Nachfolge von Bundesrat Ueli Maurer: Was Natalie Rickli, Albert Rösti und die anderen taugen

Würde heute gewählt, so wäre der SVP-Politiker Albert Rösti als Bundesrat «so gut wie gewählt». Dies sagte ein gut vernetzter SVP-Politiker aus dem Mittelland. Derzeit spreche alles für den 55-jährigen Berner als Ersatz in der Landesregierung. Er dürfte aller Voraussicht im Dezember als Kandidat antreten, um die durch den Rücktritt Ueli Maurers entstandene Vakanz auszufüllen. Doch das Parlament wählt erst in zwei Monaten. Bis dahin kann viel passieren. Die grosse Frage, die die SVP derzeit umtreibt, ist die Kantonsfrage. Denn Albert Rösti hat einen gewichtigen Makel: Er stammt aus dem gleichen Kanton wie Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Zwei Bundesräte aus dem gleichen Kanton? Bis 1999 war dies offiziell verboten. Dann wurde die Verfassung umgeschrieben, sodass es möglich wäre. Doch eine Doppelvertretung gilt weiterhin als verpönt. Schliesslich steht in der Verfassung nach wie vor, dass bei der Wahl «Rücksicht zu nehmen» sei darauf, dass die Landesgegenden und Sprachregionen angemessen vertreten sind. So rückt die Zürcher SVP-Vertreterin Natalie Rickli in den Brennpunkt der Nachfolgefrage. Welches Wirtschaftsprofil hat sie? Und welches Profil haben andere mögliche Anwärter? Die «Handelszeitung» hat ihr Wirtschaftsprofil durchleuchtet und vergibt Noten für Kommunikation, Durchsetzungskraft und Wahlchancen. Kandidatin 1: Natalie Rickli – der Zürcher Anspruch Die 45-Jährige begann ihre berufliche Karriere ähnlich wie Ueli Maurer mit einer KV-Lehre. Diese absolvierte sie bei der Agrargenossenschaft Fenaco. Maurer unterstützte sie – damals im Fenaco-Verwaltungsrat – als Kandidatin für den Nationalrat. 2007 wurde Rickli gewählt und blieb zwölf Jahre lang im nationalen Parlament, bis sie in den Zürcher Regierungsrat gewählt wurde. Dort übernahm sie 2019 die Gesundheitsdirektion. Die Wahl in den Nationalrat verlieh ihr Flügel. Kurze Zeit nach der Wahl trat sie in den Dienst der Zürcher Werbevermarkterin Goldbach Media. Als Stabsmitglied der Geschäftsleitung entwickelte sie enge Kontakte zur Medienwelt. Sie lobbyierte für die Sache der Privatradios und -fernsehen und bekämpfte die SRG. Ein Vehikel dazu war die überparteiliche Vereinigung «Aktion Medienfreiheit», die Rickli ab 2014 präsidierte. Dort sassen unter anderem der FDP-Rechtsaussen Christian Wasserfallen, der Zürcher Stadtrat Filippo Leutenegger und SVP-Nationalrat Gregor Rutz. Rickli wurde damals von linker und Gewerkschaftsseite heftig angegriffen, weil man ihr Interessenkonflikte unterstelle. Rickli wollte die SRG-Zwangsabgabe («Billag») abschaffen, arbeitete bei einem privaten Medienvermarkter und präsidierte im Parlament die gewichtigen Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen. Ein solches Amt verlange politische Zurückhaltung, so ihre Kritikerinnen und Kritiker. Rickli blieb standhaft. Zwar verloren sie und ihre Mitstreitenden in einer Volksabstimmung knapp die Volksinitiative zur Abschaffung der Billag-Gebühr. Doch die Gebühr wurde später um rund einen Viertel reduziert und die SRG verkleinert. Dies ist aus SVP-Sicht ebenfalls ein Verdienst Ricklis. Ihre Bilanz als Gesundheitsdirektorin ist hingegen durchzogen. Das komplexe Gesundheitswesen war für sie neu. Der Streit um Geld, Tarife und Spitäler ist politische Knochenarbeit, wo selten Lorbeeren zu holen sind. Zwar gelang Rickli Etliches in der Bewältigung der Pandemie, auch gegen Polemik ihrer eigenen Partei. Doch in die Nesseln setzte sie sich, als sie als Zürcherin die