Wirtschaftsminister Guy Parmelin will Probleme am Mietwohnungsmarkt lösen

Wirtschaftsminister Guy Parmelin hat sich den Wohnungsmarkt vorgenommen und will dort drängende Probleme lösen. Das heisse Eisen: eine Revision des Mietrechts. Was dabei herauskommt, ist offen. Das Vorhaben hat aber an sich schon Seltenheitswert. Denn seit rund dreissig Jahren ist das Mietrecht zementiert. Vonseiten Bundesebene kam so gut wie keine Einflussnahme. Lage am Wohnungsmarkt hat sich verschärft Guy Parmelin dagegen lud bereits vor einem Jahr zu einem runden Tisch zum Thema Wohnungsmarkt nach Bern ein. Im Anschluss beauftragte er das Bundesamt für Wohnungswesen (BWO), Lösungsvorschläge für die dringlichsten Probleme am Mietwohnungsmarkt zu suchen. Diese Vorschläge liegen jetzt vor und bald soll eine Entscheidung kommen, wie weiter. Als der runde Tisch in Bern stattfand, war der Druck seitens der Interessenvertreter bereits hoch. Ein Jahr später hat sich die Lage am Wohnungsmarkt noch deutlich verschärft. «Die sieben Plagen am Mietwohnungsmarkt», nannte es Andreas Ingold vom Schweizerischen Verband der Immobilienwirtschaft (SVIT) unlängst plakativ im Verbandsmagazin, mit dem Fazit: «Es stehen uns herausfordernde Zeiten bevor», sowohl für Wohneigentümer, Investoren als auch Mieter. Die Inflation steigt derzeit nicht prognostizierbar. Infolgedessen ziehen die Zinsen kontinuierlich an, was sich auf die Immobilienbewertungen niederschlägt, die sinken könnten. Gleichzeitig werden die Mieten steigen, wenn der Referenzzinssatz steigt. Anziehende Neben- und Energiekosten werden die Budgets von Mieterinnen und Mietern belasten. Vorstoss im Mietrecht belegt den Druck Doch zurück zum runden Tisch. Zu diesem hatte Bundespräsident Guy Parmelin am 21. Juni vergangenen Jahres eingeladen. Er hatte die Vertreterinnen und Vertreter der grossen Interessenverbände und Spezialisten an diesem Montagmorgen versammelt, um ein heikles Thema anzufassen: eine Revision des Mietrechts. «Das gesellschaftliche Unbehagen muss gross sein, wenn Guy Parmelin wohnungsmarktpolitisch aktiv wird», sagt Martin Neff, Chefökonom der Raiffeisen und langjähriger Immobilienmarkt-Beobachter (hier das komplette Interview). «Was die Gesetzgebung auf dem Immobilienmarkt angeht, gibt es zwar viel Aktivismus auf Gemeindeebene und auf kantonaler Ebene. Staatliche Eingriffe hingegen gibt es seit dreissig Jahren kaum welche.» Letzte Änderung im Mietrecht war der Referenzzinssatz Das beinahe planwirtschaftlich geregelte Mietrecht ist zementiert. 1990 in Kraft getreten, sind alle Anläufe einer grundsätzlichen Revision ohne Ausnahme gescheitert. Die letzte Änderung von grösserer Natur war 2008, bei der Einführung des Referenzzinssatzes. Weitere Artikel zum Mietmarkt in der Schweiz «Das Mietrecht besser anwendbar machen», sagt der Direktor des Bundesamts für Wohnungswesen, Martin Tschirren. Das Interview. «Die Verknappung von Wohnraum ist das viel dringendere Problem», sagt Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. Das Interview. Der grosse Vergleich: Mieten in der Schweiz 2022. Mehr hier. Der Bundesrat steht offenbar unter Handlungszwang, der Druck von aussen hat zugenommen. Schon jetzt ist klar, er wird handeln müssen. Doch zu einem grossen Wurf wird es nicht kommen. Vielmehr versucht man, an ein paar Rädchen im grossen Stellwerk herumzuschrauben. Zu gross ist die Angst, die Vorlage könnte, wie in der Vergangenheit alle anderen auch, zerzaust werden. «Ein Ansatz der kleinen Schritte ist wohl am sinnvollsten», sagt Martin Tschirren, Direktor Bundesamt für Wohnungswesen. Im Vordergrund für ihn steht die Mietzinsgestaltung. Lösungsvorschläge für den Wohnungsmarkt Die Grundlage für diese kleinen Schritte bilden die Lösungsansätze des Bundesamtes für Wohnungsbau. Nach gut einem Dutzend Konsultationen mit Interessenvertretern wurde ein Vorschlag ausgearbeitet und Ende Januar an Guy Parmelin weitergereicht. Nun wartet die Branche gespannt, wie der Bundesrat entscheiden wird. Wird es eine Botschaft geben, die ans Parlament gehen wird? Gemäss gut informierten Quellen soll Guy Parmelin nächste Woche an einem Immobilienkongress in Luzern Antwort darauf geben. Hier die Lösungsansätze aus dem Bericht des Bundesamts für Wohnungswesen, den