Der Absturz des russischen Passagierflugzeugs über Ägypten war ein Attentat, teilt der Kreml wenige Tage nach dem Anschlag von Paris mit. Kann Moskau für seine angestrebte Anti-Terror-Koalition nun neue Mitglieder gewinnen? Wladimir Putin setzt ein überraschendes Zeichen.

Nach einer Schweigeminute für die Opfer des islamistischen Terrors spricht der russische Geheimdienstchef Alexander Bortnikow die brutale Wahrheit aus. «Eindeutig eine Bombe» habe den russischen Ferienflieger über Ägypten Ende Oktober zum Absturz gebracht, sagt er beim Treffen mit Präsident Wladimir Putin.

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Russland im Fadenkreuz

Erstmals räumt Bortnikow im Kreml ein, was westliche Experten schon länger vermuten: Russland steht im Fadenkreuz der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die auch hinter den Anschlägen in Paris steckt. Nach dem Absturz der Maschine über der Sinai-Halbinsel, bei dem 224 Menschen starben, hatte sich der IS mit der Tat gebrüstet.

Nur Stunden nach der Mitteilung dann der Paukenschlag: Putin ordnet eine Koordination mit Frankreich in Syrien an. Die Franzosen sollten wie Verbündete behandelt werden, erklärt er. Den Befehl richtet er vor allem an den Kapitän des Kreuzers «Moskwa» im Mittelmeer. «In nächster Zeit kommt ein Verband der französischen Kriegsmarine, angeführt von einem Flugzeugträger, in Ihr Operationsgebiet. Nehmen Sie direkten Kontakt mit den Franzosen auf und arbeiten Sie mit ihnen wie mit Verbündeten!», sagt Putin.

«Koalition der Gleichgesinnten»

Seit Wochen wirbt er für eine «Koalition der Gleichgesinnten» im Anti-Terror-Kampf, doch der Westen lässt den Kremlchef bisher abblitzen. Für viele ist das Ziel Russlands, seinen Partner Baschar al-Assad mit Bomben im syrischen Präsidentenamt zu halten, nicht akzeptabel.

Im Gegenteil: Menschenrechtsorganisationen und der Westen kritisieren die russischen Angriffe mit Marschflugkörpern scharf. Sie werfen Moskau vor, damit vor allem gemässigte Gegner Assads zu treffen – und nicht, wie vom Kreml behauptet, Stellungen des IS.

Paris ändert alles

Doch Paris ändert alles, so scheint es zumindest. Nach dem «Schwarzen Freitag» könnte die Front gegen Putin bröckeln. Der französische Präsident François Hollande spricht von «Krieg» gegen den IS und will am 26. November nach Moskau reisen. Dabei hatte er erst vor wenigen Monaten noch die Lieferung von zwei Kriegsschiffen an Putin gestoppt, wegen Russlands Unterstützung für Separatisten in der Ostukraine.

Bereits beim G20-Gipfel in der Türkei am vergangenen Wochenende war der Kremlchef ein wichtiger Gesprächspartner von Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama. Russische Medien werten dies bereits als vorläufigen Sieg im Streit mit dem Westen, der in der Syrien-Krise bislang auf der Seite der Aufständischen steht.

Russen befürchten neue Attentate

Der russische Politologe Sergej Markow meint, Putins Forderung nach einer breiten Koalition sollte jetzt ernst genommen werden. Russland sei mit der veröffentlichten Anschlagversion ein «offizielles» IS-Ziel. Hunderte radikale Islamisten aus dem russischen Konfliktgebiet im Nordkaukasus kämpfen in den Reihen des IS, teilweise mit Befehlsrang. Sie sind gefürchtet für ihre besondere Grausamkeit.

Die Islamisten haben in Videobotschaften schon mehrmals ihrem Heimatland mit Anschlägen gedroht – viele Russen fürchten eine Wiederholung von Attentaten wie in der Moskauer Metro im Jahr 2010 oder im Flughafen Domodedowo vor vier Jahren. Der Moskauer Militärexperte Pawel Felgenhauer fürchtet, dass Russland in einen Krieg im Nahen Osten hineingezogen werden könnte. Niemand wolle eine Bodenoperation gegen den Islamischen Staat – dabei habe sie längst begonnen: mit den Anschlägen von Paris, im Herzen Europas.

Desaster für Ägypten

Für das Ferienland Ägypten sind die Aussagen Moskaus zum Sinai-Absturz ein Desaster. Die teils katastrophalen Sicherheitsmängel dort könnten den Anschlag begünstigt haben. Touristen berichten, am Flughafen in Scharm el-Scheich nicht oder nicht gründlich untersucht worden zu sein. Zudem sei es möglich, Glas oder grosse Getränkeflaschen mit ins Flugzeug zu nehmen. Von Scharm el-Scheich war der Airbus A321 der russischen Gesellschaft Kolavia voller russischer Touristen nach St. Petersburg gestartet.

Bei den trauernden Hinterbliebenen der Absturzopfer dürften die Worte von Geheimdienstchef Bortnikow Schmerz und Erleichterung gleichzeitig auslösen. Sie wissen jetzt zumindest, wie ihre Angehörigen starben.

(sda/ise)