Aus welchen Gründen übernimmt eine Karrierefrau wie Sie – gemäss «Le Nouvelliste» die mächtigste des Kantons Wallis – die Präsidentschaft eines Unternehmens mit schlechtem Ruf?
Tatsächlich hätte ich nicht gedacht, dass das Image der Branche so negativ ist. Wir arbeiten täglich daran, es zu verbessern, was aber nicht einfach ist. Das Mandat habe ich aus mehreren Gründen angenommen.

 

Aus welchen?
Nach 12 Jahren im Verwaltungsrat der Walliser Kantonalbank wollte ich aufgrund der Gemeinsamkeiten des Finanz- und Versicherungswesens meine Erfahrung im stark regulierten Bankbereich in die Groupe Mutuel einbringen. Der zweite Grund ist verbunden mit der Erfolgsgeschichte der Groupe Mutuel im Wallis. Ich fand es spannend, eine Rolle in einem nationalen Unternehmen mit Walliser Wurzeln zu übernehmen.

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Die Groupe Mutuel steht stark unter Druck. 2015 hat die Finma über eine Verletzung des Aufsichtsrechts berichtet, was die Governance des Unternehmens in die Kritik brachte.
Ich bin in der Tat in einer komplizierten Phase zur Groupe Mutuel gestossen, die Untersuchungen der Finma liefen auf Hochtouren. In diesem Zusammenhang haben wir stark an der Verbesserung der Governance gearbeitet – eine an sich sehr motivierende Herausforderung. Heute bin ich froh darüber, sie angenommen zu haben.

 

Der Ruf des Unternehmens bleibt jedoch mittelmässig, wenn man die Image-Vergleiche und die Berichterstattung zu Ihren Verkaufsmethoden betrachtet. Warum ist keine Verbesserung ersichtlich?
Die gesamte Krankenversicherungsbranche hat einen schlechten Ruf, teilweise wegen der jährlichen Prämienerhöhungen. Bei der Groupe Mutuel haben wir uns vor drei Jahren zum Ziel gesetzt, die Qualität unseres Kundenservice deutlich zu verbessern. Wir haben intensiv daran gearbeitet, allerdings zeigen die Vergleichstabellen noch keine sichtbaren Verbesserungen. Deshalb setzen wir unsere Anstrengungen gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie mit unserem Vertriebsnetz mit Vermittlern und Brokern fort. In der Schweiz werden Versicherungsverträge meist durch Makler und unabhängige Versicherungsvermittler abgeschlossen, mit denen wir Zusammenarbeitsverträge mit hohen Qualitätsanforderungen haben. Wir werden die Qualitätskontrollen jedoch verstärken – das sind wir unseren Kunden schuldig und liegt in unserer Verantwortung. 

 

Kürzlich wurde in einem Artikel im «Beobachter» Ihr Vermittlerwettbewerb mit einem ersten Preis im Wert von 45 000 Franken kritisiert. Mit einem solchen Vorgehen stellen Sie doch die finanziellen Anreize statt die Bedürfnisse der Kunden in den Vordergrund.
Das erwähnte Beispiel steht im Zusammenhang mit einem sehr grossen Geschäftsumfang. Betrachtet man die Geschäfte einzeln, liegen die vergüteten Beträge jeweils im zweistelligen Bereich. Im aktuellen Marktumfeld sind Intermediäre für die Gewinnung neuer Kunden unabdingbar. Überdies haben wir ein eigenes Netz von heute 60 fest angestellten Versicherungsberatern aufgebaut. Es laufen derzeit Überlegungen zum Ausbau dieses Netzes und zur Entwicklung weiterer Kanäle, beispielsweise durch den digitalen Direktverkauf.
Die Vergütung nach Geschäftsvolumen beschränkt sich übrigens auf die Privatversicherungen. In der Grundversicherung gilt, dass jeder Abschluss mit maximal 50 Franken vergütet wird. Die Entlohnung von privaten Krankenzusatz-, Sach-, Lebens- und anderen Versicherungen wurde in verschiedenen Parlamentsinitiativen aufgegriffen. An diesen Diskussionen werden wir uns aktiv beteiligen.

