US-Experte Alfred Mettler über Midterms-Ergebnis: «Die Schweizer Pharmaindustrie muss sich vorbereiten»

Professor Mettler, Sie haben während Ihrer Zeit in den USA viele Wahlen und auch den Start der neuen Regierung verfolgt. Hat Joe Biden Grund zu feiern? Ja und Nein. Ja, weil die Demokraten deutlich besser abgeschnitten haben als von vielen erwartet und weil sie im Senat weiterhin die Mehrheit haben. Nein, falls das Repräsentantenhaus an die Republikaner gehen sollte. Welche Vorhaben der Biden-Regierung gefährdet es, dass das Repräsentantenhaus vermutlich an die Republikaner geht? In diesem Falle läge ein Patt im Kongress vor und die Republikaner würden mit allen Mitteln versuchen, möglichst viele Gesetzesinitiativen zu verhindern. Das würde die amerikanische Politik ein weiteres Mal für zwei Jahre lahmlegen. Ganz abgesehen von der Möglichkeit, das Budget zu blockieren und mit viel Getöse ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten. Im Senat behalten die Demokraten die Kontrolle und gewinnen vielleicht sogar einen Sitz dazu. Was bedeutet das für Biden? Damit kann er weiterhin Bundesrichter und andere Ämter besetzen, die vom Senat bestätigt werden müssen. Aber die wirkliche legislative Macht liegt nicht im Senat. Könnte er mit dem geteilten Kongress bis zur nächsten US-Wahl 2024 überhaupt noch etwas erreichen? Leider kaum, denn gesetzgeberisch bliebe da nicht mehr viel Spielraum. Die Idee, dass ein republikanisches Repräsentantenhaus und ein demokratischer Senat sich auf grosse Würfe einigen, ist Wunschdenken. «Je gespaltener der Kongress, desto besser fürs Business» – teilen Sie dieses Bonmot? Das sagt man so, weil man in bestimmten politischen Kreisen davon ausgeht, dass Gesetze tendenziell eher regulierungsfreundlich und damit Business-feindlich sind. Im Moment trifft das aber klar nicht zu. Beispielsweise hat Biden in seinen ersten zwei Jahren in einem demokratischen Kongress drei grosse Gesetze durchgebracht, und das war für die Wirtschaft sehr gut. Die Schweizer Investments in den USA haben sich innerhalb von einem Jahrzehnt praktisch verdoppelt, 19 Prozent der Schweizer Exporte gehen in die USA. Wie könnte sich das Ergebnis der Midterms auf die Wirtschaftsbeziehungen mit der Schweiz auswirken? Das wird keine Rolle spielen. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und den USA haben sich in den letzten zehn Jahren höchst erfreulich entwickelt, egal unter welcher Regierung. Die Demokraten haben die hohen Medikamentenpreise im Fokus. Glauben Sie, man freut sich in Basel über das Ergebnis der Republikaner im Repräsentantenhaus? Sagen wir mal, man wäre für den Moment beruhigt, wenn die Republikaner dort die Mehrheit zurückerobern können. Aber die Medikamentenpreise sind nun einmal ein brisantes Thema und sie werden so oder so auf den Tisch kommen. Die Pharmaindustrie muss sich darauf vorbereiten. Joe Biden übernahm das Land mitten in der Corona-Pandemie. Dann kamen der Krieg in der Ukraine und Rekord-Inflationsraten. Wo steht das Land wirtschaftlich aktuell? Es zeigt sich ein ungewohntes Bild. Der Wirtschaft geht es nach wie vor sehr gut, aber die Situation ist schwierig. Die gleichzeitige Kombination von Wirtschaftswachstum, tiefer Arbeitslosigkeit, nicht besetzten Jobs, Inflation sowie stetig steigenden Zinsen könnte sehr wohl nächstes Jahr in eine milde Rezession führen. Die Inflation in den USA geht aktuell zurück. Wem oder was ist das zu verdanken? In erster Linie dem Federal Reserve und seinem – nach langem Zögern – beherzten Eingreifen. Dazu auch dem leicht nachlassenden Preisdruck bei den Rohstoffen und anderen Komponenten des Konsumentenpreisindexes. Wichtig ist auch, dass die breiten Inflationserwartungen leicht zurückgegangen sind. Trotz dem robusten Arbeitsmarkt sahen Ökonominnen und Ökonomen noch vor wenigen Wochen die Wahrscheinlichkeit einer Rezession bei bis zu 80 Prozent. Ist die Gefahr erst mal gebannt? Nein, sie ist noch nicht gebannt, aber die Marschrichtung scheint zu stimmen. Eine leichte und zeitlich begrenzte Rezession wäre nicht wirklich schlimm, wenn dafür die Inflation unter Kontrolle kommt.