In der Schweiz schlummert ein russischer Schatz. 7,4 Milliarden Auslandsreserven der russischen Zentralbank sind hierzulande blockiert, 7,5 Milliarden Franken Oligarchen-Vermögen und 15 Liegenschaften eingefroren. Was mit den insgesamt rund 15 Milliarden Franken und den Immobilien passiert? Darauf gibt es bei den Banken und dem für die Umsetzung der Russland-Sanktionen zuständigen Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) eine einfache Antwort: nichts.

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Jede Handlung mit dem gesperrten Vermögen ist verboten: Die Vermögenswerte müssen im Zustand zum Zeitpunkt der Sperrung verbleiben, das Portfoliomanagement ist verboten, nur Zinsen dürfen gutgeschrieben werden. Angelegtes Vermögen kann so über die Zeit an Wert verlieren, nicht angelegte Gelder tun das angesichts von Inflation sogar mit Sicherheit – und Häuser verfallen schlicht. Das ist nichts anderes als schleichende Enteignung.

Anders als Kanada, die USA oder die EU will die Schweiz daran aktuell nichts ändern. Der Bundesrat hat die Konfiszierung von Oligarchenvermögen bereits ausgeschlossen.

Nichts schützt das Vermögen vor Wertverlust.

Bern argumentiert, dass die Beschlagnahmung dem Recht auf Eigentum widerspricht. Gleichzeitig wird jedoch nichts getan, um das Eigentum tatsächlich zu schützen. Durch Wertverlust schmilzt das Vermögen im schlimmsten Fall, ohne dass sich die Betroffenen dagegen wehren können. Obwohl Sanktionen rein politische Strafmassnahmen sind und kein unabhängiger Richter ihre Schuld je festgestellt hat, könnte ihr Eigentum so abnehmen.

Bei den russischen Währungsreserven sieht das Seco zwar mehr Spielraum, beobachtet aber das Voranschreiten der EU aus der Distanz. Am Ende ginge in der Schweiz ohnehin wohl nichts an einer Volksabstimmung vorbei. Expertinnen und Experten bezweifeln auch bei den Zentralbankgeldern, dass die Schweiz sie je beschlagnahmen würde.

Im Zentrum stehen viele Milliarden

Dabei geht es um richtig viel Geld. Angenommen, die Sanktionen sind über einen Zeitraum von 20 Jahren in Kraft. Wie viel ein wenig mehr Zins ausmacht, zeigt die Modellrechnung: In Aktien angelegt kann ein Anleger langfristig mit etwa 8 Prozent Rendite rechnen. Nach 20 Jahren werden aus 15 Milliarden Franken so 70 Milliarden Franken. Legt man diese 15 Milliarden jedoch nur mit dem risikofreien Zinssatz von 1,25 Prozent an, steigt das Vermögen lediglich auf 19 Milliarden.

Was, wenn Sanktionierte erfolgreich klagen?

Das Problem dürfte sich nochmals verschärfen, weil immer mehr russische Oligarchengelder in der Schweiz gefunden oder neue Personen und Firmen sanktioniert werden. Seit das Seco am 25. November 2022 zuletzt Zahlen bekannt gab, hat der Westen den Druck auf Putins Netz nochmals erhöht. Die EU hat im vergangenen halben Jahr zwei weitere Sanktionspakete gegen Russland verabschiedet, denen sich die Schweiz angeschlossen hat, und das nächste ist bereits in Vorbereitung. Der US-Botschafter in Bern rechnet mit bis zu 100 weiteren Milliarden an potenziell sanktionsrelevantem Vermögen in der Schweiz.

Diese enormen Summen bringen eine besondere Verantwortung mit sich. Es ist nicht nur eine moralische und juristische Frage, ob die staatlichen und privaten Gelder beschlagnahmt werden sollten. Das eingefrorene russische Vermögen birgt auch ein Rechtsrisiko. Was, wenn Sanktionen aufgehoben oder erfolgreich angefochten werden – und die Betroffenen oder Russland die Schweiz auf Schadensersatz verklagen?

Die Schweiz hätte rechtlichen Spielraum.

Paradox: Brüssel sichert sich mit seinen Beschlagnahmungsplänen möglicherweise besser gegen dieses langfristige Risiko ab als die Schweiz.

Die EU-Kommission will die russischen Zentralbankgelder bis zu einer allfälligen Rückgabe gewinnbringend anlegen und den Erlös in der Zwischenzeit für den Wiederaufbau der Ukraine verwenden. Und der Justizausschuss im EU-Parlament hat just für einen Gesetzesvorschlag gestimmt, der nicht nur das Einfrieren und Beschlagnahmen von Vermögenswerten beschleunigt, sondern auch deren Wertminderung verhindern soll und Betroffenen allenfalls entschädigt.

Ähnliches wäre wohl auch hierzulande möglich, wenn die Schweiz Putin und seine Getreuen als kriminelle Organisation einstuft. Unabhängig davon, ob Erlöse der Ukraine zugeführt werden oder nicht, wäre das wohl eine kluge Lösung. Denn während die Schweiz das Recht auf Eigentum hochhält, erreicht sie durch konsequentes Nichthandeln mitunter das Gegenteil. Die EU hingegen sichert das Recht auf Eigentum im Zweifelsfall ausgerechnet durch die mögliche Beschlagnahmung. Und schützt sich so möglicherweise vor kostspieligen Rechtsfolgen.