Was wollten Sie werden, als Sie ein kleiner Junge waren?
Ich habe früh davon geträumt, Sportprofi zu werden. Sport begeistert mich schon immer. Und nicht nur Schwimmen, sondern auch die Formel 1, Fussball, Eishockey, Skirennfahren, Leichtathletik, Tennis oder die Basketballliga in den USA. Bis heute verfolge ich aktiv verschiedene Wettkämpfe.
Das mit der Profikarriere hat geklappt – warum wurde es das Schwimmen?
Meinen ersten Schwimmkurs hatte ich mit zweieinhalb. Auf Leistungsniveau trainiere ich, seit ich sechs Jahre alt bin. Meine ältere Schwester schwamm zu der Zeit schon im Club «Nuoto Sport Locarno». Ich trat 2007 ebenfalls bei und absolvierte ein Jahr später mein erstes Rennen.
Zur Person
Gab es diesen einen Moment, in dem Sie wussten, dass Sie den Weg als Sportprofi gehen können?
Meine Resultate waren von Beginn an sehr gut. Daher wurde ich entsprechend gefördert, und während meiner Zeit bei den Junioren hatte ich natürlich auch Hoffnung darauf, es schaffen zu können. Doch dass ich auf Profiniveau schwimmen kann, wusste ich erst nach meiner Bronzemedaille an den Olympischen Spielen in Tokio. Das war im Jahr 2021.
Die Entscheidung hatten Sie ja aber weit vorher getroffen, indem Sie entsprechend trainierten. Was auf Ihrem Level bedeutet, zweimal am Tag ins Wasser zu steigen und dazu noch entsprechendes Krafttraining zu absolvieren. Kam es da nicht zu Konflikten mit der Schule?
Ich hatte das Glück, im Tessin auf einem sportfreundlichen Gymnasium zu sein. Von Beginn an war klar, dass ich die Schule in fünf statt vier Jahren absolvieren würde, was mir mehr Zeit zum Trainieren ermöglichte. Aber ja, es war eine bewusste Entscheidung, mit dem Einstieg ins Gymnasium in meiner freien Zeit neun-, zehnmal in der Woche zum Wassertraining und drei-, viermal ins Gym zu gehen. Und diese Routine habe ich bis heute beibehalten. Auf der anderen Seite war es mir aber auch wichtig, einen Abschluss zu machen. Dass beides funktioniert hat, verdanke ich zu einem grossen Teil meiner Familie, die mich immer unterstützt hat.
Was war hier elementar?
Meine Eltern haben mich nie mit eigenen Ambitionen gestresst, wie es das ja manchmal auch gibt. Was aber sicher meine Motivation gefördert hat, war die Zeit, die sie investiert haben. Ich musste jeden Tag nach Tenero zum Training, oft zweimal. Das sind sieben Minuten mit dem Auto, aber wegen der schlechten ÖV-Verbindung rund 40 Minuten mit dem Bus. Meine Eltern haben mich, bis ich 18 Jahre alt war, gefahren.
Sie haben den Abschluss angesprochen, in Ihrem Fall eine Matura. Haben Sie danach eine Ausbildung begonnen?
Nach der Matura und direkt nach den Olympischen Spielen in Tokio bin ich in die USA gegangen. Auf einer amerikanischen Universität lassen sich Lernen und Sport viel besser vereinen, dachte ich. Doch mir wurde schnell klar, dass ich in der Schweiz alles habe, was ich brauche. Hier habe ich dann im Jahr 2022 ein Physiotherapiestudium begonnen. Doch Wettkämpfe, Vorbereitung und Militär: Diese Mehrfachbelastung ging leider nicht auf.
Was ist der aktuelle Stand?
Physiotherapie habe ich ad acta gelegt. Vor ein paar Wochen aber habe ich ein Fernstudium begonnen, mit Fokus Wirtschaft. Wir werden sehen, wie es geht. Denn es ist auf Deutsch, und das ist eine zusätzliche Herausforderung für mich.
Die Entscheidung für ein zweites Standbein ist aber sicher nicht verkehrt. Denn schauen wir einmal in die Zukunft: Was macht Noè Ponti mit 45 Jahren?
Keine Ahnung. Momentan läuft es gut bei mir, aber was morgen passiert, weiss niemand. Als Profisportler muss deine Gesundheit mitmachen. Und eine Sportlerkarriere auf aktivem Level hat per se ein Ablaufdatum. In meinem Alter schwimmst du noch fünf, vielleicht zehn Jahre. Das ist mir sehr bewusst. Aber ich muss ehrlich sein: Es fällt mir schwer, aktuell zu planen, was danach kommt.
Warum?