 

Werden Sie diese Art von intermediärem Wettbewerb eliminieren?
Das Kommissioniersystem ist sehr komplex und variiert von Versicherung zu Versicherung. Ich erwähne nochmals, dass es in der Grundversicherung maximal 50 Franken pro Fall gibt. Wir wenden übrigens die Santésuisse-Branchenvereinbarung an, die leider nicht von allen Krankenkassen unterzeichnet worden ist. Die Zusatzversicherung gehört zum Bereich der Privatversicherung, wo der Wettbewerb stärker spielt. Wir nutzen die gleichen Hebel wie unsere Konkurrenten. Abgesehen von volumenbasierten Anreizen müssen wir aber Anreize auf der Grundlage von Qualität hinzufügen.

 

Weitere Ansätze?
Der zweite Weg ist die Ausbildung. Das müssen wir ausbauen, und zwar sowohl für unabhängige Vermittler wie auch für unsere eigenen Agenten. Darüber hinaus sind wir Gründungsmitglied des Qualitätslabels «Cicero» und haben kürzlich unser Schulungszentrum «Groupe Mutuel Academy» geschaffen, um eine qualitativ hochwertige Beratung zu gewährleisten.

 

Soll das Verhältnis zwischen eigenem Aussendienst und unabhängigen Vermittlern geändert werden?
Die Vertriebsstrategie wird durch neue digitale Tools sowieso ständig weiterentwickelt. Es ist jedoch so, dass Kunden derzeit Schwierigkeiten haben, eine Versicherung über das Internet zu erhalten, da der Bedarf an individueller Beratung stark bleibt. Wir müssen dies berücksichtigen, aber auch an die spezifischen Bedürfnisse jedes Kanals anpassen. Ich denke aber, dass wir in Zukunft durchaus einfachere Produkte für digitale Kanäle anbieten könnten.

 

Und wie steht es mit der Telefon-Akquisition?
Das ist reguliert und hängt nicht direkt von uns ab, sondern von unabhängigen Unternehmen, die sich leider manchmal als Groupe Mutuel melden, mit uns aber nichts zu tun haben. Ein solches Verhalten sanktionieren wir aktiv. Bis heute arbeitet die Groupe Mutuel nicht mit einem externen Call-Center zusammen.

 

Sie haben kürzlich die rechtliche Struktur der Groupe Mutuel geändert. Wieso?
Wir sind seit 25 Jahren, als in der Schweiz über 200 Krankenkassen tätig waren, in der Rechtsform des Vereins mit Versicherern als Mitgliedern organisiert. Imagemässig ist heute diese etwas komplizierte Rechtsform ungünstig und bietet aufgrund der aktuellen Entwicklung und der Konzentration der Krankenversicherer keine Geschäftsvorteile mehr. Deshalb haben wir rückwirkend auf Anfang 2018 die Rechtsform geändert.

 

Konkret?
Wir haben den Verein in eine Aktiengesellschaft umgewandelt in «Groupe Mutuel Services AG», die von einer Holding gesteuert wird. Statt eines Vereins im Zentrum mit Mitgliedsgesellschaften ist der Aufbau neu pyramidal. Eigentümerin ist eine nicht gewinnorientierte Stiftung.

 

Was beabsichtigen Sie damit?
Das Hauptziel der neuen Rechtsform ist die Vereinfachung unserer Organisation. Der Wechsel zum klassischeren Holdingmodell vereinfacht die Struktur, entspricht unserer Governance und schafft mehr Transparenz, was zur Stärkung unseres Images beitragen wird. Daneben spielen auch strategische Überlegungen eine Rolle, denn der Wechsel  erleichtert die Diversifizierung unserer Geschäfte.

 

Inwiefern?
Die Grundversicherung macht 80 Prozent unseres Geschäfts aus. Wir möchten in anderen Versicherungsbereichen wachsen und durch die Beteiligung an neuen Geschäftsmodellen in Innovation investieren, beispielsweise über Start-ups.

