Sie haben Hunderte Millennials aus ganz Europa zum Zustand des Kontinents befragt – ein Projekt der Oxford University. Was hat Sie am meisten überrascht? 
Als die Berliner Mauer 1989 fiel und die Grenzen in Osteuropa öffneten, konnte man relativ einfach sagen, wer in Osteuropa – also hinter dem Eisernen Vorhang – lebte und wer nicht. Heute ist es kaum mehr möglich, die Herkunft der jungen Generation so einfach herauszuhören. 

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Weshalb?
Sie reden gut Englisch, können sich ausdrücken, sind gereist, kennen Europa, sind vernetzt. Ich bin in den 1960er und 1970er Jahren in einer Generation aufgewachsen, die fasziniert von Europa war. Die junge Generation heute, sie lebt Europa, täglich. 

Es ist eine Generation, die meistens – zumindest bis Februar 2022 – nie einen Krieg erlebte.
Es gibt viele Menschen im ehemaligen Jugoslawien und ab 2014 in der Ukraine, die durchaus Krieg kennen; aber die allermeisten wuchsen tatsächlich in einer weitgehend freien und friedvollen Welt auf. Es gibt einen Ausdruck für jene, die in Südafrika nach dem Ende der Apartheid aufwuchsen: die Born-Free-Generation. Ich würde diese Generation in Europa die Born Frees nennen.

Sie haben diese Born Frees 2020 befragt. Doch das Europa von damals ist nicht mehr jenes von heute und morgen. Vor zwei Jahren waren Reisefreiheit und das Recht auf Migration die Schlüsselargumente für eine EU.
Mit dem Einmarsch in die Ukraine wird die Bedeutung von Frieden und Sicherheit auf der Prioritätenliste der nächsten Generation nach oben schiessen. Aber Klimawandel, soziale Gerechtigkeit und Niederlassungsfreiheit werden weiterhin eine hohe Bedeutung haben. Das werden wir bald sehen, denn nun wiederholen wir die Befragung.

Demokratie, Pressefreiheit?
Es gab und gibt Diskussionen über
die Demokratiedefizite in der EU, aber die Ansprüche an die Demokratie in den Einzelstaaten sind mindestens so hoch. In der Kritik stehen Länder wie Polen und Ungarn. 

Pressefreiheit und Gerichtsbarkeit werden laufend eingeschränkt.
Ich kam eben aus Ungarn zurück, wo Anfang April Parlamentswahlen stattfanden. Diese waren wahrscheinlich frei, aber definitiv nicht fair, wenn ich an die Dominanz der Staatsmedien oder an die grosszügige Zweckentfremdung staatlicher Gelder für die Wahlpropaganda der führenden Partei denke. Dass es in der EU mit Ungarn ein Mitgliedsland gibt, das keine richtige Demokratie ist, wird gerade bei Jungen stark bemängelt, was auch auf die EU zurückschlägt.

Die EU aus der Perspektive der Jungen

Was wünschen sich die jungen Europäerinnen und Europäer von der EU? Genau dieser Frage ist Timothy Garton Ash gemeinsam mit einer Gruppe von Postgraduierten aus ganz Europa nachgegangen. Ihre Studie «Young Europeans speak to EU: The state of youth opinion on Europe» untersucht die gegenwärtige Einstellung junger Menschen zu Europa. Im Fokus stehen Themen wie Reisefreiheit, Klimawandel, Demokratie und die Rolle Europas in der Welt. Mehr dazu hier.

Die EU hat bei den Millennials ein durchzogenes Image – aber mit dem Krieg in der Ukraine könnte sich das ändern.
Da bin ich mir nicht sicher. Bürgerinnen und Bürger eines Landes haben grundsätzlich eine enge Beziehung zu ihrer Heimat. Bei der EU ist das etwas anders: Da hängt die Reputation viel stärker von dem ab, was sie von Europa an Mehrwert erhalten. Der französische Historiker Ernest Renan sagte, eine Nation sei ein tägliches Plebiszit. Das gilt in meinen Augen umso mehr für die EU. Wie schwer sich die EU damit tut, zu punkten, sieht man in Frankreich: Die Jungen stimmten eher für Marine Le Pen, die gegen die EU steht, im Gegensatz zu Emmanuel Macron, der ein ausgesprochener Pro-Europäer ist. Die EU täuscht sich, wenn sie den Support der Jungen als gegeben anschaut.

Europa bietet wirtschaftliche Chancen, die man ergreifen will.
Für die junge Generation ist und bleibt der Anspruch auf einen gewissen Lebensstandard wichtig. Allerdings darf man nicht vergessen, dass noch heute 90 Millionen Menschen in der EU an oder unter der Armutsgrenze leben. Aber für gut ausgebildete junge Leute ist die EU sehr attraktiv und bietet viele Chancen.

Gibts grosse Unterschiede zwischen Ländern wie Deutschland, Italien oder Ungarn?
Ein nationaler Vergleich hat seine Tücken, weil viele gut ausgebildete, eher unternehmerisch denkende junge Leute aus Ländern wie Ungarn, Serbien oder Moldawien ausgewandert sind. Sie folgen dem alten Spruch: Es ist einfacher, das Land zu wechseln, als sein eigenes Land zu ändern. Ja, es gibt diese Unterschiede, und sie werden durch offene Grenzen in gewissen Ländern verschärft.

