Dieser Transport bedeutet Weltrekord: Eine Ladung von 22 233 Standardcontainern befindet sich gerade auf dem Riesenschiff «One Innovation» (siehe grosses Bild oben) auf dem Weg von Singapur nach Rotterdam und wird dort voraussichtlich am 12. Oktober ankommen. Niemals zuvor wurde auf einem Schiff mehr Ware transportiert. Der pinkfarbene Riese ist rund 400 Meter lang und 61 Meter breit. In einen Standardcontainer (20 Fuss) passen beispielsweise 750 Paar Sneakers (jeweils im Karton). Der Preis für den Transport eines solchen Containers von Singapur nach Rotterdam liegt zurzeit bei 700 Franken, das heisst, der Transport kostet nicht einmal einen Franken pro Paar. Dieses Beispiel zeigt, wie verlockend es für Unternehmen in der Schweiz ist, günstig in Asien zu produzieren und die Waren nach Europa zu verschiffen. Allerdings haben die letzten Jahre deutlich gemacht, wie verletzlich internationale Lieferketten sind: Der Coronavirus hatte die Schliessungen von Produktionsstätten in China zur Folge; unvergessen ist die Blockade des Suezkanals durch das Frachtschiff «Ever Given», und die Angriffe der Huthi im Roten Meer haben zu längeren Routen aus Asien geführt, weil Schiffe wie die «One Direction» zur Sicherheit jetzt um Afrika herum fahren. Bei Tesla in Brandenburg standen deshalb mehr als zwei Wochen lang die Bänder still. Auch europäische Produktionsstätten bleiben nicht verschont: Durch die Flutkatastrophe im Raum Valencia in Spanien wurden Zulieferbetriebe von Stadler Rail beschädigt. Dadurch gab es Unterbrüche und Verzögerungen. Rund 200 000 Produktionsstunden von Stadler mussten in die Jahre 2025 und 2026 verschoben werden. Kein Wunder, dass Firmen händeringend nach Lösungen suchen, um solche Störungen in der Supply-Chain zu vermeiden.
Interessantes Innosuisse-Projekt
Die Fachhochschule Graubünden hat unter Federführung von Professor Ralph Lehmann in dem von Innosuisse geförderten Projekt «Störungen in internationalen Lieferketten» unter anderem untersucht, wie Unternehmen mit diesen Lieferkettenstörungen umgehen können. Im Rahmen des Projekts wurden rund 300 Mitgliedsunternehmen des Fachverbandes Procure.ch befragt. Um die Zulieferketten widerstandsfähiger zu machen, stünden den Unternehmen mehrere Strategien zur Verfügung, schreiben die mit der Untersuchung betrauten Wissenschafter: «Sie können die Beschaffung geografisch verlagern durch Multiple Sourcing, durch die China-Plus-One- oder die Local-for-Local-Strategie, durch das Nearshoring oder das Friendshoring. Die Unternehmen können zudem die Abhängigkeit von kritischen Teilen reduzieren, etwa durch ein Redesign ihrer Produkte, den Einsatz von 3D-Druckern in der Produktion, mit dem Recycling von Waren oder dem Aufbau von Lagerbeständen. Darüber hinaus haben sie die Möglichkeit, die Kooperation mit ihren Lieferanten zu verbessern: durch eine kooperative Entwicklung von Produkten, durch Mengenverträge, durch ein verstärktes Lieferantenmanagement und Einkaufskooperationen, die ihre Exposition gegenüber Lieferanteninsolvenzen, Lieferengpässen und Preisschwankungen reduzieren.»
Um zu ermitteln, welche Lieferkettenstörungen relevant sind und mit welchen Beschaffungsstrategien diese Störungen vermindert werden können, empfehlen die Studienautoren einen Prozess, der aus fünf Schritten besteht. Im ersten Schritt ermittelt das Unternehmen jene eingekauften Waren, deren Verfügbarkeit den grössten Einfluss auf den Umsatz hat und bei denen eine starke Lieferantenabhängigkeit besteht. Im zweiten Schritt erstellt das Unternehmen für diese erfolgskritischen Waren eine Supply-Chain-Map, die aufzeigt, von welchen Lieferanten, aus welchen Regionen, auf welchen Transportwegen und über welche Schlüsselstellen die Waren beschafft werden. Im dritten Schritt erfolgt die Beurteilung jeder eventuellen Lieferkettenstörung mit deren Schadenpotenzial und der Eintrittswahrscheinlichkeit, und die Lieferkettenstörungen werden in einer Risikomatrix positioniert. Zur Reduktion von Risiken werden im vierten Schritt Beschaffungsstrategien analysiert, die Zulieferketten gegenüber kritischen Lieferkettenstörungen resilienter machen. Im fünften Schritt werden diese Beschaffungsstrategien nach ihrer Wirkung, ihren Kosten, dem Zeitbedarf zur Umsetzung und der Realisierbarkeit beurteilt. Anschliessend werden für die realisierbaren Strategien konkrete Umsetzungspläne erarbeitet.
Ein solcher systematischer Prozess des Beschaffungsrisikomanagements sollte laut Professor Lehmann im Unternehmen institutionalisiert und periodisch durchlaufen werden, um die Risiken rechtzeitig zu erkennen.