Nach monatelangem Stillstand in der Brexit-Frage hat die Wahl über die Zukunft Grossbritanniens entschieden. Denn bei der Wahl wurde vor allem darüber abgestimmt, ob und wie das Land die Europäische Union verlassen wird. 

Und das Ergebnis ist eindeutig: Johnson, der mit dem Wahlspruch «Let's get Brexit Done» angetreten war, triumphierte. Die konservative Partei holte die entscheidende Mehrheit im Unterhaus, die Labour-Partei sackte auf den tiefsten Stand seit 1935. Damit wird Premierminister Johnson nun seinen Brexit-Deal komfortabel durch das Parlament bekommen. 

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Sein Versprechen: Grossbritannien tritt am 31. Januar aus der EU aus. Und bis Ende 2020 soll das Handelsabkommen mit der EU stehen. Allerdings müsste auch noch das Europäische Parlament dem Austrittsvertrag zustimmen.

1. Die nächsten Schritte

Tritt Grossbritannien am 31. Januar aus der Europäischen Union aus, beginnt die eigentliche Arbeit erst: Die Regierung muss mit der EU ein Abkommen über die künftigen Beziehungen aushandeln, und zwar vor Ablauf der Übergangsfrist bis 31. Dezember 2020.

Die EU will die Verhandlungen mit Grossbritannien vor März aufnehmen: Damit blieben nur zehn Monate, um ein Abkommen zu verhandeln und zu ratifizieren.

Es ist schwer vorstellbar, dass innerhalb eines knappen Jahres ein solches Abkommen zustande kommen kann und von allen Seiten ratifiziert wird – das heisst auch von den Parlamenten der 27 EU-Mitgliedstaaten. 

2. Die Übergangsphase

In der Übergangsphase wäre Grossbritannien zwar formell kein EU-Mitglied mehr. Die Regeln der Zusammenarbeit und des Handels blieben aber weiter bestehen. Die Frist könnte einmalig um ein oder zwei Jahre verlängert werden – Grossbritannien müsste dies jedoch vor dem 30. Juni 2020 beantragen. Im Wahlkampf hatte Premier Boris Johnson dies bereits ausgeschlossen. 

3. Ein Risiko: No-Deal-Szenario 2

Sollte es Grossbritannien nicht rechtzeitig schaffen, ein Handelsabkommen mit der EU abschliessen, und sollte Johnson an seinem Versprechen festhalten, droht ein zweites No-Deal-Szenario. 

Gegenstand des Freihandelsabkommens wären neben Handel und Zöllen grosse Themen wie Migration und Sicherheitspolitik. Die EU wird insbesondere auf die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards sowie ihrer Regeln für staatliche Beihilfen und fairen Wettbewerb pochen. Das heisst «null Dumping» auf Seiten der EU, während Boris Johnsons «Null Zölle, null Kontingente» anstrebt.

Mit einer starken Mehrheit im Rücken könnte Johnson nun allerdings die Hardliner unter den Brexit-Befürwortern in seiner Partei, die eine tiefgreifende Abspaltung von der EU wollen, in Schach halten.

Fazit: Nach dem Brexit ist vor dem Brexit

«Nach dem Brexit ist vor dem Brexit», sagt Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank. «Man mag es sich kaum vorstellen können, doch die Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen werden vermutlich noch komplexer als die bisherigen zum EU-Austritt Grossbritanniens. Die Aushandlung von Freihandelsabkommen benötigen in der Regel Jahre.» Dass die Übergangsfrist eingehalten werden kann, «ist nahezu utopisch».

Zum Vergleich: Allein Grönland mit einer Bevölkerung von weniger als 60'000 Menschen und einer Wirtschaft, die im Wesentlichen auf Fischfang basiert, brauchte drei Jahre, um seine Beziehungen nach dem EU-Austritt 1985 neu auszuverhandeln. 

Auch die Schweiz verhandelte etwa zehn Jahre, um die bisherigen bilateralen Verträge in einem Rahmenabkommen weiterzuführen – das nun bekanntlich immer noch auf der Kippe steht.