Sie sind Gründer von Finanzfluss, einem deutschsprachigen Youtube-Kanal. Sie erklären Finanzprodukte, liefern Marktübersichten, denken modern … Also, was erwartet uns in Bezug auf ETFs im kommenden Jahr?

Man muss unterscheiden, ob wir vom Volumen reden, das in ETFs läuft – also dem Erfolg des Anlageproduktes ETF –, oder wie sich die Kurse entwickeln. Geht es um die Kurse, ist es ein Blick in die Glaskugel. So sind 2026 auch Crashs möglich, beispielsweise wegen der Zollpolitik. Oder aber es kann ein Boomjahr werden, weil der US-Präsident und andere für sinkende Zinsen sorgen und die Wirtschaft ankurbeln. Alles ist möglich. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass der ETF als Finanzprodukt seit Jahren enorme Zuläufe erfährt. Das sorgt auch für unerfreuliche Trends, wie mehr Produkte, die in aktive Mäntel verpackt werden.

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ETFs werden ja gern als gutes, weil recht solides Einsteigerprodukt für Privatanleger verkauft. Ist das so, oder eignen sich diese auch für institutionelle Anleger?

Ich wehre mich gegen den Gedanken, dass ETFs nur für Einsteiger sind. Es ist ein Produkt, das für Einsteiger gut zu verstehen ist, aber initial kommt es eigentlich aus dem institutionellen Bereich. ETFs wurden ursprünglich für Institutionen gebaut, damit sie Segmente kostengünstig und liquide abbilden können. Glücklicherweise hat dieses Produkt über die Forschung den Weg in Privatanlegerdepots gefunden, was ich als sehr positiv erachte. Es ist wichtig, zu verstehen, dass ETFs hochgradig effizient sind und ihr Versprechen einlösen, Indizes möglichst günstig und liquide abzubilden. Es gibt viele Branchen, Sektoren und Spezialwetten in ETFs, und darauf sollte man bei der Investition achten. Ein breites Portfolio ist wichtig, und man sollte sich nicht von kurzfristigen Trends und hohen Gewinnen verführen lassen.

Zur Person

Thomas Kehl ist gelernter Bankkaufmann und hat einen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften an der Frankfurt School of Finance and Management. Nach dem Abschluss eines Masters an der ESCP Business School arbeitete Kehl zwei Jahre lang in Paris als Analyst bei der französischen Investmentbank Natixis..

Der Markt hat sich verändert …

Seit 2016 beobachten wir ein stetiges Wachstum und sinkende Kosten. ETFs sind zugänglicher geworden und bieten mehr Möglichkeiten. Neobroker haben das Trading-Erlebnis revolutioniert, und die Aktionärsquote ist stark gestiegen. Und die Nachfrage nach ETFs ist ungebrochen. Die Menschen wissen, dass es ein interessantes Finanzprodukt ist, weil es diversifiziert, an der Börse gelistet und sehr günstig ist. Das sind die Grundpfeiler, warum ETFs so beliebt sind.

Dennoch gibt es Hürden. Welche Fehler machen Menschen bei ETFs? Und was kann 2026 zu einer Bruchlandung führen?

ETFs sind genauso anfällig für grosse Marktschwankungen wie Einzelaktien. Ein grosser Feind am Kapitalmarkt ist die Angst, die zu panischen Verkäufen führen kann. Man muss langfristig investieren und Schwankungen im Portfolio aushalten. Das gilt für ETFs genauso. Bei einem Weltindex wie MSCI World sieht man eine Volatilität von 14 bis 16 Prozent, die im Wirtschaftsverlauf noch höher sein kann. Die Anleger müssen lernen, diese Risiken auszuhalten und nicht in panischen Momenten zu verkaufen.

Doch gerade jetzt suchen Investoren verstärkt nach sicheren Anlagen.

Für junge Anleger, die den Kapitalaufbau als Ziel haben, eignet sich aktuell ein gutes Gleichgewicht zwischen Risiko und Rendite. Ältere Anleger hingegen fokussieren auf Kapitalerhalt. Ein breites Aktien-ETF ist gut für den Kapitalaufbau, aber für den Kapitalerhalt sollten auch weniger schwankungsintensive Alternativen wie Staatsanleihen oder geldmarktähnliche Konstrukte berücksichtigt werden. Es hängt immer von der persönlichen Präferenz ab.

Mein Unwort des Jahres, sage ich mal offen, ist die Diversifikation. Jeder redet davon, dass ein Portfolio divers aufgestellt sein muss. Was sagen Sie als Experte?

