Cherry-Picking, Benchmarking, irritieren, falsche Fährten legen, warnen, mit dem Abbruch drohen, bluffen. Nein, hier ist nicht vom Gebaren des US-Präsidenten die Rede, sondern von Taktiken, die auch in der Beschaffung durchaus angewendet werden. Damit kommt man oft schneller zu einem gewünschten Ergebnis als etwa mit einer Kosten-Nutzen-Analyse, einer Performancemessung oder einer Kalkulation, die mit einem grösseren Aufwand verbunden sind.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Keine Spielerei

In aller Regel besteht zwischen Lieferanten und Nachfragern ein Machtgefälle. Anbietermacht versus Nachfragemacht. Fühlt sich eine Partei von einem «übermächtigen Partner» über den Tisch gezogen, wird ab und zu die Wettbewerbskommission Weko des Bundes angerufen. Oder um rabiate Verhandlungstechniken ins Leere laufen zu lassen und ihre Verhandlungsziele zu erreichen, setzen Unternehmen auf alternative Ansätze. Beispielsweise mit der Anwendung wissenschaftlicher Methoden wie derjenigen der Spieltheorie.

Die Spieltheorie ist keine Spielerei, wie man vermuten könnte, sondern reine Wissenschaft. Sie ist ein Teilgebiet der Mathematik. Für vertiefte Erkenntnisse in der Materie wurden in den letzten Jahrzehnten mehrere Wissenschaftler mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Stichworte für deren Arbeiten: Gefangenendilemma, Nash-Gleichgewicht, Mechanismendesign.

Konkreter Nutzen

Aber kann man aus abstrakten mathematischen Konzepten einen konkreten Nutzen für die eigenen Einkaufsverhandlungen ziehen? Kann man Verhandlungen denn überhaupt als Spiel auffassen? Oh ja, man kann – mit Aussichten auf erhebliche Vorteile. So das Urteil in einem Aufsatz im Fachmagazin «Beschaffung aktuell».

Die Spieltheorie beschäftigt sich mit Situationen, in denen das eigene Verhalten vom erwarteten Verhalten des Gegenübers beeinflusst wird. Beide Seiten versuchen, die Rahmenbedingungen der Situation sowie die Handlungsoptionen, Erwartungen und Pläne ihres Gegenübers zu analysieren, auf dieser Basis dessen Verhalten vorherzusagen und durch sinnvolle Handlungen die eigene Position zu verbessern. Die spieltheoretische Analyse einer Situation mit ihren Rahmenbedingungen, Akteuren und deren Zielen ermöglicht es, vorherzusagen, auf welches Ergebnis dieses «Spiel» bei den bestehenden Regeln und Zielen aller Beteiligten zusteuert. Die für den Einkauf wichtigste Erkenntnis der Spieltheorie besagt nun, dass man durch kluge Gestaltung dieser Rahmenbedingungen die Ergebnisse von Verhandlungen systematisch in eine gewünschte Richtung lenken kann.

Monetäre Bewertung

Eine spieltheoretische Expertise und deren Anwendung auf Verhandlungen verhelfen demnach jener Seite zu einem systematischen Vorteil, die die Regeln der Verhandlung gestalten und vorgeben kann: Bei Vergaben unter Wettbewerb ist das der Einkauf. Er habe die Macht, Regeln zu setzen – und die Chance, diese Macht für seine Ziele zu nutzen, so die Autoren von «Beschaffung aktuell».
Die spieltheoretische Optimierung einer Einkaufsverhandlung betrifft zunächst den Vergabeprozess: Seine Schritte müssen spezifische Eigenschaften erfüllen und in einer bestimmten Reihenfolge durchgeführt werden: Ein zentrales Element stellt unter anderem das Preismodell dar, welches sämtliche Preisbestandteile periodengenau erfasst und den Barwert der Gesamtkosten ermittelt. Des Weiteren werden im Rahmen einer sogenannten Deltabewertung in intensiver crossfunktionaler Zusammenarbeit die relevanten Unterschiede zwischen Lieferanten identifiziert und monetär bewertet. Die Deltabewertung hat Ähnlichkeit mit einer Total-Cost-of-Ownership-Bewertung.

Erst durch die so erzielte Transparenz und Vergleichbarkeit wird die vorliegende Wettbewerbssituation spieltheoretisch analysierbar. Und erst jetzt können im Einkauf erfahrene Experten eine Folge präzise beschriebener Verhandlungsschritte und -regeln entwickeln, die für die konkret vorliegende Situation den grössten Verhandlungserfolg versprechen.
Und in der Schweiz? «Spieltheoretische Ansätze werden in grösseren Firmen durchaus angewendet», sagt Andreas Kyburz, Geschäftsführer bei Procure.ch, dem Fachverband für Einkauf und Supply-Management. Er erzählt von einer Firma, die im Einkauf seit einigen Jahren punktuell auf solche Ansätze setzt, die sogar über ein eigenes Kompetenzzentrum für Ausschreibungen und Verhandlungsstrategien verfügt. Auch beim Fachverband selber setzt man seit längerem auf Ausbildungsmodule im Umgang mit «Spieltheorien». Dies insbesondere rund um die Themen Leadership und Management.

Für wichtige einmalige Entscheidungen

In welchem Ausmass die Spieltheorie in der Schweiz im Einkauf eingesetzt wird, kann Kyburz nicht sagen. Aus seiner Sicht ist ihr Potenzial für die Beschaffung jedoch vorhanden: «Das ist eine Variante, die durchaus ins Repertoire des Einkaufs gehört, insbesondere für wichtige einmalige Entscheidungen in speziellen Ausschreibungskonstellationen.» Wichtiger sind für den Geschäftsführer von Procure.ch aber partnerschaftliche Beziehungen wie E2E-Verbesserungen, also Ende-zu-Ende-Prozesse oder Design-to-Cost. Dies sei seine Erfahrung im Austausch mit Verbandsmitgliedern aus der Praxis.