systematische Erfassung der Daten von Flugpassagieren am nationalen Flughafen Kloten befahl. Auch eine Ad-hoc-Anschaffung von Geräten zur Herstellung von Schweizer Hygienemasken glückte ihr nicht. Das Amt als Regierungsrätin blockiert sie jetzt, um in die nationale Politik zurückzukehren. Die Chance kommt für die 45-Jährige im dümmsten Moment: Im Februar des nächsten Jahres sind Regierungsratswahlen im Kanton Zürich. Die SVP Zürich hat Rickli zur Wiederwahl empfohlen. So wird es politisch-taktisch schwierig für sie, gleichzeitig Kandidatin für den Regierungsrat und Bundesrat zu sein. Das Fazit: Kommunikation: 5 (von 6) Durchsetzung: 4 (von 6) Wahlchancen: Hoch Kandidat 2: Albert Rösti – der Berner Moment Die Partei will laut übereinstimmenden Berichten dem Parlament eine Zweierkandidatur zur Wahl vorschlagen. Es kursieren etliche Namen, darunter jener der St. Galler SVP-Nationalrätin Esther Friedli und des Aargauer SVP-Regierungsrats Jean-Pierre Gallati. Als gesetzt gilt der erwähnte Berner Albert Rösti. Doch was taugt seine Wirtschaftspolitik? Sein Wirtschaftsprofil ist das eines studierten Agronomen, späteren Staatsangestellten, langjährigen Gemeindepräsidenten, langjährigen Lobbyisten und zwischenzeitlichen SVP-Parteipräsidenten – kurzum eines Vollblutpolitikers. Rösti studierte Agronomie an der ETH, doktorierte dort und absolvierte 2007 ein MBA in Bern und Rochester (USA). Bedeutend war seine Zeit als Direktor der Schweizer Milchproduzenten (SMP, heute Swissmilk), eine Art legales Kartell der Milchbäuerinnen und Milchbauern. Dort wirkte Rösti von 2007 bis 2013. In diese Zeit fällt der Ausstieg aus der Milchkontingentierung, was zu Turbulenzen am Milchmarkt und 2011 zum Zerfall des Milchpreises führte. Die Bauern waren verärgert über die Bundespolitik. So stieg SMP-Direktor Rösti in die Hosen und gewann die Wahl ins Parlament. Zwei Jahre später verliess er die Milchwirtschaft und gründete eine Kleinfirma, die «Büro Dr. Rösti GmbH». Seitdem berät er Kunden darin, wie man in Bundesbern am besten ankommt, und sammelt Mandate gewichtiger Verbände, darunter als Präsident von Auto Schweiz, als Präsident des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbands, als Präsident des Verbands Stahl-, Metall und Papier-Recycling Schweiz (VSMR) und als Präsident des Verbandes für Alters- und Pflegeeinrichtungen (Senesuisse). So stark seine Basis ist, so wenig glänzte er in seiner Rolle als SVP-Präsident. Führungsstärke hatte er nicht, denn er liess sich vom Blocher’schen SVP-Flügel in Sachfragen immer wieder ausdribbeln. Die Wahlniederlage der SVP 2019 schob man ihm in die Schuhe. Zwei Monate später trat er zurück, wie es heisst, auf Geheiss von «Herrliberg». Der Tessiner Marco Chiesa übernahm – und hat seither kaum Präsenz als Präsident. Rösti war rückblickend gesehen der klar Bessere in diesem Amt. Vor zwei Wochen dann der vorläufige Höhepunkt seiner Karriere: Rösti hat im Parlament einen Coup in Sachen Energiepolitik gelandet. Er, als Vertreter der Wasserstromwirtschaft, schaffte es in einem Hinterzimmerdeal, die dringliche Bewilligung zur Erhöhung der Grimsel-Staumauer ins Gesetz zu schreiben – zusammen mit zwei Solarkraftwerken, die im Wallis realisiert werden. Termin 2025. Dieser Parlamentsentscheid ist eine unerwartete Wende in der langen Geschichte des Ausbauprojekts, das jahrelang am Widerstand der Umweltverbände – bis vor Bundesgericht – gescheitert war. Dabei half Rösti auch eine Allianz mit den Linken. Dank seiner früheren Rolle als SVP-Präsident und guter Vernetzung ist Rösti einer der gewieftesten