Gerd Kommer (ein deutscher Autor und Investmentbanker, Anm. d. Red.) hat im Kontext mit ETFs das Wort Ultradiversifikation geprägt. Das fand ich sehr lustig. Also man hat sich gegenseitig quasi überstimmt, wie man sich noch diversifizierter darstellen kann. Aber die Idee ist ja so alt wie die Finanzmarkttheorie an sich. Manche Leute verstehen das ein bisschen falsch. Sie denken: Wenn ich dreissig verschiedene ETFs im Portfolio habe, bin ich umso diversifizierter. Aber tatsächlich können gerade dadurch Klumpenrisiken entstehen, weil ich Überschneidungen habe, die ich nicht sehen kann.

Sie bieten hier eine Art Feature an. Also eine Software, eine Portfolio-Tracker-Software, die hier eine Übersicht ermöglicht.

Genau, wir brechen hier sozusagen die ETFs auf und gucken, welche Aktien da drin sind, und rechnen sozusagen das Gesamt-Exposure zu Nvidia, Microsoft und so weiter durch. Denn grundsätzlich ist es ja so, dass die grossen KINamen wie Open AI, Anthropic und andere gar nicht börsengelistet sind. Ich kann also gar nicht investieren. Aber alle wissen, dass Chips bei Nvidia gekauft werden. Daher braucht es schon den Blick, wo denn das Geld fliesst im Tech-Sektor. Und das ist bei Nvidia oder den anderen grossen Tech-Konzernen so, die ja auch Milliarden ausgeben für KI. Ich spreche hier von Meta, Alphabet und so weiter.

Immer mehr Tech – wo bleibt da ESG? Spielt es weiterhin eine wichtige Rolle bei ETFs?

Gefühlt – so meine Meinung – nein. Die Volumina an ESG sind nicht signifikant gewachsen. Die Industrie hat diese Produkte geliebt, aber strengere Regularien wie die EU-Taxonomie haben das Greenwashing erschwert. Nachhaltiges Investieren ist komplex, und nicht jeder ist bereit, sich damit auseinanderzusetzen. Daher haben diese Produkte in meiner Community wenig Zugang gefunden.

Junge Leute und Technologie gehen ja d’accord. Welche Rolle spielen hier ETFs?

Junge Communitys, wie die Reddit-Community, setzen oft auf gehebelte ETFs für höhere Renditen. Der Fokus liegt weniger auf der Sicherheit, sondern mehr auf maximaler Profitabilität. Krypto spielt auch eine Rolle, wenn auch momentan weniger als erwartet. Die Trends sind sehr spezifisch und ändern sich schnell.

Trends – ein gutes Thema. Was sind aktuell die Trends bei jungen Anlegern?

Die ETF-Industrie ist nur ein Teil der Vollindustrie oder insgesamt der Finanzindustrie. Es geht immer darum, «Assets under management» einzusammeln. So gab es lange Zeit keinen einzigen Defense-ETF, also einen ETF, der nur auf das Thema Verteidigung setzt. Mittlerweile spriessen sie wie Pilze aus dem Boden, weil die Leute so etwas natürlich haben wollen, da sie die phänomenalen Renditen von Rüstungsaktien gesehen haben. Und ich erinnere mich auch noch an Trends wie Cybersecurity oder auch Cannabis. Ich masse mir jedoch nicht an, besser zu verstehen als der Markt, welche Branchen über- oder unterbewertet sind. Daher ist meine Empfehlung weiterhin das Investment in den breiten Markt.

Als Hosts sind Sie noch menschliche Berater mit entsprechender Erfahrung. Was halten Sie von Robo-Advisors und KI als Fondsmanager – haben diese Konzepte Potenzial?

Robo-Advisors, glaube ich, sind gescheitert als Konzept. Sie sind nicht Fisch und nicht Fleisch, wenn man sich die Volumina anschaut. Klar, sie investieren in ETFs, aber die Frage ist, was ist der Mehrwert? Also entweder bin ich eine Do-it-yourself-Person, die ihre Finanzen selbst geregelt kriegt, oder aber man setzt auf einen Berater. Das ist natürlich in der Regel immer teurer und mit Interessenkonflikten behaftet. Aber wenn man sich für einen Robo entscheidet, muss man sowieso selbst sehr viele Entscheidungen treffen. Dann ist der Schritt zum Selbstentscheider gar nicht mehr weit.

Und wie sieht es mit KI-Trading aus?

Wenn es KI gibt, die erfolgreich den Markt schlagen, dann sind das ja wahrscheinlich nicht die Modelle, die veröffentlicht werden, sondern die dürften dann sehr wahrscheinlich für Sam Altman und Co. privat traden. Wären sie öffentlich, gäbe es die Markteffizienzen nicht mehr.