Guy Parmelin in Auftrag gab: – Zuschlag bei der Nettorendite Festlegung eines zulässigen Zuschlags bei der Berechnung der Nettorendite, die Wohneigentümer erwirtschaften dürfen. Dabei dürfte die Höhe des zulässigen Zuschlags umstritten sein. Zudem erachten nicht alle die Festlegung eines Zuschlags als notwendig. – Berechnungsformel für die zulässige Rendite mit Mietwohnungen Die Entwicklung einer Berechnungsformel zur Ermittlung der zulässigen Rendite (ähnlich dem kalkulatorischen Kapitalkostensatz für Stromnetze, WACC). Sowohl beim SVIT wie auch beim Mieterverband lautete die erste Reaktion: «Warum nicht?» Die jeweiligen Komponenten der Berechnungsformel würden es erlauben, unterschiedliche Situationen zu berücksichtigen. Allerdings ist die Situation am Immobilienmarkt vielfältiger als beim Stromnetz. Es dürfte schwer sein, eine Berechnungsformel zu entwickeln, die den unterschiedlichen Situationen Rechnung trägt. Die Entwicklung der «richtigen» Berechnungsformel dürfte hoch umstritten sein. – Hedonisches Modell für die Kalkulation des üblichen Mietzinses Entwicklung eines hedonischen Modells zur Ermittlung eines standort- und objektüblichen Mietzinses. Hedonische Modelle stützen sich auf die Verkaufspreise ähnlicher Immobilien. Bei einer hedonischen Bewertung werden Angaben zu einzelnen Kriterien mit Tausenden Immobilien verknüpft, die kürzlich die Hand gewechselt haben, und mit dem Verkaufspreis in einer Datenbank erfasst. So wird der Nachweis der Orts- und Quartierüblichkeit ermöglicht. Die Überprüfung der Miete wird vereinfacht, insbesondere bei Altbauten. Vor allem in städtischen Gebieten ist die Datenbasis gross genug. In eher dünn besiedelten Regionen liefert ein hedonisches Modell weniger verlässliche Resultate. Zudem stellt die Datenbeschaffung eine Herausforderung dar. Bei der Immobilienbewertung und Kreditgewährung wird dieses Modell seit vielen Jahren angewandt. Allerdings scheiterte die Einführung hedonischer Modelle bereits zweimal im Parlament (vor 2010). – Kriterienkatalog für Nachweis der üblichen Miete Definition der Kriterien, welche amtliche (und allenfalls andere) Statistiken für den Nachweis der Orts- und Quartierüblichkeit zu erfüllen haben. Den Kantonen wird eine konkrete Hilfestellung für die Einführung rechtskonformer Statistiken gegeben. Allenfalls wird die Mietzinserhebung gegenüber heute ausgeweitet. Die Überprüfung der Miete beziehungsweise der Nachweis der Orts- und Quartierüblichkeit wird vereinfacht (insbesondere bei Altbauten). Eine breiter gefasste Mietzinserhebung trägt zu mehr Transparenz auf dem Mietmarkt bei. Es wird befürchtet, dass die Anwendung der Orts- und Quartierüblichkeit preistreibend wirkt. Andere Themen könnten allenfalls später vertieft werden, schreibt das BWO. Deren Klärung sei zwar nützlich, würde aber im Moment nicht im Vordergrund stehen. Sie könnten allenfalls später diskutiert oder im Rahmen von Gesprächen als zusätzliche Verhandlungsmasse verwendet werden. Dazu gehört eine Aktualisierung des BWO-Mietzinsmodells, eine Anpassung des Wertvermehrungssatzes von 50 bis 70 Prozent, Regeln für die Rohbaumiete und die Beschränkung befristeter Kettenmietverträge. Das sind die grössten Probleme am Wohnungsmarkt ► Diskrepanz zwischen Angebots- und Bestandsmieten Der dringlichste Bedarf einer Änderung wurde bei der Diskrepanz zwischen den Bestandes- und Angebotsmieten geortet. «Es ist ein Schlüsselproblem des derzeitigen Mietrechts», schreibt das BWO, und habe Auswirkungen, die weit über das Mietrecht hinausreichen (bspw. bezüglich Mobilität von Arbeitnehmenden, der Raumplanung oder dem Wohnflächenverbrauch). Bestandsmieten betreffen die bestehenden Mietverhältnisse. Angebotsmieten sind die Mieten für freie Wohnungen. Letztere sind in der Regel wesentlich höher. Die Unterschiede zwischen Bestands- und Angebotsmiete sind je nach Wohnregion enorm hoch. Dies hängt damit zusammen, dass die Mieten in laufenden Mietverhältnissen fast gar nicht angepasst werden können (nur bei einer Änderung der Kosten, zum Beispiel bei einer Anhebung des Referenzzinssatzes). Deshalb bleiben die Mieten von langjährigen Mietverhältnissen oft preisgünstig. Dies ist sozialpolitisch begrüssenswert, schreibt das BWO, schafft aber keine