John F. Kennedy beging als Präsident schwere Fehler, Erfolge waren rar. Doch auch ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod ist der «Mythos Kennedy» ungebrochen. Das originellste Buch unter den vielen Titeln, die zum 50. Jahrestag der Ermordung des US-Präsidenten (22. November) erscheinen, heisst «If Kennedy lived».

Frei übersetzt bedeutet das «Wenn Kennedy überlebt hätte», und was der Autor Jeff Greenfield präsentiert, ist ziemlich atemberaubend: Amerika wäre das Trauma des Vietnamkrieges erspart geblieben, die USA und die Sowjetunion hätten sich vorsichtig angenähert, der Kalte Krieg hätte viel früher ein Ende gefunden. Kurz: Die Geschichte des 20. Jahrhunderts wäre glücklicher verlaufen. «Alternative Geschichtsschreibung» heisst das.

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Auch seriöse Wissenschaftler springen dem Journalisten Greenfield zur Seite. «Es gibt keinen Zweifel, dass der Mord den Verlauf der amerikanischen Geschichte verändert hat», urteilt der Historiker Allan Lichtman von der American University in Washington. «Es gibt heute zahlreiche Hinweise, dass Kennedy Amerikas Verstrickung in Vietnam ernsthaft neu überdenken wollte.»

Als Hoffnungsträger ins Weisse Haus gewählt

Kennedy, der strahlende junge Mann, der Hoffnungsträger einer ganzen Generation, der im November 1960 mit nur 43 Jahren ins Weisse Haus gewählt wurde - er war ein «Unvollendeter». Gerade mal 1036 Tage regierte er, als ihn die Kugeln in Dallas trafen. Der «Mythos Kennedy», die Ausstrahlung des Nationalhelden «JFK» auch auf spätere Generationen beruhen vor allem auf seinem frühen und tragischen Tod - und auf den Optimismus, die Zuversicht, die er unter den Amerikanern entfachte. Das politische Erbe, das, was der Demokrat tatsächlich erreichte, wird dagegen zusehends zur Nebensache.

Amerika, das war damals das «Land der unbegrenzten Möglichkeiten», der Glaube an den «amerikanische Traum» war ungebrochen. Grösser, weiter, höher - nichts schien unmöglich. Sogar den Flug zum Mond kündigte Kennedy tollkühn im Mai 1961, nur wenige Monate nach seinem Einzug ins Weisse Haus, an. Für Millionen junger Amerikaner wurde Kennedy zum personifizierten Symbol Amerikas - jung, strahlend und voller Glaube an eine goldene Zukunft.

Es sind die Bilder, die noch heute lebendig sind, seine pathetischen Reden, die immer noch nachklingen - und selbst durch peinliche Enthüllungen und historischen Korrekturen nichts an Kraft verloren haben. Da ist das Bild des so athletisch und kräftig wirkenden Mannes - der in Wirklichkeit Zeit seines Lebens an schweren Krankheiten litt, gegen seine stechenden Rückenschmerzen ein Stützkorsett tragen musste.

Kennedy: «Ich bin ein Berliner»

Da ist das Bild des glücklichen Ehemannes und Familienvaters neben seiner schönen Ehefrau Jacqueline, das Bild Kennedys im Oval Office, während Sohn John John unter dem Schreibtisch spielt. Dass «JFK» später als «Womanizer» und Frauenheld entlarvt wurde, konnte sein Ansehen kaum ankratzen.

Da ist das Bild des Präsidenten im Sommer 1963 auf Deutschlandtour, der mit seinem «Ich bin ein Berliner» eine Woge der Begeisterung entfachte. Wer erinnert sich da heute noch an die Entrüstung, die Enttäuschung in Berlin, als Kennedy zwei Jahre zuvor den Bau der Mauer tatenlos geschehen liess?

Und da sind natürlich die Bilder seines Todes - als er von den Kugeln getroffen in seiner schwarzen Limousine zusammenbrach. Noch heute überschlagen sich die Verschwörungstheorien. Warum wurde der mutmassliche Mörder Lee Harvey Oswald kurz nach der Tat selbst erschossen - sollte womöglich wirklich ein Komplott vertuscht werden? «Ich glaube, man kann ihn an allen objektiven Standards gemessen keinen grossen Präsidenten nennen», meint der Historiker Stephen Hess vom Brookings-Institut, einem Washingtoner Thinktank. «Und ich glaube, es wäre auch sehr schwierig, ihn einen guten Präsidenten zu nennen.»

Nur zaghafte Reformen

Die Kritik des Experten: Bestenfalls mit halber Kraft hatte sich der Demokrat «JFK» - und der erste Katholik im Weissen Haus - bemüht, gegen die Unterdrückung der Schwarzen vorzugehen. Erst im Juni 1963 brachte er einen umfassenden Gesetzentwurf gegen die Rassentrennung ins Parlament - doch erst sein Nachfolger Lyndon B. Johnson konnte das Gesetz durchboxen.

Vor allem das erste Amtsjahr Kennedys war ein Desaster. Die Invasion im April 1961 in der Schweinebucht auf Kuba, die den Kommunisten Fidel Castro stürzen sollte, scheiterte kläglich. Kaum zwei Monate später der zweite Flop: Auf einem der Höhepunkte des Kalten Krieges traf sich Kennedy mit dem sowjetischen Staatschef Nikita Chruschtschow in Genf - und hinterliess den Eindruck eines unerfahrenen und schwachen Gegners. Mit schwerwiegenden Folgen: Zwei Monate später wurde die Berliner Mauer gebaut, eine grössere Demütigung der Weltmacht USA war damals kaum denkbar.

Und ebenfalls im ersten Jahr schickte der «Newcomer» an der Macht mehrere hundert «Militärberater» nach Vietnam und setzte das langsame Hineingleiten der USA in eines ihrer düstersten militärischen Abenteuer in Gang - am Ende standen 50'000 tote Amerikaner.

Kennedys Mythos ist ungebrochen

Selbst Kennedys Handeln in der Kubakrise, als er im Herbst 1962 sowjetische Atomwaffenlieferungen auf die Karibikinsel mit einer Seeblockade verhinderte, sieht Hess eher kritisch. Die Welt hielt den Atem an, fürchtete einen Atomkrieg. Doch dann gaben die Sowjets im letzten Moment nach. «Er machte einen exzellenten Job damals», räumt Hess ein. «Doch er hat uns in die Krise geführt.» Hätte Kennedy beim Gipfel mit Chruschtschow nicht Schwäche angedeutet, hätte Moskau das Abenteuer mit den Atomraketen für Kuba nie gewagt.

Doch das «Phänomen Kennedy» bedeutet eben auch: Das alles kann das Ansehen des 35. US-Präsidenten nicht wirklich schädigen. Nach wie vor gilt Kennedy als einer der beliebtesten US-Präsidenten.

(sda/muv)