Tidjane Thiams neue Aufgabe in Afrika

Am 13. Februar 2020 präsentierte Tidjane Thiam die Jahreszahlen der Credit Suisse – zum fünften und letzten Mal. Anschliessend räumte er sein Eckbüro am Zürcher Paradeplatz. Seither ist es still geworden um ihn. Doch untätig ist der frühere Bankenchef nicht, im Gegenteil. Sein Engagement dient allerdings nicht mehr vermögenden Bankkunden aus Hongkong oder verwöhnten Investmentbankern aus New York. Thiam kämpft jetzt fernab vom Scheinwerferlicht gegen die Folgen der Corona-Krise in Afrika. In einer Welt also, wo Social Distancing eine Illusion und Spitzenmedizin für alle ein ferner Traum ist. Côte d'Ivoire, Zimbabwe, Marokko, USADer 57jährige Thiam, Staatsbürger der Elfenbeinküste und von Frankreich, gehört einer Gruppe von Unternehmern, Finanzspezialisten, Managern und Gesundheitsexperten an, die eine länderübergreifende Initiative lanciert haben, wie HZ-Recherchen zeigen. Zum Zirkel der Gleichgesinnten gehören neben Thiam ein Dutzend Leute, darunter Stive Masiyiwa, ein vermögender Tech-Unternehmer aus Zimbabwe, Vera Songwe, Exekutivdirektorin der UNO-Wirtschaftskommission für Afrika, Mostafa Terrab, ein ehemaliger Industriemanager aus Marokko und aktuell Präsident der International Fertilizer Association. Ebenfalls an Bord sind Acha Leke, Afrika-Chef von McKinsey sowie Gayle Smith, Präsidentin von One, einer Lobby-Organisation aus den USA, gegründete von U2-Sänger Bono, die gegen Armut und Krankheiten kämpft. Smith war unter Präsident Barack Obama Chefin der US-Entwicklungsagentur in Washington gewesen. Sie alle arbeiten pro bono für das Anti-Corona-Programm für Afrika. Vor wenigen Tagen tagte die Experten-Gruppe mit der Spitze der UN-Gesundheitsorganisation WHO getagt, um einen Aktionsplan aufzugleisen. Erst Güter, dann SchuldenaufschubThiam lässt via Instragram einen Blick über die Schultern zu: In erster Linie gehe es darum, lebenswichtige Güter wie Test-Sets, Gesichtsmasken und Beatmungsgeräte für chronisch unterversorgte Spitäler zu organisieren. In einem zweiten Schritt folgen Massnahmen zur wirtschaftlichen und sozialen Abfederung der Corona-Krise. Dafür wird ein «signifikanter Schuldenaufschub» für die Privatwirtschaft und klamme Staaten gefordert, ferner ein Stimulus-Paket, wie es diverse Industrieländer aufgesetzt haben. Es gehe auch darum, ähnlich wie in der Schweiz Kleinunternehmen mit gezielten Finanzhilfen über die Liquiditätskrise zu retten. Die Telefone laufen heiss mit der Weltbank, der Afrikanischen Entwicklungsbank, dem IWF, der Europäischen Entwicklungsbank und afrikanischen Regierungen. Ein Lichtblick: Eben hat Europa eine mehrmonatigen Schuldenaufschub für afrikanische Länder angekündigt. Thiams Gruppe von Gleichgesinnten kennt sich seit Jahrzehnten aus diversen Krisenfällen. Die meisten arbeiteten bereits in den 1990er Jahren für NGOs, für die Weltbank, den IWF oder für Regierungen in Afrika. Thiam leitete in der Elfenbeinküste das Nationale Büro für Planung und Entwicklung und koordinierte im Land Gesundheit und Ausbildung. Das waren Erfahrungen, die ihm später im Kampf gegen das Ebola-Virus nützlich waren. «Man darf trotz Ebola-Seuche die übrigen Gesundheitsanstrengungen nicht vernachlässigen, die Folgen wären sonst noch gravierender», resümierte er später seine Erfahrung. Anschliessend stieg Thiam in seinem Heimatland zum Minister für Planung und Entwicklung auf; später, nach einem Militärputsch, kehrte er zurück zur Beratungsfirma McKinsey, dann wechselte er zu den Versicherungskonzernen Aviva und Prudential, was ihn schliesslich an die Spitze der Credit Suisse führte. Tony Blair und Bob GeldofDer Bezug zur Politik und zu Afrika blieb eine Konstante. Der britische Premierminister Tony Blair holte Thiam, damals Europa-Chef von Aviva, 2004 in seine Commission for Africa, die für einen Schuldennachlass für Afrika plädierte. Illustres Aushängeschild von Blairs Entschuldungs-Initiative war Live-Aid-Gründer und Boomtown Rats-Leadsänger Bob Geldof. Kurz darauf holte ihn der frühere Uno-Generalsekretär Kofi Annan ins Africa Progress Panel, das Privatfirmen in Afrikas Städten fördert. Thiam, der als CEO beim Versicherer Prudential der erste Afrikaner an der Spitze eines FT100-Konzern war, genoss auf dem Kontinent längst «Ikonen-Status», wie das «African Business Magazine» schrieb. Überzeugter KapitalistDer nächste Ruf blieb nicht aus. 2011 setzten ihn Barack Obama und Nicolas Sarkozy als Chef eines Infrastruktur-Expertengremiums ein, das zuhanden des G20-Gipfels in Cannes Vorschläge zur Förderung von Afrikas Wirtschaft vorlegte. Als Dank für die Arbeit bekam er den Orden «Légion d’Honneur» an die Brust geheftet. Der nächste Karrieresprung, diesmal zum Chef von Prudential, hielt ihn nicht davon ab, auch bei der Bekämpfung der Ebola-Seuche 2014 mit seinen krisenerprobten Weggefährten wieder anzupacken. Nach seinem forcierten Abgang bei der Credit Suisse in Zürich hat Tidjane Thiam, der als junger Experte für Wachstum und Entwicklung begann, hat in der Corona-Krise eine nächste Aufgabe gefunden. Doch, er sei ein überzeugter Kapitalist, erklärte er einst im Interview – einer mit Empathie.