Die Jugend in Frankreich ist in Ihrer Befragung am skeptischsten bezüglich der Personenfreizügigkeit in Europa. Der Grund dürfte die Immigration sein – Le Pen profitiert.
Ja, wobei es dort vorab um die Immigration von ausserhalb der EU geht, anders als beim Brexit.

Viele junge Leute sind aus der Ukraine geflohen. Sie werden nie mehr zurückkehren?
Das hängt stark vom Ausgang des Krieges ab. Niemand weiss, ob es einen Friedensschluss gibt oder einen eingefrorenen Konflikt, in dem sich beide Parteien feindlich gegenüberstehen. Wenn es einen Frieden gibt, die Europäer einen Wiederaufbauplan forcieren und die Aussicht besteht, dass die Ukraine EU-Mitglied werden kann, werden viele dieser gut ausgebildeten Leute in ihre Heimat zurückkehren.

MUNICH, GERMANY - NOVEMBER 13: Historian, author and commentator Timothy Garton-Ash is photographed for the Sunday Times on November 13, 2019 in Munich, Germany. (Photo by Frank Bauer/Contour by Getty Images)

Europa Professor Ash hat in Oxford und in Berlin studiert. Sein Spezialgebiet ist Europa nach 1945.

Quelle: Frank Bauer/Contour by Getty Images

Und sonst bei uns bleiben?
Absolut, nüchtern betrachtet muss Europa grosses Interesse an einem für die Ukraine akzeptablen Kriegsausgang haben. 

Und dann sollte Europa einen Marshallplan auflegen?
Ich würde ihn nicht Marshallplan nennen, weil die Geschichte Europas reich ist an versprochenen, aber nie gelieferten Marshallplänen. Ich würde ihn vielleicht den Selenski-Plan nennen. 

Von der EU unterstützt.
Wir schulden es dieser Nation, die sich mit allen Mitteln gegen den Angriff Russlands stemmt. Und es ist in unserem Selbstinteresse, weil sonst fünf Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer im Rest Europas – ein Grossteil in Polen – bleiben. Und ich würde noch weitergehen: Wir dürfen nicht zulassen, dass Putin diesen Krieg gewinnt. Er will eine Ukraine, die er unter seiner totalen Kontrolle hat, oder dann eine auf Dauer destabilisierte Ukraine. Beides wäre schlecht für Europa.

Sie forderten EU-Beitrittsgespräche mit der Ukraine und lösten ein grosses Echo aus. Eine realistische Forderung?
Die Vergrösserung der EU ist der grösste Erfolg in der Geschichte der EU. Sie konsolidierte die Demokratie schon bei Griechenland, Spanien und Portugal in den 1980er Jahren, ab 2004 die neuen Demokratien Mittel- und Osteuropas. Davon haben alle profitiert. Und was die Ukraine betrifft: Bis heute hat mir niemand erklärt, wie die Ukraine wieder als konsolidierte Demokratie aufgebaut werden soll, ohne die Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft. 

Für eine Mitgliedschaft brauchts das Erfüllen von rechtsstaatlichen Kriterien. 
Wir wissen aus der Geschichte Polens, der Tschechischen Republik und anderen Staaten, dass eine EU-Mitgliedschaft ein grosser Anreiz ist, um schwierige und mitunter schmerzhafte Reformen umzusetzen. Und es gibt einen Anreiz für beiden Seiten. 

Im Fall der Türkei ging dieses Momentum verloren. Das Land wurde von der EU hingehalten, bis es sich dem Osten zuwandte und zum Risiko wurde. 
Es braucht Ehrlichkeit von beiden Seiten: Ein Land, das wirklich interessiert ist und bereit für harte Reformen. Und es braucht Ehrlichkeit seitens der EU. 1999 wurde beschlossen, mit der Türkei über einen Beitritt zu verhandeln, nach 2005 sagten Deutschland und vor allem Frankreich mehr oder weniger offen: auf gar keinen Fall.

Nüchtern betrachtet muss Europa grosses Interesse an einem für die Ukraine akzeptablen Kriegsausgang haben.

Timothy Garton Ash

Und wann sollte die Ukraine aufgenommen werden?
Ich rede sicher nicht von einem Fast Track. Die Beitrittskriterien – stabile Institutionen, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Menschenrechte, Achtung von Minderheiten, Marktwirtschaft und so weiter – müssen rigoros eingefordert werden. Leider hat man es versäumt, dies vor einem Beitritt von Rumänien und Bulgarien zu verlangen.

Man war zu lasch – heute hat man den Ärger?
Richtig. Und: Die Kriterien sind auch dann rigoros durchzusetzen, wenn ein Land in der EU ist. Das hat man in Ungarn unterlassen, weshalb es Viktor Orbán möglich war, die Demokratie in einem EU-Land zu zerstören. Das ist das Problem: Die Aufnahmekriterien sind relativ streng, aber wenn man mal drin ist, kann man – salopp gesagt – machen, was man will. 

