Putin hat ein Problem, das nicht mit dem Aufstand der Gruppe Wagner endet. Denn er kann seine Minister und seinen engsten Kreis nicht zwingen, Leuten wie Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin, welche durch Staatsaufträge zu riesigem Vermögen und Einfluss gelangen, den Hahn abzudrehen: Die Machtelite, die von staatlichen Aufträgen lebt, ist gleichzeitig auch die Grundlage dieses verrotteten Systems. Das zeigt sich an niemandem besser als an dem Chef der Gruppe Wagner, der am Wochenende mit seinem Marsch auf Moskau den Aufstand probte.

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Prigoschins Imperium und sein Einflussbereich haben unvorstellbare Ausmasse angenommen und sich der Kontrolle des Kremls entzogen. Doch ohne die Beteiligung des Staates und milliardenschwere Verträge wäre das gar nicht möglich gewesen – Putin selbst hat jemanden gepampert, der es sogar wagte, «Opa» – wie der russische Staatspräsident auch genannt wird – offen als «Arschloch» zu bezeichnen.

Zur Autorin

Jana Schweizer war Redaktionsleiterin bei der unabhängigen russischen Nachrichtenplattform «Fontanka». Seit 2021 lebt sie in der Schweiz.

Neulich nannte Putin persönlich die Höhe der öffentlichen Mittel für die Wagner PMC (Private Military Company) von Mai 2022 bis Mai 2023: Mehr als 86 Milliarden Rubel (rund 900 Millionen Franken) hat der russische Staat für den Unterhalt der Söldner bereitgestellt. Weitere 80 Milliarden (836 Millionen Franken) verdiente Prigoschins Unternehmen Concord mit der Lieferung von Lebensmitteln an die Armee.

Verträge mit dem Staat sind seit Jahren die wichtigste Geldquelle für Prigoschin. Das «Wall Street Journal» schätzt, dass mit Prigoschin verbundene Firmen zwischen 2014 und Ende 2022 staatliche Aufträge im Wert von mehr als 5 Milliarden Dollar erhalten haben.

Putin
Foto: Keystone .
Foto: Keystone .

Prigoschins Catering-Unternehmen etwa versorgt seit 2006 das Militär und militärische Einheiten mit Essen. Auch verschiedene internationale Foren, hochkarätige Tagungen und Bankette im Kreml wurden von ihm beliefert. Im Jahr 2016 erhielten eilig gegründete Unternehmen, die ebenfalls mit Prigoschin verbunden sind, milliardenschwere Aufträge zur Bereitstellung von Versorgungseinrichtungen und technischer Infrastruktur für das russische Verteidigungsministerium.

Für die «Förderung russischer Interessen» im Nahen Osten und in Afrika erhielt Prigoschin nach eigener Aussage rund 1,5 Milliarden Franken.

Im Vertrauen auf die Loyalität seines «Kochs» liess Putin zu, dass Prigoschins Unternehmen eine Beinahe-Monopolstellung auf dem öffentlichen Beschaffungsmarkt der Armee einnimmt. Der wiederum übernahm für Putin vor allem die Drecksarbeit im Ausland: Er half mit seiner «Trollfabrik», den US-Wahlkampf 2016 zu beeinflussen, und schickte seine brutalen Kämpfer in die Ostukraine, nach Syrien und in mehrere afrikanische Länder. Kurz vor dem Putsch, als Prigoschins Konflikt mit Verteidigungsminister Sergej Schoigu immer weiter eskalierte, enthüllte der Wagner-Chef, dass er für die «Förderung russischer Interessen» im Nahen Osten und in Afrika innerhalb von 16 Jahren rund 147 Milliarden Rubel (1,5 Mrd. Franken) ausgegeben hatte.

Aber auch im Inland blieb Prigoschin nicht untätig. Seine Trollfabrik hat er mittlerweile zu einem veritablen Medienimperium mit 400 Unternehmen und 21 Millionen Nutzern ausgebaut. Hunderte von Millionen Rubel werden für regierungsnahe Medien, Social-Media-Kanäle und Kommentare ausgegeben, um Werbung von Bloggern zu kaufen und Oppositionelle zu schikanieren.

Prigoschin fürchtete möglicherweise um sein Geschäftsmodell.

Putin muss sich der Risiken bewusst gewesen sein, die mit dem wachsenden Einfluss Prigoschins auch in der Öffentlichkeit verbunden waren. Doch der Präsident hat sich verkalkuliert, als er begann, die Wagner-Kämpfer zu bewaffnen, und Prigoschin erlaubte, Gefängnisinsassen anzuheuern. In seiner Fixierung auf den Sieg über die Ukraine übersah er einen wichtigen Punkt: Prigoschin begann, in seinem eigenen Interesse zu handeln, und zeigte lautstark auf, wie die russische Armee durch Fehler des Verteidigungsministeriums in einem langen Krieg feststeckt. 

Es ist gut möglich, dass Prigoschin mit seiner lautstarken Kritik am Vorgehen der russischen Generäle an der ukrainischen Front und dem Aufstand wirklich nur an die Spitze der Armee gelangen wollte. Für den Wagner-Chef ist Krieg schliesslich ein lukratives Geschäft – das aktuell bedroht ist. Kurz vor seinem Marsch auf Moskau lehnte Prigoschin sogar staatliche Aufträge zur Versorgung der Armee ab, weil er merkte, dass ihm das Geld ausging und er die Aufträge langfristig verlieren könnte. 

Die Frage ist, was Putin tut, wenn noch mehr der Kriegs- und Korruptionsprofiteure ihr Geschäftsmodell bedroht sehen. Wie der Fall Prigoschin gezeigt hat, hat Putin keinen Hebel gegen die Aufsässigen.