Fast 20 Jahre nach dem Bürgerkrieg auf dem Balkan hat der Internationale Gerichtshof (IGH) Serbien und Kroatien vom Vorwurf des Völkermords freigesprochen. Das höchste Uno-Gericht wies am Dienstag in Den Haag die entsprechenden Klagen beider Staaten ab.

Beide Seiten hätten Verbrechen begangen, allerdings nicht mit dem Ziel, eine ethnische Gruppe zu «zerstören», sondern sie «mit Gewalt zu vertreiben», sagte der Vorsitzende Richter des Internationalen Gerichtshofs, Peter Tomka. Mit dem Urteil geht nach fast 16 Jahren das bisher längste Völkermord-Verfahren des IGH zu Ende.

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Klares Urteil

Serbien und Kroatien hatten sich gegenseitig beim IGH wegen Völkermordes verklagt und Entschädigungszahlungen von der Gegenseite gefordert. «Genozid setzt die Absicht voraus, eine Gruppe zumindest zum Teil zu zerstören», sagte Tomka. Dies konnte das 17-köpfige Gericht jedoch bei keinem der beiden Länder feststellen.

Kroatien habe nicht nachgewiesen, dass Serbien die Absicht gehabt habe, die Kroaten in den besetzten Gebieten in Teilen oder insgesamt auszurotten. Dieses Urteil fiel mit 15:2 Richterstimmen. Umgekehrt habe auch Kroatien keinen Völkermord an den Serben im Zuge der Aufspaltung Jugoslawiens begangen. Dies entschieden die Richter einstimmig, auch der serbische Richter im Gremium schloss sich der Ansicht also an.

Aufruf zu friedlicher Zusammenarbeit

Das Tribunal rief Zagreb und Belgrad auf, für Frieden und Stabilität auf dem Balkan zusammenzuarbeiten: «Das Gericht ermutigt die Parteien zu weiterer Zusammenarbeit», sagte Tomka. Dabei sollten sie auch dafür sorgen, dass die Opfer von Kriegsverbrechen entschädigt würden. Das könne Frieden und Stabilität in der Region fördern.

Während des Balkankrieges nach dem Zerfall Jugoslawiens bekämpften sich auch kroatische Streitkräfte und die von Belgrad unterstützten serbischen Verbände in Kroatien. Allein in diesem Konflikt starben zwischen 1991 und 1995 rund 20'000 Menschen.

Chance für neues Kapitel

Vertreter beider Staaten werteten den Richterspruch als Chance für eine weitere Entspannung in den Beziehungen. Kroatien hatte 1999 zunächst Serbien vor dem Gericht verklagt. Nachdem politische Einigungsversuche wiederholt gescheitert waren, verklagte 2010 Serbien wiederum den Nachbarn.

Kroatien ist seit 2013 Mitglied der EU, Serbien strebt dies ebenfalls an. Die Aufarbeitung des Konflikts und der Kriegsverbrechen ist für die EU ein Kriterium für eine Aufnahme.

Optimismus bei Regierungen

Der serbische Justiz-Minister Nikola Selakovic zeigte sich nach der Gerichtsentscheidung erfreut: «Damit kann ein Kapitel der Vergangenheit geschlossen werden und ich bin überzeugt, dass wir ein neues, helleres und besseres eröffnen», sagte er.

Der serbische Staatspräsident Tomislav Nikolic sieht in dem Urteil sogar eine Rehabilitierung seines Landes als Aggressor. Es «hat grosse Bedeutung für das serbische Volk, weil die gebräuchlichen Stereotypen der internationalen Gemeinschaft über die Ereignisse in früheren Jahren umgedreht werden».

Die kroatische Aussenministerin Vesna Pusic äusserte sich ebenfalls optimistisch. Sie hoffe, nun sei in diesem Teil Europas der Weg frei für eine sichere Zukunft der Menschen.

Kritische Stimmen

Allerdings gab es auch enttäuschte Stimmen. Kroatiens Regierungschef Zoran Milanovic erklärte: «Wir sind nicht zufrieden, aber akzeptieren das Urteil. Von unseren Forderungen an Serbien, dass es den Verbleib der Vermissten aufklärt und (die geraubten) staatlichen Güter zurückgibt, werden wir aber nicht abrücken.»

Die neu gewählte kroatische Staatspräsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic sagte: «Das Gericht hat entscheiden, dass die schweren Verbrechen gegen die Menschenrechte nicht schwer genug gewesen sind, um sie als Völkermord zu bezeichnen.»

Acht laufende Prozesse zu Balkankrieg

Völkermord ist das schlimmste internationale Verbrechen, aber es ist auch am schwersten nachzuweisen. Bisher wurde noch nie ein Staat des Völkermordes schuldig gesprochen. Zudem wurde bislang einzig der Massenmord von Srebrenica 1995 in Bosnien vom Uno-Kriegsverbrechertribunal zum früheren Jugoslawien als Völkermord anerkannt.

Dafür müssen sich noch der ehemalige Serbenführer Radovan Karadzic und der serbische Ex-General Ratko Mladic verantworten. Zu Verbrechen im Balkankrieg laufen derzeit noch insgesamt acht Prozesse vor dem Tribunal in Den Haag.

(sda/dbe)