Mit 26 Millionen Fahrzeugen war China 2021 – neuere Zahlen liegen noch nicht vor – das mit Abstand führende Land in der Autoproduktion, gemessen an den Stückzahlen. In China wurde damit mehr hergestellt als in den vier nachfolgenden Ländern im von Oica, dem internationalen Verband der Motorfahrzeughersteller, erhobenen Zahlenwerk. Deutschland liegt mit rund 3,3 Millionen Autos und Nutzfahrzeugen auf Platz sechs.

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Ganz anders sieht das Bild aus, wenn man auf den Umsatz abstellt – da sind mit Volkswagen und Daimler zwei Konzerne aus Deutschland auf Rang eins und drei (Toyota liegt auf Platz zwei). Und wer in die Zukunft schaut und damit auf die Börsenmarktkapitalisierung, sieht Tesla aus den USA mit Abstand in führender Position, vor Toyota und BYD aus China auf Rang drei.

Systeme statt vertikaler Integration

Es sind grosse Verschiebungen absehbar: Gemäss Prognosen der Citigroup wird in diesem Jahr der Anteil der strombetriebenen neuen Fahrzeuge in Europa von 15 auf 22 Prozent steigen. In China lag man 2022 bereits bei einem Anteil von 28 Prozent unter den Neufahrzeugen – für dieses Jahr rechnen die Analysten und Analystinnen mit 39 Prozent, und bereits im kommenden Jahr dürfte jedes zweite neu verkaufte Auto in China mit Strom fahren. Die Fahrzeuge werden dort schnell verkauft – dank einer vollen Entwicklungspipeline mit vielen attraktiven Modellen von verschiedenen Herstellern, die hierzulande weitgehend unbekannt sind. Als «Big 4» gelten die Hersteller Saic, Dongfeng, FAW und Chang’an. Dahinter folgen BYD, Geely, Great Wall und einige weitere Hersteller.

Und da zeigen sich gemäss Fachleuten die Stärken: Gerade die chinesischen Hersteller aus der zweiten und dritten Reihe entwickeln keine hoch integrierten Geschäftsmodelle wie beispielsweise Tesla, wo man auch die Batterieentwicklung und -produktion kontrolliert. Man setzt stattdessen auf die besten Komponenten aus den Bereichen Elektroantriebe, Fahrzeugsteuerung und Integration der Computersysteme. Zeekr zum Beispiel, ein anderer Hersteller aus China, hat für 2024 das erste autonome Auto mit Level-4-Fahrfähigkeiten angekündigt. Die Basis bildet eine von Grund auf neu entwickelte Architektur für die elektronischen Systeme. Diese besteht nicht mehr in einer Integration vieler einzelner elektronischer Steuerungssysteme für Zündung, Bremsen und Steuerung, wo die Software von den Komponentenherstellern eng mit der Hardware verbunden ist. Hier steuert der Softwarecode alle Funktionen und Komponenten – und macht damit das Auto zu einer Art «intelligentem Terminal».

Als «Big 4» in China gelten die Hersteller Saic, Dongfeng, FAW und Chang’an.

«Wie für die Autohersteller aus der ganzen Welt ist auch für die chinesischen Unternehmen aus dieser Branche die treibende Kraft für die Entwicklung von E-Autos der Ersatz von fossilen Energiestoffen durch elektrische Energie, obschon in China die Stromerzeugung meistens noch mit fossilen Energiestoffen erfolgt», sagt Yingbo Seiler vom China Centre der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). «Die Automatisierungstechnik mit KI bis zum führerlosen Fahren ist für die Entwicklung zweitrangig, die auch mit Fahrzeugen konventioneller Bauarten realisierbar ist.» Die energiepolitische Unterstützung für die Entwicklung der elektrischen Fahrzeuge ist in China allerdings mehr durch staatliche Eingriffe wie Subventionen umgesetzt als durch finanzpolitische Massnahmen wie Steuererleichterung. «Der Vorteil ist der starke Rückenwind für die Entwicklung», so Seiler. «Die Gefahr ist aber eine Marktverzerrung.»

Laut Seiler gibt es definitiv langfristige Chancen für chinesische Hersteller von elektrischen Fahrzeugen, die mit der technologischen Entwicklung gegenüber ihren westlichen Mitbewerbern mehr oder weniger gleich weit sind. «Neben dem vermeintlichen preislichen Vorteil müssen sie jedoch noch mehr für hohe Qualität (plus After-Sales-Service) und Sicherheit ihrer Produkte sorgen, damit sie auf dem europäischen beziehungsweise schweizerischen Markt von den Konsumenten und Konsumentinnen akzeptiert werden können», so Seiler. «Zudem muss man lernen, mit der inzwischen gewachsenen Skepsis im Westen gegenüber Produkten aus China umzugehen, verursacht durch die geopolitische Unsicherheit, die zurzeit auch die Gesamtlieferkette aus China beeinflusst.» Jüngsten Berichten zufolge versucht BYD, durch Firmenkäufe – etwa der bisherigen Ford-Autofabrik im Saarland – den Produktionsstandort nach Europa zu verlagern. «Unser einziges Mitglied aus China ist derzeit die Marke Aiways, die von Astara importiert wird», sagt Christoph Wolnik, Sprecher von Auto-Schweiz, der Vereinigung Schweizer Automobil-Importeure. «Dazu gibt es mit JAC noch eine weitere Marke aus dem Reich der Mitte – beide sind bei den Stückzahlen und Marktanteilen noch sehr überschaubar: Aiways kam letztes Jahr auf 51, JAC auf 78 Stück.»

Skeptische Schweizer

Weitere Firmen stehen in diesem Jahr vor dem Eintritt: Nio hat den ersten Store in Genf eröffnet, Lucid könnte laut Wolnik ebenfalls Fahrzeuge in der Schweiz anbieten, und BYD hatte sich sogar schon für 2022 angekündigt. «Bisher konnten wir aber keine Neuzulassungen registrieren.» Für die kommenden Jahre rechnet man auch hier mit einer Zunahme an Angeboten chinesischer Modelle. «Dies etwa, da Emil Frey die zwei Marken von Great Wall Motor, Ora und Wey, bald in Deutschland vertreiben wird», so Wolnik. Ein Startdatum für die Schweiz wurde aber noch nicht kommuniziert. «Wie schnell Neuankömmlinge hierzulande Marktanteile gewinnen können, ist schwer zu sagen. Umfragen machen aber deutlich, dass viele Kundinnen und Kunden in Europa chinesischen Marken gegenüber eher skeptisch eingestellt sind.»