Der Saal im Convention Center Flughafen Zürich war voll und die Erwartungshaltung hoch: An der kürzlich stattfindenden Tagung «Zurich Experience» sprach der renommierte deutsche Philosoph und Publizist Richard David Precht. Das Thema war die Zukunft der Arbeit, ganz im Sinne seines 2022 erschienenen Fachbuchs «Freiheit für alle. Das Ende der Arbeit, wie wir sie kannten». In seinem Referat warnte Precht vor dem Wegfall vieler Arbeitsplätze durch künstliche Intelligenz (KI) und Digitalisierung – und wie dieser Prozess auch gut bezahlte Jobs der Mittelklasse bedrohen wird.

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Das zweite Maschinenzeitalter

Selbstlernende Computer und Roboter revolutionieren den Arbeitsmarkt Schritt für Schritt, sagt Precht, und dass unser Bildungssystem deswegen radikale Änderungen erleben wird. Der 60-Jährige sprach viel über Jobs, die wegfallen, und wenig über das, was gleichzeitig ebenfalls passiert. Nämlich – dass es neue Beschäftigungen und sogar neue Berufe geben wird. Parallel zum Abbau gewisser Arbeiten entstehen neue Bedürfnisse und, da hat Precht recht, die Aus- und Weiterbildungsbranche muss sich entsprechend adaptieren.

In unserem Land erlässt das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) die Verordnungen über die berufliche Grundbildung und, unter anderem, die Rahmenlehrpläne für Bildungsgänge der höheren Fachschulen. Die Fachleute beobachteten durchaus, dass allerlei Berufe verschwanden; als ein Beispiel sei derjenige der Fotolaboranten genannt: Dieser Job wurde durch die digitale Bildbearbeitung ausgelöscht. Dafür entstehen laufend neue Aufgaben. Und so überprüft das SBFI alle paar Jahre, ob die nationalen Grundausbildungen den technologischen, ökologischen und didaktischen Entwicklungen korrekt angepasst werden. Als Resultat dieses Prozesses hat das SBFI in den vergangenen zwei Jahren nicht weniger als 83 neue oder revidierte Berufe genehmigt; 36 in der beruflichen Grundbildung und 47 in der höheren Berufsbildung. Die Skepsis von Richard David Precht ist also nur teils angebracht. Alte Berufe verschwinden, neue werden geformt.

Beispielsweise gibt es in der Schweiz seit dem vergangenen Jahr die staatlich anerkannten Lehrberufe Solarinstallateur EFZ (3 Jahre Ausbildung) und Solarmonteur EBA (2 Jahre Ausbildung). Beim ersten geht es um die Planung und fachgerechte Installation von Solaranlagen auf Dächern und Fassaden; ein Berufsfeld, welches von Swissolar, dem Schweizerischen Branchenverband für Sonnenenergie, begleitet wird. Und der Solarmonteur oder die Solarmonteurin erledigen die entsprechende Montage und Verkabelung. Beide Berufsgruppen übernehmen zusammen unter anderem die Arbeitssicherheit, das Befestigen der Montagesysteme, den umweltgerechten Rückbau und die Entsorgung. Beide Berufe erfordern eine enge Zusammenarbeit mit anderen Fachkräften, etwa Spenglern oder Zimmerleuten. Zusammengefasst bedeutet das: Die Solarbranche ist eine der am schnellsten wachsenden Industrien mit zukunftssicheren Arbeitsplätzen.

Nicht wirklich neu, aber seit der Pandemie stärker in die Wahrnehmung einer breiten Öffentlichkeit gerückt sind die Berufe im Gesundheitswesen: nicht nur Ärzte und Therapeuten, sondern vermehrt unterschiedliche Formen von Krankenpflegerinnen und Krankenpflegern. Diese arbeiten nicht mehr primär in klassischen Institutionen, sondern sind mobil und quer durchs Land unterwegs. Die ganze Branche entwickelt sich parallel zum demokratischen Wandel und zur steigenden Nachfrage nach fachspezifischer Betreuung. Entsprechend gibt es auch immer feiner nach Segmenten definierte Weiterbildungsprogramme.

Neben den «neuen» Berufen für die Umwelt und die Gesundheit der Menschen bieten sich – ein drittes Beispiel – neue KI-Beschäftigungen an. Dazu gehört das Analysieren grosser und vernetzter Datenmengen, um daraus notwendige Korrekturen zu erkennen. Datenanalyst heisst der neue Beruf, und der Data Scientist entwickelt dann die gewonnenen Daten, um für das Unternehmen neue Erkenntnisse zu gewinnen. In der gleichen Abteilung könn-te künftig auch der neue Cybersecurity-Experte arbeiten; er oder sie schützen die digitalen Systeme und Daten vor Cyberangriffen.

Keine Angst vor der Zukunft

Wie Philosoph Precht konstatiert, verändert die neue Arbeitswelt unser Leben, unsere Kultur und unsere Vorstellung von Bildung. Dabei sind im Moment Digitalisierung und KI die Hauptträger. Aber die Berufswelt war schon immer durch Wandel geprägt. Zurzeit passiert dieser jedoch sehr schnell und ist weniger gut vorhersagbar. Precht hat insofern recht, als derzeit eine starke Individualisierung der Arbeit geschieht, und damit, vorgängig, eine stärkere Individualisierung in der Aus- und vor allem in der Weiterbildung notwendig ist. Damit die Jungen bereit sind für die neuen Herausforderungen.