Das Nein des Tessiner Stimmvolks zum Radio- und Fernsehgesetz hat schweizweit für fragende Gesichter gesorgt. Bei der nächsten Verhandlungsrunde über den Verteilschlüssel der Gebührengelder könnte dieser Entscheid für den Südkanton negative Folgen haben.

Gemessen an der Bevölkerungszahl ist die italienische Schweiz heute ein grosser Profiteur des Finanzausgleichs nach Sprachgemeinschaft im Service public. Zwei Fernsehsender, drei Radiostationen und eine umfassende Internetplattform - mit der RSI verfügt die italienischsprachige Schweiz über eine der höchsten Mediendichten in ganz Europa.

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Leuthard erstaunt

Finanziert wird dies mit 22 Prozent aller Empfangsgebührengelder, die jenseits des Gotthards zum Einsatz kommen. Dabei sprechen laut Bundesamt für Statistik nur acht Prozent der Schweizer Bevölkerung Italienisch.

Die Medienministerin Doris Leuthard zeigte sich am Sonntag entsprechend erstaunt über das Nein im Kanton Tessin. Der Kanton profitiere am meisten von der einheitlichen Gebühr, gab sie zu bedenken. Die Romandie sei sich bewusst, dass es um die Identität der Schweiz gehe, um eine Grundleistung für alle Landesteile, auch die sprachlichen Minderheiten.

Tessiner Eigengoal?

Das Tessiner Stimmvolk habe in der Änderung des Radio- und Fernsehgesetzes vor allem die Einführung einer neuen Steuer gesehen, sagte Luigi Pedrazzini, Mitglied des SRG-Verwaltungsrats,  auf Anfrage der Nachrichtenagentur SDA. Dabei habe die Regionalgesellschaft Corsi deutlich kommuniziert, dass die Haushalte durch die Änderung nicht stärker finanziell belastet werden.

Die Tessiner hätten sich durch das Abstimmungsergebnis vom Sonntag selbst geschadet, sagte Pedrazzini. Bei der nächsten Verhandlungsrunde über den Verteilschlüssel der Gebührengelder könnte der Südkanton den Kürzeren ziehen.

Überbewertetes «Nein»

Das Tessiner Stimmvolk habe die vergleichsweise privilegierte Lage bei der Abstimmung ausser Acht gelassen, sagte Stephan Russ-Mohl der SDA. Er leitet das Institut für Medien und Journalismus an der Universität der italienischen Schweiz (Usi). Die Frage der Gebührenreform sei bei der Anstimmung in den Hintergrund getreten.

Russ-Mohl gab gleichzeitig zu bedenken, dass das Tessiner Nein mit 52 Prozent recht knapp ausfiel und deshalb nicht überbewertet werden sollte. Die Lega hätte es über ihr Sprachrohr «Il Mattino» aber geschafft, erfolgreich gegen die RSI zu politisieren und sie als «feindlich» einzustufen.

Deutschschweizer im Tessin als Nein-Treiber

Dies werde in der Medienwissenschaft als «Hostile Media Phenomenon» beschrieben und sei beispielsweise auch in Israel beziehungsweise in Palästina zu beobachten, wo beide gegnerischen Lager die Medienberichterstattung ihnen gegenüber als feindselig wahrnähmen, sagte Russ-Mohl.

Am Sonntag hätte ausserdem die deutschsprachige Wohnbevölkerung im Tessin den Nein-Trend verstärkt, wie Daniel Bochsler vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich in einer auf Twitter veröffentlichten Grafik zeigte. Demnach ist die Ablehnung bei den Deutschschweizer «Kolonien» im Tessin um acht Prozent stärker gewesen als bei der italienischsprachigen Bevölkerung.

(sda/dbe/chb)