Die Schweizer Detailhandelsbranche mit ihren über 31 700 Unternehmen ist äusserst vielfältig. 2021 ging etwa die Hälfte des Umsatzes von etwa 102 Milliarden Franken auf das Konto der zehn grössten und bekanntesten Retailer. Diese und weitere Grossunternehmen bedient Branchenprimus SAP von jeher mit ihrer ERP-Lösung «SAP for Retail».

Während in diesem Segment bereits seit einigen Jahren ein Wechsel in die Cloud zu verzeichnen ist, haben viele mittelständische Handelsunternehmen ihre Kernprozesse schon vor längerem an kleinere, lokale IT-Partner ausgelagert und arbeiten mit um die Jahrtausendwende entstandenen Eigenentwicklungen oder mit an den Handel angepassten Konkurrenzlösungen. Die sind über die Jahre gewachsen und kommen mehr denn je technologisch an ihre Grenzen. Neue Geschäftsanforderungen wie Omnichannel oder Click and Collect sind schwierig oder nur mit grossem Aufwand umzusetzen. Zudem sind diese Softwarelösungen in der Regel schlecht dokumentiert; das verbleibende Wissen verteilt sich auf wenige Entwicklerinnen und Entwickler.

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Um dem Innovations- und Wettbewerbsdruck standzuhalten, böten sich eigentlich moderne und branchenspezifische Lösungen in der Public Cloud an. Während nun aber für Personal- oder Finanzwesen oder für Marketingprozesse auf dem Mark das Angebot sehr breit ist, beschränkt sich die Auswahl bei den Retail-Kernprozessen auf sehr wenige Wettbewerbsprodukte.

Der Autor

Florian Kraus, Partner, Retailsolutions, Zug.

Standardprozesse statt Extrawürste

Diese Lücke will nun SAP mit einer eigens für dieses Marktsegment entwickelten Public-Cloud-Lösung füllen. Ähnlich der Strategie in anderen Branchen, in denen SAP schon seit längerem eine auf den Mittelstand abgestimmte skalierbare Lösung aus der öffentlichen Cloud anbietet, hat das Unternehmen nun auch für den Detailhandel sein ERP-Produkt an die Bedürfnisse der mittelgrossen Unternehmen angepasst. Entstanden ist eine neue Software als Service, bei der die Firmen analog ihrer individuellen Geschäftsanforderungen Module und Funktionen freischalten können und die auf weitere Unternehmensbereiche oder Unternehmen skalierbar ist. Die Händler sollen dabei für ihr Kerngeschäft auf standardisierte, erprobte Prozesse setzen, statt sich wie früher mit Zusatzentwicklungen jeden Einzelwunsch zu erfüllen.

SAP hat dafür Prozesse und Best Practices aus vielen Kundenprojekten vorkonfiguriert beziehungsweise als Grundlage für den Code der komplett neu entwickelten Lösung übernommen. Ein grosser Vorteil der Abbildung standardisierter Prozesse im Kerngeschäft ist dabei die verkürzte Einführungszeit von nur mehreren Monaten. Da es sich um ein «Software as a Service»-Angebot handelt, werden zusätzlich durch regelmässige Updates zweimal jährlich automatisch neueste Innovationen eingespielt, die sofort genutzt werden können.

Detailhändler bis Markenhersteller

Der mittelständische Detailhandel wird sowohl aufgrund technologischer Restriktionen als auch wegen der gestiegenen Anforderungen der Kundschaft sowie des allgemeinen Zeit- und Kostendrucks nicht umhinkommen, seine Strategie der bestehenden Warenwirtschaftssysteme zu überdenken. Die Zukunftsvision wird hier wie in den meisten Branchen sein, mit Software aus der Cloud das IT-Management effizienter zu gestalten. Gerade aber der Einzelhandel, der wie keine andere Branche von sich ändernden Verbraucherwünschen und -gewohnheiten getrieben wird, muss Geschwindigkeit in sein Geschäft bringen – Geschwindigkeit bei der Umsetzung von Projekten, Geschwindigkeit bei der Abwicklung von Prozessen mit kürzeren Reaktionszeiten und nicht zuletzt Geschwindigkeit bei der Umsetzung von Innovationen.

In fünf Jahren wird fast der ganze KMU-Detailhandel in die Cloud gehen.

Der Markt zeigt, dass kleinere Handelsunternehmen durchaus bereit sind, im Gegenzug ihre Prozesse zu überprüfen und an den SAP-Standard anzupassen. SAP adressiert dafür mit seiner aktuellen Version «SAP S/4Hana Cloud, Public Edition» klassische Einzelhändler, die physische Geschäfte und digitale Kanäle betreiben. Das sind in einem ersten Schritt in der Schweiz immerhin einige hundert Unternehmen mit zwischen 20 und 200 Filialen – hauptsächlich Lebensmittelhändler, Non-Food-Retailer, Reformhausketten, kleinere Baumarktketten und Spezialitätenhändler. Später soll die Lösung auch Modehändler sowie Markenhersteller und vertikale Einzelhändler mit allen Geschäftsmodellen (Herstellung, Grosshandel, Detailhandel) bedienen.

 

Dank Partnern auf Augenhöhe

Durch die indirekte Verkaufsstrategie, die es den Partnern erlaubt, von der Konzeption über die Implementierung bis zum Betrieb sämtliche Dienstleistungen für das Produkt anzubieten, dürfte es auch gelingen, mittelständische Handelsunternehmen auf Augenhöhe anzusprechen und ihnen die üblichen Vorbehalte gegenüber der SAP-Welt («zu gross», «zu mächtig») zu nehmen. Dabei werden Partner mit ihren industriespezifischen Add-ons auch in diesem Marktsegment ihren Beitrag leisten können, die Standardprozesse um durchaus notwendige, gezielte Verbesserungen zu erweitern. Angesichts des kontinuierlichen Wandels der Kundenerwartungen, der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen und des technologischen Fortschritts ist zu erwarten, dass in fünf Jahren 90 Prozent der mittelständischen Schweizer Detailhändlerinnen auf öffentliche und private Cloud-Lösungen setzen werden.