Politiker im Parlament. Er kann sich auch gegen tonangebende Mitglieder der SVP-Fraktion Blocher’scher Prägung durchsetzen. Dies könnte sich für ihn allerdings parteiintern als Handicap auswirken, denn laut einem SVP-Kenner hat sich «Herrliberg noch nicht vernehmen lassen». Damit gemeint ist SVP-Übervater Christoph Blocher. Dieser habe in der Nachfolgefrage noch immer ein Wort mitzureden. Das Fazit: Kommunikation: 6 Durchsetzung: 4 Wahlchancen: MittelDas Wahlprozedere, um Bundesrat zu werden Das Parlament wählt die Nachfolge für Ueli Maurer voraussichtlich am zweiten Mittwoch in der Wintersession, am 7. Dezember. Die Wahl erfolgt in der Vereinigten Bundesversammlung. 246 Stände- und Nationalräte wählen das Mitglied der Landesregierung. Es braucht die einfache Mehrheit, um gewählt zu werden. Der Anspruch der SVP auf den frei werdenden Sitz gilt derzeit als unbestritten. Danach teilt der Gesamtbundesrat dem neuen Mitglied ein Departement zu. Eher unwahrscheinlich wird der oder die Neue das Finanzdepartement erhalten. Denn die Finanzen sind eine begehrte Querschnittsaufgabe: Wer darüber bestimmt, redet über die Budgetierung automatisch in alle Politikbereiche hinein. Offen ist, wer unter den Bisherigen das Finanzdepartement übernehmen will. Alain Berset und Ignazio Cassis kommen am ehesten infrage. Kandidatin 3: Esther Friedli – der Anspruch des Blocher-Flügels Dieses Handicap hat die dritte mögliche Kandidatin, Esther Friedli, nicht. Sie wird der Blocher-Seite der SVP-Fraktion zugeordnet und politisiert eher ideologisch als sachpolitisch. Dies ist der Hauptgrund dafür, dass die Fraktion sie, die Novizin in Bern, in die einflussreiche Wirtschaftskommission gewählt hat. Mit Rösti teilt sie sich aber die berufliche Leidenschaft fürs Politlobbying. Die studierte Politologin, einstige Jungpolitikerin für die CVP und spätere Kommunikationsfachfrau war kurzzeitig Referentin im Generalsekretariat von CVP-Bundesrätin Ruth Metzler. Danach beriet sie Firmen und Verbände darin, wie man in Bundesbern Einfluss nimmt. Nach einem kurzen Intermezzo bei der PR-Agentur Farner nahm sie eine langjährige Stelle beim Staat an, als Generalsekretärin der Bildungsdirektion des Kantons St. Gallen. Nach diesem beruflichen Abstecher als Beamtin gründete sie 2015 das PR-Büro Polestica, woran sich ihr Lebenspartner und frühere SVP-Präsident Toni Brunner beteiligt. Seit 2019 ist Friedli im Nationalrat. Bekannter als ihre Lobbyistenrolle ist ihr Engagement als Betreiberin des Toggenburger Landgasthofs Sonne, berühmt als «Das Haus der Freiheit», dies ebenfalls gemeinsam mit Brunner. Durch diese langjährige Partnerschaft mit ihm, dem Teilzeitlandwirt, kommt sie auch in den engen Kontakt mit den Bäuerinnen und Bauern, die ihrerseits die Bauernpolitiker im Parlament für sie mobilisieren könnten. Freilich, Esther Friedlis Handicap ist das gleiche wie Röstis: die Verfassungsbestimmung zur regionalen Ausgewogenheit in der Regierung. Eine amtierende Bundesrätin, Karin Keller-Sutter, vertritt bereits die Ostschweiz. Zwei Frauen aus derselben Region – das dürfte vielen im Parlament eine zu viel sein. Auch sagen gewisse SVPler, dass Friedli noch zu wenig lange im Parlament sei, um in der Bundesverwaltung und im Parlament als Bundesrätin zu bestehen. Das Fazit: Kommunikation: 3 Durchsetzung: 2 Wahlchancen: Klein Kandidat 4: Jean-Pierre Gallati – der Aargauer Geheimtipp Als möglicher Bundesratskandidat genannt wird sodann der heutige Aargauer Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati. Der 56-jährige Rechtsanwalt war mal kurzzeitig Nationalrat, nämlich