Ich denke sicher oft an die Zeit danach. Doch Schwimmen ist so präsent in meinem Leben, Schwimmen ist mein Leben. Würde ich jetzt entscheiden, was danach kommt, würde ich den Fokus verlieren. Wenn ich etwas mache, dann richtig. Zurzeit ist es das Schwimmen.
Eine Sportart, die eben auch auf Profiniveau viel Eigeninitiative braucht und eher weniger gefördert wird.
Es gibt auf jeden Fall Sportarten in der Schweiz, in denen die Förderung anders funktioniert und der Weg zu einer gewissen finanziellen Unabhängigkeit einfacher ist. Die haben aber dafür andere Herausforderungen – wenn ich ans Eishockey oder Ski Alpin denke, wo die Initialkosten sicher höher sind als im Schwimmen. Dafür lässt sich dort «einfacher» Geld verdienen. In der Schweiz gibt es – so denke ich – derzeit drei Schwimmer, die vom Sport leben können. Das sind Roman Mityukov, Antonio Djakovic und ich.
Müsste hier der Verband mehr tun?
Der Verband tut viel, und gerade in den letzten Jahren hat sich einiges bewegt. Aber ja, in der Schweiz sind andere Sportarten mehr im Fokus der Aufmerksamkeit.
Macht sich die fehlende Aufmerksamkeit beim Sponsoring bemerkbar?
Dass ich tolle Sponsoren habe, ist auf jeden Fall meiner Visibilität zu verdanken. Teilnahmen an Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen machen dich wertvoller. Und klar, dort dann erfolgreich zu sein, ist natürlich auch sehr wichtig. Für uns Schwimmer und auch für den Verband gelten andere Voraussetzungen als beispielsweise im Fussball oder auch im Eishockey, wenn es um die Suche von Sponsoren geht. Aber wie ich schon sagte: Ich habe die grosse Chance und das Glück, mich voll auf den Sport konzentrieren zu können und bin dafür sehr dankbar.
Wie ist das eigentlich, können Sie gut mit Geld umgehen?
Meine Mutter hat immer gesagt: «Take care, Noè.» Und das tue ich bis heute, wenn es um Finanzen geht. Aber klar, ich mag zum Beispiel schöne Kleidung. Und ich baue gerade eine neue Wohnung im Tessin. Im Dezember kann ich einziehen. Mein Ziel ist, sinnvoll zu investieren, aber auch zu geniessen. Und das tue ich. Da ich dazu wenig Zeit habe, mache ich das auch bewusst: mit einem leckeren Abendessen zum Beispiel. Und natürlich gibt es auch trainingsfreie Wochen, in denen ich verreisen kann.
Wenn wir von Visibilität sprechen, sind Weltrekorde sicher hilfreich. Wie war es für Sie, 2024 in Budapest anzuschlagen und zu sehen: Weltrekord?!
Das war verrückt. Du träumst als Profi immer davon, mal eine Goldmedaille zu gewinnen. Und in diesem Fall hatte ich wegen der Saisonpause nicht einmal sechs Wochen trainiert. Daher war es im ersten Augenblick einfach crazy. Doch schlussendlich war es auch «nur«meine persönliche Bestzeit. Aktuell ist diese auch ein Weltrekord, aber das wird sicher nicht immer so bleiben.
Also immer gegen sich selbst antreten … Wie oft tun Sie das, wenn es darum geht, sich zum Training aufzuraffen? Lust werden Sie ja auch nicht jeden Tag haben …
Motivation comes and goes, oder? Da unterscheidet sich der Profisport von keinem anderen Job. Aber ja, Disziplin hilft. Und zu wissen, was man will, aber auch kann. Ich probiere, jeden Tag 100 Prozent zu geben. Wobei diese 100 Prozent relativ sind, da es auch von der eigenen Tagesform abhängt. Bei der Weltmeisterschaft in Japan habe ich den Final in 50 und 200 Meter Schmetterling nicht geschafft. Im 100-Meter-Final belegte ich den siebten Rang. Es gab viel Kritik. Für mich war das Learning, mich noch mehr auf mich selbst zu fokussieren und nicht – wie in diesem Fall durch Medien und andere geäusserte Kritik – ablenken zu lassen.
Wie ist es eigentlich für Sie, ein Vorbild zu sein? Gerade für junge Sportler?
Ich selbst hatte viele Vorbilder. Und nicht nur Schwimmer. Wie gesagt begeistert mich Sport, und ich schaue verschiedene Wettkämpfe. Dies auch unter dem Aspekt, wie andere Profis agieren. Aber ja, ich freue mich natürlich, wenn ich junge Menschen für das Schwimmen begeistern kann. Und für mich ist es auch ein Feedback, dass ich etwas richtig gemacht habe im Sport, wenn andere mich als Vorbild sehen.