Als GLP-Nationalrätin haben Sie den Bundesrat dazu aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die EU die Chats von Einwohnerinnen und Einwohnern der Schweiz nicht überwachen darf. Der Nationalrat hiess Ihren Vorstoss trotz Gegenwehr des Bundesrates am letzten Montag gut. Ist das eine gute Nachricht für uns?

Ja, natürlich, diese dauerhafte Massenüberwachung unserer Chat-Kommunikation ist mit unserer liberalen Gesellschaft nicht vereinbar. Es ist auch schwer nachvollziehbar, weshalb der Bundesrat nicht Hand bieten wollte. Ich frage mich, ob er die Tragweite eines solchen Eingriffs in unsere Privatsphäre begreift.

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Was tut Ihre Partei, um die Schweizer Wirtschaft, auch mithilfe von Technologie, nachhaltiger zu machen und «den Fortschritt anzuheizen»?

Es stört uns, dass die Diskussion im Allgemeinen polemisch geführt wird. Wir meinen, man solle sich die zukunftsträchtigen Technologien zunutze machen oder zumindest sachlich und ergebnisoffen darüber diskutieren. Stattdessen gibt es ein ständiges Hickhack über Verbote. Etwas aus Ideologie zu verbieten, hält unsere Partei für nicht zielführend. Wir setzen dafür auf eine höhere Effizienz und auf Vermeidung von Energieverschwendung. Wir sind überzeugt: Ohne technischen – und gesellschaftlichen – Fortschritt wird uns der Klimawandel nicht gelingen.

Welche Reformen und «mutigen Lösungen» gehen Sie konkret an?

Nehmen wir das Beispiel Versorgungssicherheit, da dieses wieder hochaktuell ist. Diese Sicherheit ist für die Wirtschaft prioritär: Energie muss ausreichend vorhanden sein. Und dafür haben wir ein Lösungsprogramm präsentiert, das auf den vier Pfeilern Effizienz, Ausbau erneuerbarer Energien, Kooperation mit Europa und Förderung moderner Speichertechnologien setzt. Dazu muss man konsequent stehen und auch mutig vorangehen, anstatt bei jeder Lösung ideologische Vorbehalte anzubringen. Politisch erleben wir derzeit nur wenige mutige Entscheide der zuständigen Akteure.

«Wir müssten viel weiter sein», sagen Sie, gerade auch im Hinblick auf Cybersicherheit. Wie unzufrieden sind Sie?

Die Umstände bei der Cybersicherheit müssen leider als dramatisch bezeichnet werden. Cybervorfälle verursachen weltweit grösseren finanziellen Schaden als Umweltkatastrophen. Dabei geht es nicht einmal primär um die technische Sicherheit, sondern um Menschen und ihren Umgang mit Daten. Wie kann es beispielsweise sein, dass eine Behörde ohne Notwendigkeit einem externen Anbieter vertrauliche, persönliche Live-Daten übermittelt? Hier fehlt es nach wie vor an Sensibilisierung, und das ärgert mich …

Sie sind auch Geschäftsleiterin von Swico, dem Wirtschaftsverband der ICT- und Online-Branche. Wie beurteilen Sie die Fortschritte bei der digitalen Transformation der Schweizer Wirtschaft?

Ich glaube, wir sind gut dabei, und vor allem viele Wirtschaftsbereiche sind gut digitalisiert. Bei der öffentlichen Verwaltung habe ich Vorbehalte, dort gibt es einen Flickenteppich. Beispielsweise beim elektronischen Patientendossier: Hier müsste man eher von Elektrifizierung als von Digitalisierung sprechen. Grosse Sorgen bereitet mir der Mangel an technischem Verständnis – damit meine ich nicht nur den Fachkräftemangel. In diesem Zusammenhang könnte man noch viel mehr tun für die digitale Bildung – bei den Unterrichtsthemen und -formen.