vier Monate nach seiner Wahl 2019. Danach wurde er Regierungsrat und Gesundheitsdirektor des Aargau. Sein Wirtschaftsprofil ist das eines langjährigen Rechtsanwalts im Wirtschafts- und Baurecht und Verwaltungsrates. Bei der Transportfirma Giezendanner (Rothrist AG) war er zuletzt Verwaltungsratspräsident, desgleichen bei einer Tochterfirma Giezendanners in Italien. In der kantonalen Politik engagiert er sich seit 2009. Die Nähe zum SVP-Urgestein Giezendanner könnte für ihn ein Vorteil sein, denn die Transportbranche verfügt in Bern über eine starke Lobby und Giezendanner junior sitzt im Nationalrat. Auch dürfte die Achse der aus dem Aargau stammenden Parteipräsidenten Thierry Burkart (FDP) und Cédric Wermuth (SP) eine Hilfe sein: Der Kanton reklamiert seit langem einen Sitz im Bundesrat, was selbst politischen Opponenten zusammenschweisst. Die Region gilt historisch als untervertreten in der Landesregierung, was man von Bern und Zürich nicht behaupten kann. Sein politisches Rückgrat hat Gallati bewiesen, als er im Zuge kritisierter Corona-Massnahmen den Impfkritiker SVP-Nationalrat Andreas Glarner in den Senkel stellte. Er verteidigte die Umsetzung der sanitarischen Massnahmen aus Bern, setzte sie alle getreu um und stellte sich so gegen die Impf- und Massnahmenkritiker der SVP. Damit verscherzte er es sich aber mit Teilen der Blocher-Treuen. Ob ihm dieser Pandemiehick parteiintern verziehen wird, wird die anlaufende Ausmarchung zeigen. Das Fazit: Kommunikation: 5 Durchsetzung: 5 Wahlchancen: Mittel Derzeit sammeln die SVP-Kantonalparteien die Kandidaturen. Mitte November kommt heraus, wer aufs Zweierticket kommt. Und Anfang Dezember entscheidet die SVP-Fraktion darüber, wen sie portieren will. Die grösste Regierungserfahrung haben Gallati und Rickli. Die stärkste Lobbyist der Wirtschaft ist aber Rösti. Und Friedli fällt im Vergleich zu diesen drei Kandidaturen in vielen Aspekten ab. Ob sie die Blocher-Treuen dennoch portieren? Die weiteren Namen? Der Zuger Nationalrat Thomas Aeschi wird als SVP-Fraktionschef zum Favoritenkreis gezählt. Der 43-jährige Unternehmensberater war bereits 2015 Bundesratskandidat um die Nachfolge von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, unterlag aber Guy Parmelin. Dieser Makel hemmt seine Chancen. Die Bündner Nationalrätin und SVP-Vizepräsidentin Magdalena Martullo-Blocher steht nicht für eine Kandidatur zur Verfügung. Die Partei verfüge über zahlreiche hervorragende Kandidaten und Kandidatinnen, liess die 53-jährige Chefin der Ems-Chemie-Holding mitteilen. Die Tochter des alt Bundesrats Christoph Blocher ist seit 2015 Nationalrätin. Der frühere SVP-Parteipräsident Toni Brunner schliesst ein Polit-Comeback als Bundesrat aus. Brunner war von 1995 bis 2018 im Nationalrat und von 2008 bis 2016 als Nachfolger von Ueli Maurer an der Spitze der SVP Schweiz. Der Luzerner Nationalrat und IT-Unternehmer Franz Grüter sieht sich nicht als Bundesrat. Er werde 60 Jahre alt und «suche das Amt nicht», sagte der Verwaltungsratspräsident des Schweizer Internet- und Rechenzentrenbetreibers Green.ch. Ein Insider sagte, Grüter freue sich auf das Reisen mit seinem neuen, luxuriösen Mobilhome. Der Zürcher Nationalrat Gregor Rutz, sein Name kursierte in den Medien, hat ebenfalls auf eine Kandidatur verzichtet. Er strebe zurzeit kein Exekutivamt an. Seine beruflichen Projekte stünden im Vordergrund, sagte er gestern. (val/sda)

Nachfolge von Bundesrat Ueli Maurer: Was Natalie Rickli, Albert Rösti und die anderen taugen

Maurer-Nachfolge: Was die Anwärterinnen und Anwärter taugen