Militärhelikopter: Neue Spannung in der Luft

Das Parlament hat noch nicht einmal seine Zustimmung zum Typenentscheid des Bundesrates für drei Dutzend neue F-35 Kampfjets gegeben, schon schreiben hochrangige Militärs ihre nächsten Wünsche ins Stammbuch von Verteidigungsministerin Viola Amherd. Diesmal geht es nicht um Tarnkappenbomber, sondern um Schwerlasthubschrauber. Die Ungetüme befördern Militärfahrzeuge, Truppen, Politiker, VIP, UNO-Mitarbeitende und tonnenschweres Lastgut durch die Wolken. Die grössten Lastesel der Lüfte heissen Chinook (Boeing) und King Stallion (Lockheed Martin/Sikorsky) und sollen bald die in die Jahre gekommenen Super Pumas (Airbus) der Schweizer Armee ersetzen. Und sie sind teuer. Sauteuer. Der King Stallion von Lockheed kostet um die 100 Millionen Dollar pro Stück. Das sind 20 Millionen Dollar mehr als der aktuelle Hightech-Düsenjet F-35. Den Chinook von Boeing könnte es bereits für weniger als die Hälfte geben, er basiert aber auf einem etwas älteren Vorgängermodell. In der Kategorie Grosshubschrauber seien das die einzigen valablen Kandidaten, heisst es aus Armeekreisen. Wobei Lockheed sich nicht auf den King Stallion beschränkt und gleich «eine Reihe von Hubschraubern» ins Spiel bringt. Die US-Firma stehe jedenfalls Rede und Antwort, «wie deren Plattformen die operationellen Bedürfnisse der Schweiz erfüllen könnten, wann immer eine Anforderung formalisiert wird», sagt John Neilson von Lockheed Martin. Option für den Bundesrat Die Armeeführung denkt nun intensiv darüber nach, überalterte Helis der Schweizer Armee zu ersetzen. Bereits 2017 stellte der Bundesrat unter dem Titel «Option Grossraumhelikopter für die Armee» in Aussicht, Schwerlasthelikopter zu beschaffen, wenn die Ablösung der Super-Puma-Flotte fällig ist. Seither hat sich viel getan. Zahlreiche Grundlagenpapiere wurden erstellt. «Aktuell sind es deren 27, eines davon betrifft die Luftmobilität», sagte Ex-Luftwaffenchef Bernhard Müller im März dieses Jahres vor Journalisten. Müller wurde Anfang Juli von Peter Merz, Projektleiter für die neuen Kampfjets, als Luftwaffenchef abgelöst. Aber Müllers Aussagen gelten, wie das VBS bestätigt. Analysiert werde in puncto Luftmobilität, was die Armee im Alltag, in Krisensituationen und bei Auslandeinsätzen brauche. Für gewisse militärische und zivile Einsatzformen, zum Beispiel bei einem AKW-Störfall oder bei Auslandeinsätzen und Evakuierungen unter Kampfbedingungen, brauche es eine andere Kategorie Helikopter. Und davon mindestens sechs Stück. In einem Bericht an Bundesrätin Viola Amherd von November 2020 schreiben die Experten des VBS: «Die Schweiz wird regelmässig angefragt, militärische Transporthelikopter für Friedensförderungseinsätze zur Verfügung zu stellen.» Wenn die Schweiz «besonders relevante Beiträge» in der militärischen Friedensförderung leisten wolle, «sollte sie ihr Angebot stärker auf die internationale Nachfrage» nach «high-value assets» wie Grossraumhubschraubern ausrichten, so der Bericht. Gemäss dem «Masterplan 2020» der Armee ist die Finanzierung schwerer Transporthelikopter auch im Rüstungsprogramm 2027 vorgesehen, die Einführung könnte ab etwa 2030 beginnen. Eine Evaluation müsste demnach bereits um das Jahr 2025 über die Bühne gehen. So weit ist es freilich noch nicht. Aber die Namen der potenziellen Lieferanten aus den USA – und Lieblinge vieler Schweizer Offiziere – werden bereits hoch gehandelt: Lockheed Martin versus Boeing. Sie rangelten schon um den Lieferzuschlag für die Kampfjets. Boeing hatte mit dem Modell F/A-18 Super Hornet das Nachsehen. Bei den Transporthelikoptern für die Schweizer Armee will es Boeing aber noch einmal wissen. «Der CH-47 Chinook hat den richtigen Mix an Fähigkeiten, um die aktuellen und zukünftigen Anforderungen der Schweizer Streitkräfte zu erfüllen», sagt Daniel Moszynski, Sprecher von Boeing in der Schweiz. Boeing sei bereit, seine Beziehung zur Schweiz zu stärken und die europäische Chinook-Flotte zu erweitern, indem es mit der Schweizer Industrie zusammenarbeitet, «um ein fortschrittliches, erschwingliches Luftfahrzeug von der Auslieferung bis zur Instandhaltung zu liefern». Die Niederlage gegen Lockheed bei der Kampfjetbeschaffung war für Boeing schmerzlich. Dennoch gab es kein Murren. Das Wohlwollen von VBS, Bundesrat und der Bevölkerung mit Blick auf die Helikopterbeschaffung dürfte schwerer wiegen. Wie es nämlich nicht geht, hatte Lockheed im Zusammenhang mit der Beschaffung der supermodernen Drehflügler in Deutschland erfahren. Scharfe Kritik an teurem Gerät Beide Helikopter-Hersteller, Boeing und Lockheed Martin, haben sich um einen Auftrag der Bundeswehr beworben. Anschliessend wurden die Hersteller mit einem Haufen Sonderwünschen eingedeckt. Es sollten Modelle deutschen Zuschnitts her, nicht ab Stange wie für das US-Militär. Das soll die Beschaffungskosten von 5 bis 6 Milliarden Euro fast verdoppelt haben. Viola Amherds Pendant in Deutschland, Annegret Kramp-Karrenbauer, stoppte deshalb vor wenigen Monaten die Vergabe. Weil unwirtschaftlich. Aus Sicht des Bieters war die Frustration entsprechend gross. So gross, dass Lockheed den Vergabeprozess nicht nur unfair, intransparent und diskriminierend findet, sondern auch rechtlich gegen den Vergabestopp vorgeht. Nicht zuletzt muss Lockheed befürchten, dass nun Boeing mit seinen Chinooks zum Zug kommen könnte. Damit nicht genug, aus dem Herstellerland USA selbst kommt nochmals Druck auf Lockheed in Sachen Mega-Helis. Das Government Accountability Office (GAO) – der US-Rechnungshof – stellte in einem Report vom März zahlreiche Mängel beim Gerät von Lockheed fest: «Es besteht ein moderates Risiko, bis zum Ende der Betriebstests nicht das erforderliche Mass an Zuverlässigkeit oder Nutzlast zu erreichen.» Während der Erprobung wurden technische Probleme festgestellt, die zu starken Lieferverzögerungen führten. Und die Kosten des Programms stiegen seit Beginn um fast 15,3 Milliarden Dollar. Grund dafür sei, dass hier ein Hubschrauber bereits angeboten werde, der sich noch in der Entwicklung befinde. In früheren Überprüfungen stellte das GAO fest, dass das zwar verständlich sei, «aber auch zu Kostensteigerungen und Terminverzögerungen führen kann und den Entscheidungsträgern rechtzeitige, wichtige Informationen vorenthält». Ob das für Bundesrätin Amherd relevant sein wird, ist fraglich. Bei der Wahl des F-35-Jets stützte sie sich «nicht auf Berichte anderer Länder», sondern «auf die Fakten, die bei uns vorliegen».