Wenn man einen alten Baedeker-Reiseführer von vor 100 Jahren zur Hand nimmt, nehmen Adressen von Reisebüros einen grossen Stellenwert als Anlaufstellen und als Organisatoren für Reisen ein. Was hat sich in diesen 100 Jahren tatsächlich verändert?

Wir zählen zu den Branchen, die durch die Digitalisierung in den vergangenen Jahren wahrscheinlich mit die grössten Veränderungen erlebt haben. Natürlich vermitteln wir weiterhin zwischen Leistungserbringern und Reisenden. Darüber hinaus haben sich die Wertschöpfungsketten massiv verändert. Die Online-Reisebüros haben neue Distribu tionskanäle aufgebaut. Auch die Hotelketten und Fluggesellschaften verkaufen direkt. Schliesslich sind die digitalen Meta-Plattformen entstanden, mit denen grosse Preistransparenz hergestellt wird.

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Das sind die Herausforderungen. Wo sehen Sie Chancen?

Wir sehen grosse Potenziale bei der Verbindung von physischen und digitalen Elementen. Ein Beispiel vielleicht: Ich habe mich kürzlich in einer Filiale beraten lassen. Die Person, die mich beraten hat, konnte mir aufzeigen, dass man bei dem Hotel, für das ich mich interessierte, erst ab dem dritten Stockwerk und überhaupt Sicht auf das Meer hat.

Inwiefern hat Corona als Gamechanger gewirkt?

Die Coronakrise hat uns vor grosse wirtschaftliche Herausforderungen gestellt. Die Reisebranche arbeitet stark prozyklisch, und wenn die Wirtschaft einbricht, spürt die Reisebranche das gleich viel stärker. Wir hatten mit anderen wirtschaftlichen Krisen bereits Erfahrungen gesammelt, aber die Corona-Krise übertraf alles. Reisen war über längere Zeit gar nicht möglich. Gleichzeitig war es beeindruckend zu sehen, wir rasch wir als Unternehmen auf die Krise reagieren konnten. Auch die ständigen Veränderungen bei Flugplänen, bei Reisevorschriften und bei Fragen rund um das Thema Heimkehr erforderten sehr schnelle Reaktionen. Zudem: Wir konnten viele neue Kundinnen und Kunden gewinnen. Sie kamen wegen der Sicherheit und bleiben wegen des Service.

Was hatte das für Folgen für die Kommunikation mit Ihren Kunden?

Die digitale Kommunikation betrifft nicht nur die Buchungsvorgänge, sondern auch die Zeiten nach den Buchungen und während der Reisen. Stornierungen und Alternativen lassen sich heute sehr kurzfristig kommunizieren und handhaben. Wir haben dabei auch festgestellt, dass die Kommunikation über vermeintlich ältere Kommunikationswege wie SMS gut funktioniert.

Wie haben Sie Ihre interne Organi sation inklusive der Prozesse nach Corona angepasst?

Wir haben eine neue Homeoffice-Regelung ausgearbeitet. Neu ist es aber auch möglich, dass unsere Angestellten dreissig Tage pro Jahr von einem beliebigen Ort aus arbeiten können. In diesem Zusammenhang haben wir ein Ferienhaus auf Zypern angemietet, das unsere Angestellten kostenlos reservieren können, um von dort aus zu arbeiten und auch teilweise ihre Freizeit zu verbringen. Solche kombinierten Arbeits- und Ferienmodelle, sogenannte Workations, sind zukunftsträchtig, nicht nur innerhalb unseres Unternehmens.

In anderen Bereichen der digitalen Wirtschaft etablieren sich erste integrierte digitale Journeys – wie sieht es bei Ihnen aus?

Wir sind dabei, unsere digitale Plattform weiter auszubauen, sowohl hinsichtlich neuer Features als auch der User Experience. Typische Reisen umfassen den Flug, das Hotel und allenfalls den Transport vor Ort. Einige Elemente lassen sich bereits heute in unser digitales Kundenportal integrieren. Bei einigen Elementen dagegen sind wir in einer Abhängigkeit von anderen Unternehmen. Denken Sie an die Zugreisen in Europa. Hier erwarten wir auch wegen des Aspekts der Nachhaltigkeit eine deutliche Zunahme in den kommenden Jahren. Allerdings ist der Stand bei den Informationen, die wir zu Zugreisen erhalten und an die Kunden weitergeben können, noch längst nicht auf dem Stand, wie man es beispielsweise bei der Flugbranche kennt.

Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen?

Das Thema sind hier die standardisierten digitalen Schnittstellen. Im Reisebereich sind digitale Schnittstellen überall zu finden, man benötigt sie zum Beispiel für Live-Abfragen von Hotelverfügbarkeiten und für viele weitere Dienste. Es ist aber eine Herausforderung, alle beteiligten Leistungsträger einzubinden. Grundsätzlich entwickeln wir aber unsere Leistungen mit einem agilen internen Set-up laufend weiter. Erste Erfolge sieht man schon, wenn man an die Flughäfen denkt. Da können Reisende bereits heute ihr Gepäck mithilfe digitaler Tools selbst aufgeben. Bei Hotels und Ferienhäusern erwarten wir eine ähnliche Entwicklung in den kommenden Jahren.

Wie wird sich das auf die Reisen auswirken?

Auch da sind Veränderungen in Sicht. Reiseziele lassen sich mit Augmented-Reality-Hilfsmitteln und individuell erkunden. Trotz der Digitalisierung sind wir überzeugt, dass es für Menschen weiterhin sehr wichtig sein wird, was sie vor Ort und direkt erleben können.

Und wie können wir uns das Reisen in den Jahren nach 2035 vorstellen?

Das Thema Nachhaltigkeit wird massiv an Bedeutung gewinnen. Kurze Reisen werden nicht mehr per Flugzeug, sondern per Bahn erfolgen. Wir bauen hierfür die Möglichkeiten aus, Hotels und Zugfahrten kombiniert zu buchen. Bei Langstrecken wird man weiterhin das Flugzeug nutzen, aber man wird länger vor Ort bleiben und auch eher Reisen und Arbeiten kombinieren. Dann rechnen wir mit einer deutlichen Zunahme der sogenannten No-Touch-Dienste auch in Hotels, inklusive der Eincheckvorgänge. Und bei den Unterkünften erwarten wir eine Verschmelzung von Ho-tel- und Ferienwohnungsangeboten. Hotels werden zunehmend mit kleinen Küchen oder einem komfortablen Arbeitsplatz ausgerüstet, und Ferienwohnungen werden Hotel-Services haben. Hier wird man zukünftig eine weniger klare Trennung sehen.

Der Stratege

Adrian Arnold Er studierte Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Zürich und St. Gallen. Danach war er Strategieberater bei Bain & Company in der Schweiz und in Deutschland. 2016 wechselte er zur UBS Schweiz, wo er in Digitalrollen, zuletzt als Head of Digital Sales, tätig war. 2021 stiess er zur Hotelplan-Gruppe und war als Director Group Strategy & Projects an der Erarbeitung der neuen Gruppenstrategie beteiligt. Seit April 2022 verantwortet er als Chief Digital & Strategy Officer die Digitalisierung der Kundenschnittstellen und den Bereich Nachhaltigkeit.