschläge, so etwa in der Europa-Politik. Das Herumeiern im EU-Dossier in Bundesbern ärgert ihn immer wieder. «Die Schweiz muss sehr bald einen neuen Vertrag abschliessen und zu Kompromissen bereit sein», sagt Mäder, «das gilt auch für die EU.» Wo könnte die Schweiz nachgeben? «Bei der dynamischen Rechtsübernahme von EU-Richtlinien und bei der Streitschlichtung», so Mäder. Jedem Juristen sei klar, dass die EU bei der Auslegung von EU-Binnenmarktrecht nur das eigene Gericht anrufen könne: den Europäische Gerichtshof (EuGh). Wenn die Schweiz Teil des EU-Markts sein wolle, müsse sie die EU-Regeln akzeptieren, «einschliesslich der Urteile des EuGh», das sei logisch. Wo muss die EU nachgeben, damit ein Vertrag zustande kommt? «Beim Lohnschutz und der Unionsbürgerrichtlinie», sagt Mäder. Beim Lohnschutz? «Bei Entsendungen von EU-Arbeitnehmenden in die Schweiz muss die EU hiesige Lohnbedingungen akzeptieren.» Und die Unionsbürgerrichtlinie? Diese garantiert EU-Bürgern und -bürgerinnen Zugang zum Sozialstaat in jedem EU-Land, wenn sie dort gearbeitet haben und länger arbeitslos sind. Mäder: «Es kann nicht sein, dass die Schweiz Sozialrechte von EU-Bürgern und -bürgerinnen übernimmt. Wir sind kein EU-Land und haben mit der EU nur ein Marktabkommen.» Sein Vorschlag ist interessant. Dem Bundesrat fehlt die Shortlist Die Liste aktueller Themen, in denen sich Mäder auskennt, ist lange. Überraschend ist, wie deutlich er die Bundesverwaltung kritisiert. «Der Bundesrat hat kein Regierungsprogramm. Er hat keine ‹Shortlist› der Themen, die er prioritär lösen will. Stattdessen lässt er sich von der Aktualität treiben.» Dies schade der Wirtschaft und dem Wohlstand. Als Beispiel nennt er erneut die Energiepolitik. Bereits 2012 erkannte die Regierung das Problem des Strommangels und drohender, landesweiter Stromabschaltungen. «Sie würden uns als Land massiv schädigen», sagt Mäder. Der Gesamtbundesrat setzte damals Arbeitsgruppen ein, um die drohende Mangellage zu verhindern, «doch die Bemühungen versandeten», weiss Mäder. 2016 kamen neue, drastische Warnungen vonseiten der Überwachungsbehörde Elcom. Doch nichts ging, was vergleichbar wäre mit der aktuellen «Ausbauschlacht» der erneuerbaren Energien. «Es brauchte die Ukraine-Krise, bis der Bundesrat aufwachte und in die Gänge brachte, was jetzt im Parlament unterwegs ist», sagt Mäder. Das Problem sei, dass jedes Departement sich nur um den eigenen Bereich kümmere. «Es herrscht ein ausgeprägtes Silodenken», kritisiert Mäder, «ein Silodenken, das sich kein modernes Unternehmen mehr leisten kann.» Heute seien alle drängenden Aufgaben politische Querschnittsprobleme. Sie müssen von mehreren Departementen gelöst werden. Es gibt aber je nur ein federführendes Departement. «Wenn dieses Departement ein Thema versanden lässt, dann geht nichts mehr», weiss Mäder. Es fehle die Möglichkeit zu Mitberichten im Bundesrat, die ein Regierungsmitglied dazu auffordern, Versäumtes wieder aufzugreifen», sagt Mäder. Dies müsse der Bundesrat dringend ändern. Mäder spricht druckreif. An diesem Gespräch wird er später keine einzige Zeile geändert haben. Dann steht er auf und eilt zum nächsten Termin. Er nimmt den Bus und sagt an der Haltestelle, der Hauptsitz von Economiesuisse sei auf der «falschen Stadtseite» im gut betuchten Kreis 7. Mäder, der von Lenzburg her pendelt, muss das Stadtzentrum Zürichs durchqueren. Das mag er nicht. Das war vor zwanzig Jahren noch anders, als die Wirtschaftselite an der Goldküste wohnte. Skandale, Rücktritte, Bedeutungsverlust: 20 Jahre Economiesuisse Christoph Mäder (64) war lange Vizepräsident des Verbandes. Er übernahm das Präsidium im Herbst 2020 von Heinz Karrer. Dieser agierte glücklos. Er wirkte in öffentlichen Auftritten oft hölzern und verpasste es, in der Politik prägend Einfluss zu nehmen. Mäder hat diesen Trend gekehrt: Der Präsident und sein Verband sind wieder präsent und nehmen Einfluss. Der Weg bis hierher war schwierig. Bis Anfang der neunziger Jahre galt der Wirtschaftsverband, damals unter dem Namen «Vorort», als politisch sehr einflussreich. Es gibt den Kalauer vom «Vorort, dem achten Bundesrat». Doch nach der Jahrtausendwende schwächten diverse Skandale den Verband, und es drohte die Spaltung. 2001 musste ein Präsident unfreiwillig zurücktreten, weil er als Verwaltungsrat der S-Air Group (Swissair) und von Swiss Life versagt hatte. Sein Nachfolger Ueli Forster war mehr oder weniger erfolgreich unterwegs. Doch sein designierter Nachfolger, Andreas Schmid, trat 2007 nur wenige Tage vor seinem Amtsantritt zurück, weil er mit «Filz»-Vorwürfen konfrontiert war. Stattdessen übernahm der Schaffhauser Gerold Bührer das Präsidium. 2012 wurde ein weiterer Präsident, Rudolf Wehrli, gewählt, der bloss eineinhalb Jahre lang blieb – weil er sich im Aufwand verschätzt hatte. Zu dieser Zeit zirkulierten Berichte über exzessive Boni von Konzernchefs. Die Abzockerinitiative wurde vom Volk angenommen. Der Ruf der Konzerne war ramponiert und damit auch der Einfluss von Economiesuisse in der Politik – dem Verband, der sie lange vertreten hatte. Gleichzeitig erstarkte der zweite Wirtschaftsdachverband, der Schweizerische Gewerbeverband, unter seinem Direktor Hans-Ulrich Bigler. Der Vertreter des Klein- und Mittelbetreiber markierte Distanz und hatte Erfolg damit. Economiesuisse steht nach zwanzig schwierigen Jahren heute wieder geeint da. Zuletzt gewann der Verband die Kampagne zur AHV-Reform. Dies auch dank einem politischen Pakt mit dem Bauernverband. Die Abstimmung zur Verrechnungssteuerreform verlor Economiesuisse zwar, aber mit einem knappen Resultat von 52 zu 48 Prozent der Stimmen. Dies gilt als Erfolg. Die Richtung stimmt für Mäder.

Economiesuisse-Chef Christoph Mäder über Neutralität, Kriegsmaterialexport und Alpensolarprojekte

«Politisch motivierte Beschlagnahmungen lassen sich nicht rechtfertigen»