 

Wer wird Aktionär sein und wer entscheidet über die Strategie?
Eigentümer der Versicherungsgesellschaften ist wie gesagt die Holding-Gesellschaft. Und Alleinaktionär der Holding ist die Stiftung, also eine nicht gewinnorientierte Einheit, die keine Dividenden ausschüttet. Die Gewinne aus dem Privatversicherungsgeschäft – in der Grundversicherung sind keine Gewinne zulässig – werden zu 100 Prozent in das Unternehmen reinvestiert, zum Nutzen der Versicherten für Verbesserungen beim Kundenservice und der Weiterentwicklung leistungsstarker Informatiktools. Ein Krankenversicherer, der Geld an die Aktionäre verteilt, ist vollkommen unrealistisch.

 

Welches ist Ihre Rolle in dieser neuen Struktur?
Ich werde Präsidentin der Holding und – in der Übergangsphase – auch der Stiftung sein. Danach wird ein Prüfungs- und Ausgleichssystem eingeführt, sodass ich dann nur noch Präsidentin der Holding sein werde. Der Stiftungsrat wird eine ähnliche Rolle einnehmen wie die Generalversammlung einer Aktiengesellschaft. Die Änderung erfolgt zum Abschluss der Neuorganisation.
Meine Aufgabe bei der Groupe Mutuel habe ich vor drei Jahren mit einem langfristigen Ziel angetreten. Da die neue Governance und die Compliance nunmehr umgesetzt sind, kann es nach der Änderung der Rechtsform an die Weiterentwicklung der Geschäfte gehen, was für mich der motivierendste Teil ist. Ich freue mich auf diese Herausforderung.

 

Wo setzen Sie Schwerpunkte bei der Transparenz?
Transparenz ist ein Kernelement unseres Governance-Bestrebens. Wir haben dies mit der transparenten Kommunikation der Entschädigungen bereits bewiesen. Darauf habe ich ganz zu Beginn meiner Tätigkeit bestanden. Wir haben die Entschädigungen, darunter auch meine ( Anm. d. R. : maximal 200 000 Franken jährlich), als erste der Branche veröffentlicht. Zudem kann die Rechnungslegung aller unserer Gesellschaften auf unserer Website eingesehen werden. Die Bevölkerung bezahlt hohe Prämien. Das gibt ihr das Recht, die Höhe unserer Entschädigungen zu kennen. Die gleichen Anstrengungen zu mehr Transparenz sollten auch die anderen Akteure im Gesundheitsbereich wie Ärzte und Spitäler unternehmen.

 

Wie sieht Ihre Strategie im Bereich Digitalisierung aus?
Wir haben vor kurzem einen Chief Innovation Officer angestellt und wollen Leader im Bereich Innovation werden. Wir müssen vorausschauen und kommende Veränderungen nutzen können. Weiter müssen wir uns dem digitalen Wandel anpassen und an Effizienz gewinnen. Und neue Modelle ausprobieren, die den Erwartungen unserer Kunden entsprechen, beispielsweise im Zusammenhang mit Smart-Objects, Versicherungsdaten, -verhalten und -konsum.

 

Was haben Sie für 2018 noch in der Pipeline?
Wir werden diese Jahr noch ein Innovation Lab gründen, das auf HealthTech, FinTech und InsurTech fokussiert. Ziel dabei ist es, neue Projekte zur Digitalisierung zu beobachten, zu beurteilen und umzusetzen. Wir sind verglichen mit den anderen Marktakteuren relativ früh unterwegs, wobei die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern etwas im Rückstand ist.

 

Hat nicht der Bund mit eHealth den Impuls gegeben?
Der Bundesrat hat die Strategie eHealth zur Digitalisierung des Gesundheitswesens im Juni 2007 angenommen. 11 Jahre danach sind leider weder Vorteile für die Versicherten noch positive Auswirkungen auf die Gesundheitskosten ersichtlich. Unsererseits gehen wir Partnerschaften mit Forschungsinstituten ein und wären dazu bereit, die Zusammenarbeiten noch zu erweitern. 

 

Mit einer solchen Diversifizierung erhöhen Sie Ihre Gewinne.
Im Privatversicherungsgeschäft möchten wir eine minimale Rendite erzielen. Unser Fokus liegt stärker auf Wachstum als auf Rentabilität. Mit den Gewinnen aus der Holding werden wir Beteiligungen erwerben und die Weiterentwicklung des Unternehmens vorantreiben. Und da diese Gewinne nicht an Aktionäre gehen, werden sie jeweils zum Nutzen unserer Versicherten verwendet.