Judith Bellaiche
Quelle: ZVG

Die Engagierte

Name: Judith Bellaiche
Funktion: Geschäftsführerin, Swico, Zürich; Nationalrätin GLP, Zürich, Einsitz in der Rechtskommission
Geboren: 2. Februar 1971
Familie: verheiratet, zwei Kinder
Wohnort: Kilchberg ZH
Ausbildung: lic. iur., Universität Basel; EMBA HSG

Swico Die 1989 aus vier Verbänden entstandene Interessenvertretung hat mehr als 700 Mitgliedsfirmen, die insgesamt 56 000 Mitarbeitende beschäftigen und einen Jahresumsatz von 40 Milliarden Franken erwirtschaften.

Noch ist nicht alles «swicobello». Was könnte Swico noch tun, um unternehmensfreundliche Rahmenbedingungen für Startups und technologischen Fortschritt zu schaffen?

Nein, noch ist nicht alles «swicobello», wie ich es gerne formuliere. Als Verband unterstützen wir auch Startups, und hier ist die Situation aus unserer Sicht besser, als sie oft geschildert wird. Aber auf politischer Ebene könnten wir noch mehr tun. Nur ist das nicht so einfach und braucht einen langen Atem. Zwei Problemkreise stehen im Mittelpunkt: Der Fachkräftemangel – es gibt beispielsweise immer noch administrative Hürden bei der Rekrutierung von ausländischen Fachkräften – und der Mangel an Kapital für grosse Investitionsrunden. Das hat auch mit mangelndem Interesse seitens institutioneller Anleger in der Schweiz zu tun. Und das ist sehr schade

Sie wären als Politikerin und Unternehmens-Lobbyistin an der Schaltstelle. Wie sieht Ihre Strategie als Brückenbauerin aus?

Sie beginnt mit Transparenz. Ich mache immer klar, wofür ich mich einsetze: der Digitalisierung zum Durchbruch verhelfen. Als Swico melden wir uns bei allen relevanten Dossiers zu Wort und geben unsere Stellungnahme ab. Und da helfen natürlich meine Beziehungen zur und in der Politik.

Was kann die Schweiz bezüglich Digitalisierung vom Ausland lernen?

Wir können sehr viel vom Ausland lernen, von den guten und den schlechten Beispielen. Die Herausforderung ist allerdings, dass die Schweiz basisdemokratisch und föderalistisch aufgestellt ist. Das macht es komplizierter und ineffizienter als in anderen Ländern, die zentralistischer funktionieren. Dies aber kann für uns kein Vorbild sein, auch wenn es die Digitalisierung einfacher machen würde. Wir sind einfach nicht die Schnellsten, aber dafür sind unsere Entscheide und Prozesse breit abgestützt.

Dauerbrenner Fachkräftemangel: Ihre Lösungsvorschläge?

Wir müssen die Politik, aber auch die Wirtschaft für die prekäre Situation sensibilisieren. Wir müssen viel mehr Menschen für die Digitalisierung ausbilden und deutlich mehr in die Berufsbildung für ICT-Berufe investieren. Dafür gibt es gute Vorbilder, zum Beispiel die Maschinenindustrie, bei der alle am selben Strick ziehen.

Digitalprojekte erfolgreich managen

Digital Project Manager Der eidgenössische Diplomlehrgang ist seit über zwanzig Jahren eine der relevantesten Ausbildungen für angehende Digital-Profis. Viele der 570 erfolgreichen Absolventinnen und Absolventen sind in Führungspositionen in Grosskonzernen, KMU und Agenturen. Verantwortliche Organisation der Arbeitswelt (Oda) ist der Verband Swico.

 

Struktur Der Lehrgang dauert 15 Monate, vermittelt Praxiswissen und besteht aus vier interdisziplinären Bereichen:

  • Digital-Projektmanagement: Requirements Engineering, agile Projektmethoden, Tools, Budgetierung
  • Management und Führung: Führen von Teams, Leadership in virtuellen Organisationen, Changemanagement
  • Digitale Technologie: IT-Architekturen, digitale Plattformen, Front- und Backend, maschinelle Intelligenz
  • Business und Digital Marketing: Strategien und Konzepte in Bereichen wie E-Commerce, Content-, Data-driven- und KI-Marketing, Informationsdesign, digitales Recht

 

Eckdaten Unterrichtsform: physisch und virtuell; Start des nächsten Lehrgangs in Zürich: 10.11.2023 (am Sawi); in Lausanne: 8. November 2023; in Lugano: Januar 2024