Die Schweiz, das Mieterland Europas schlechthin (mit über 57 Prozent Mieteranteil), steht vor einer paradoxen Herausforderung: Die flächendeckende Umstellung auf E-Autos scheitert oft daran, dass die über zwei Millionen Mietshaushalte keine Möglichkeit haben, ihr Fahrzeug bequem auf dem eigenen Parkplatz aufzuladen. Autoimporteure bestätigen, dass diese fehlende Lademöglichkeit momentan das grösste Hindernis auf dem E-Auto-Markt darstellt. Eine vom Parlament verabschiedete Motion, eingereicht von Nationalrat Jürg Grossen, will dieses «Huhn-Ei-Problem» nun durch die Verankerung eines «Rechts auf Laden für Mieter und Stockwerkeigentümer» lösen. Wichtig ist dabei: Dieses Recht ist keine Verpflichtung für den Vermieter, eine Ladestation zu installieren, sondern eine Art Duldung für Ladestationen. Nationalrat Grossen fasst es so zusammen: «Das Recht auf Laden ist eine Duldungsklausel, die sicherstellt, dass die Installation von Ladeinfrastruktur im Miet- und Stockwerkeigentum künftig nicht mehr untersagt, sondern zugelassen werden soll.»
Dieses Prinzip sieht vor, dass die Installation von Ladeinfrastruktur – von der Grunderschliessung bis zur individuellen Wallbox – nicht mehr vom Vermieter oder der Stockwerkeigentümergemeinschaft kategorisch untersagt werden kann. Es soll zukünftig im Rahmen des Energie- oder des Stromversorgungsgesetzes verankert werden. Nicht platziert werden soll das Gesetz jedoch im Miet- und Eigentumsrecht. Hier dient der Vergleich zum Glasfaseranschluss in der Telekommunikation als entscheidendes Vorbild für die Motion von Grossen. Auch diese Regelung ist nicht im Miet- und Eigentumsrecht beheimatet, sondern im Fernmeldegesetz. Trotz breitem politischem Konsens und der Befürwortung durch das Schweizer Stimmvolk bleibt jedoch schlussendlich die Verhältnismässigkeit bei der Umsetzung eine der grössten Herausforderungen. Kritiker befürchten, dass das neue Recht einen unverhältnismässigen Eingriff in die Eigentumsrechte darstellen könnte. Grossen relativiert dies: «Ich bin überzeugt, dass in einem klassischen Mehrparteienhaus die Verhältnismässigkeit in aller Regel gegeben sein wird.» Doch auch er ist sich bewusst, dass es Sonderfälle geben kann. So könnte zum Beispiel der Hausanschluss in Extremfällen viel zu klein oder wegen bedeutender baulicher Hindernisse die Leitungsverlegung viel zu aufwendig und teuer sein. Und genau darum ist es ihm wichtig, die Verhältnismässigkeit ebenfalls im neuen Gesetz zu positionieren. Selbstverständlich mit der entsprechenden Vorsicht, dass die Klausel nicht als Ausrede genutzt wird, um nichts zu tun. Und geht es um die Kostenfrage, sind zwei Wege denkbar: die Installation durch den Mieter oder eine Investition durch den Vermieter mit Umlegung der Kosten auf die Mietenden.
Im besten Fall übernimmt der Vermieter
Sinnvoll ist in Mehrparteiengebäuden in den meisten Fällen eine koordinierte Investition durch den Vermieter, da dieser ein steuerbares System installieren kann, das den Hausanschluss schont und zum Beispiel die Ladung mit einem hohen Anteil Solarstrom ermöglicht. Diese Variante ist die günstigste für alle, wenn man die Kosten fair auf die Benutzenden umlegt. Leitfäden, die der Verband Swiss E-Mobility zusammen mit dem Mieter- und Hauseigentümerverband und anderen Stakeholdern wie der Auto- und der Strombranche erstellt hat, zeigen im Detail, wie diese Kosten fair überwälzt werden können. Für die Mietenden und die Stockwerkeigentümer soll der Prozess so einfach wie möglich gestaltet werden, auch bei der Abrechnung. Dazu Grossen: «Bei zeitgemässen Systemen kriegt man mit der normalen Stromrechnung für die Wohnung auch noch die Rechnung für den Ladestrom und die Ladestation.» Die Notwendigkeit dieser gesetzlichen Änderung ist eine Folge der internationalen Entwicklung: Obwohl die Schweiz hier lange als Vorreiterin galt, zeigen die Statistiken der Neuzulassungen, dass die Dynamik im Mieterland Schweiz nicht mehr mit den Nachbarländern Schritt hält. Länder wie Deutschland, Frankreich und Portugal haben stark aufgeholt und die Schweiz bei den Neuzulassungen zum Teil überholt. «Wir können uns längst nicht mehr zurücklehnen», mahnt Grossen. Gerade als Land mit dem grössten Mieteranteil in ganz Europa ist es wichtig, nun endlich eine brauchbare Lösung zu finden. «Im Moment sind die Neuzulassungszahlen in der Schweiz nur noch leicht steigend – ein direkter Effekt der Unsicherheit beim Laden zu Hause, der die Leute leider nicht selten dazu bewegt, noch mal zum Verbrennungsmotor zu greifen», so Grossen. Vor allem hat das Laden zu Hause einen entscheidenden ökologischen und netztechnischen Vorteil: Da die Fahrzeuge während längerer Standzeiten langsam mit Wechselstrom (AC-Laden) geladen werden, entlastet dies die Stromnetze merklich. Zudem ermöglicht es die effiziente Nutzung von lokal produziertem Solarstrom. Durch die neuen Lösungen der Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (ZEV/vZEV) sowie der lokalen Elektrizitätsgemeinschaften (LEG) kann der Solarstrom, der auf den Dächern der Mehrparteienhäuser und umliegenden Gebäuden produziert wird, direkt im E-Auto gespeichert und verbraucht werden, anstatt das Netz zu belasten.
Mieter können dabei auf Wunsch den Lademodus wählen und gezielt «Solarladung» einstellen, um so viel Solarstrom wie möglich zu laden. Die Umsetzung des Gesetzes durch den Bundesrat und das Bundesamt für Energie (BFE) wird von der Verwaltung für das Jahr 2026 erwartet. «Ziel ist eine pragmatische, einfache Umsetzung, die 80 bis 90 Prozent der Fälle gut löst», sagt Jürg Grossen abschliessend.