Anreize für langjährige Mieterinnen und Mieter, ihre Wohnung zu wechseln. Sie bleiben in ihrer Wohnung, selbst wenn diese aufgrund einer veränderten Familiensituation zu gross geworden ist oder auch wenn sie eine Arbeitsstelle anderswo antreten. Um eine günstige Wohnung nicht zu verlieren, werden Wohnungen vielfach untervermietet. Wer bereits eine Wohnung hat, profitiert, wer neu eine Bleibe sucht, bezahlt dies mit einem höheren Preis. ► Schwammige Regeln, welcher Mietzins missbräuchlich ist Bemängelt wurden die Missbrauchskriterien beim Mietzins. Das Schweizer Mietrecht hält nur die absoluten Grundsätze fest. Im OR wird beschrieben, dass Mietzinse missbräuchlich sind, wenn «damit ein übersetzter Ertrag aus der Mietsache erzielt wird oder wenn sie auf einem offensichtlich übersetzten Kaufpreis beruht». Zudem finden sich im OR die Ausnahmen, unter welchen Umständen die Mietzinse nicht missbräuchlich sind. Das Bundesgericht hat zwar eine Praxis zu den einzelnen Methoden bzw. Kriterien entwickelt; diese Praxis ist aber widersprüchlich, schwer anwendbar und zu komplex. ► Nachweis der ortsüblichen Miete wenig praktikabel Der Nachweis der Orts- und Quartierüblichkeit wurde als Papiertiger taxiert. Damit Mieterinnen und Mieter den Anfangsmietzins anfechten können, ist ein Nachweis der Orts- und Quartierüblichkeit nötig. Dieser hat sich in der Praxis als nicht anwendbar erwiesen. Für einen Nachweis müssen mindestens fünf Objekte aufgeführt werden, die nach Lage, Grösse, Zustand, Ausstattung und Bauperiode vergleichbar sind. Doch wie soll ein Mieter an die erforderlichen Angaben zu «fremden» Mietobjekten kommen? Zumal bislang keine Vergleichsmieten existieren. ► Übermässige Mietrenditen sind häufig Unrechtmässig hohe Mietrenditen sind weitverbreitet. Viele Kenner des Mietrechts, selbst Vermieter, gehen davon aus, schreibt das BWO, dass ein Grossteil der Mietzinse, würden sie gemäss den Vorgaben des Bundesgerichts zur Renditeberechnung kontrolliert werden, missbräuchlich wären. Die neue Bundesgerichtspraxis erlaubt eine Nettorendite von höchstens 2 Prozentpunkten über dem Referenzzinssatz. Obwohl Mieterinnen und Mieter die Möglichkeit haben, den Anfangsmietzins anzufechten, machen nur wenige von diesem Recht Gebrauch (600 bis 1000 Mietzinsanfechtungen bei rund 180’000 Umzügen pro Jahr). Die Überprüfung der unrechtmässig hohen Mieten wird also, obwohl möglich, nicht eingefordert. Dies führe zu einer staatspolitisch stossenden Situation, schreibt das BWO. ► Rechtsunsicherheit bei steigendem Referenzzinssatz Die Nettorendite orientiert sich gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts grundsätzlich am Referenzzinssatz. Über lange Zeit wurde zum Referenzzinssatz ein Zuschlag von höchstens 0,5 Prozentpunkten als zulässig erachtet. Mit einem Entscheid vom 26. Oktober 2020 erhöhte das Bundesgericht diesen Zuschlag auf 2 Prozentpunkte – solange der Referenzzinssatz maximal ≤ 2 Prozent beträgt. Das Mass der zulässigen Nettorendite bei einem Referenzzinssatz von > 2 Prozent lässt das Bundesgericht hingegen offen. Damit wäre denkbar, dass beim Übergang des Referenzzinssatzes von 2 auf 2,25 Prozent die zulässige Rendite von 4 (2 plus 2 Prozentpunkte) auf 2,75 Prozent (2,25 plus 0,5 Prozentpunkte) sinkt. Wenn der Referenzzinssatz (aktuell bei 1,25 Prozent) über die 2-Prozent-Marke steigt, entsteht eine Situation der Rechtsunsicherheit, was sich wohl in einer starken Zunahme an Fällen vor den Schlichtungsbehörden und Mietgerichten niederschlagen dürfte. Gerade auch vor dem Hintergrund, dass Erhöhungen des Referenzzinssatzes häufiger weitergegeben werden als Senkungen. ► Energetische Sanierungen werden blockiert Das Mietrecht verhindert energetische Sanierungen. Bei energetischen Sanierungen im Mietbereich dreht sich vieles um das Vermieter-Mieter-Dilemma. Dieses umschreibt die Situation, dass energetische Sanierungen unterbleiben, weil die Eigentümer langfristig keinen oder nur einen geringen Ertrag aus ihrer Investition erzielen können, während die Mieter die Vorteile, die ihnen aus der Investition erwachsen, nicht bezahlen müssen.

Wirtschaftsminister Guy Parmelin will Probleme am Mietwohnungsmarkt lösen

Wirtschaftsminister Parmelin nimmt sich den Wohnungsmarkt vor