Die Reaktion auf Ihren Ukraine-Beitrittsvorschlag war nicht sehr positiv. 
Es gibt in der EU vier Gruppen: Die erste will die EU-Mitgliedschaft ausdehnen, im wohlverstandenen Eigeninteresse und aus Sicht der Geopolitik. Dann gibt es eine zweite Gruppe, die das auch so sieht, aber die Hindernisse und Nachteile höher bewertet. Dafür habe ich Verständnis: Die Korruption in der Ukraine war enorm und es gibt Defizite bei der Gerichtsbarkeit. Dann gibt es eine dritte Gruppe, die aus Prinzip nicht mehr vergrössern will, zu ihnen gehört vermutlich Emmanuel Macron und bis vor kurzem Olaf Scholz und viele westeuropäische Politikerinnen und Politiker. Schliesslich gibt es jene, für die die EU schon zu gross ist. Und wenn sie einen Schluck Wahrheitsserum zu sich nähmen, würden sie sagen: Die EU dehnte sich schon zu weit nach Osteuropa aus; die Polen und Ungarn möchten wir eigentlich gar nicht dabeihaben.

Die Mehrheit der Schweiz würde wohl zur dritten und vierten Gruppe tendieren.
Ich bin nicht total überzeugt, dass die Zahl der Mitgliedstaaten entscheidend ist. Es gab auch bei einer grossen Zahl von Mitgliedern gute Entscheide, denn es gibt gelegentlich eine Koalition der Willigen – und die kann sich, wenn sie es klug macht, mithilfe der EU-Institutionen durchsetzen. Das Problem waren nicht die Blockaden in den Institutionen, sondern dass oft eine Koalition der Willigen fehlte, die vorausging. Das zeigt sich auch im Ukraine-Krieg.

Inwiefern?
Deutschland ist die zentrale Macht Europas. Und jetzt nehmen Sie die drei Forderungen von Selenski: mehr Waffen, mehr Sanktionen, eine Kandidatur für einen EU-Beitritt. Deutschland hat zu all den Forderungen Jein gesagt. Waffen? Zunächst Nein und dann Ja, aber nur zögerlich. Sanktionen? Ja, aber nicht bei Energie. EU-Kandidatur? Mal schauen.

Europa-Kenner

Timothy Garton Ash ist ein britischer Historiker, Autor und Kommentator. Er ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford. Ein Grossteil seiner Arbeit befasst sich mit der spätmodernen und zeitgenössischen Geschichte Mittel- und Osteuropas.

Er hat über die ehemaligen kommunistischen Regime dieser Region, ihre Erfahrungen mit der Geheimpolizei, die Revolutionen von 1989 und die Umwandlung der ehemaligen Ostblockstaaten in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union geschrieben. Er hat sich mit der Rolle Europas und der Herausforderung befasst, Freiheit und Vielfalt miteinander zu verbinden, insbesondere in Bezug auf die Redefreiheit.

Die Energie-Karte wäre entscheidend gegen Putin.
Absolut. Weil die Energiepreise stark steigen, ist der Leistungsbilanzüberschuss von Russland aktuell höher als vor dem Krieg. Die enormen Sanktionen werden durch die Öl- und Gaseinnahmen kompensiert. Aber – das alles könnte kehren: das Entsenden von schweren Waffen, ein Gasembargo.

Weil die Koalitionspartner Waffenlieferungen verlangen?
Absolut, in Deutschland findet derzeit eine grosse Auseinandersetzung über die in Trümmern liegende Ostpolitik statt, die aus den 1990er Jahren stammt. Wenn in Deutschland keine Einigung für stärkere Sanktionen und für Waffenlieferungen zustande kommt, wird der Druck wachsen, der Ukraine einen Beitritt in Aussicht zu stellen. Das würde zwar den Widerstand von Frankreich, den Niederlanden und anderen Ländern hervorrufen, aber wenn Deutschland kraftvoll dahinter stünde, wäre ich gespannt. Deutschland hat selbstredend sehr grossen Einfluss auf die Entscheidungen der EU.

Während die Millennials Europas zusammenfinden, ging Grossbritannien mit dem Brexit auf Distanz. Nun dominieren Länder, die auf Big Government setzen, Frankreich oder Deutschland.
Der Exit eines der drei grossen EU-Länder war wohl ein schwerer Schlag für die EU, auch wenn unsere europäischen Partner die negativen Folgen womöglich unterschätzen. Wobei die Verstimmung nach den unsäglichen Exit-Verhandlungen der Briten nachvollziehbar war. 

Trotzdem: Grossbritannien, das eben aus der EU austrat, verhält sich im Krieg europäischer und solidarischer als je zuvor.
Eines meiner Hauptargumente gegen den Brexit war: Immer, wenn es in der Geschichte Europas auf dem Kontinent aus dem Ruder lief, ist Grossbritannien früher oder später hineingezogen worden, auch im Zweiten Weltkrieg. Deshalb sagte ich in der Brexit-Debatte: Es gibt für uns keine «splendid isolation». Da ist aktuell ein Krieg in einem fernen Land namens Ukraine und schon ist Grossbritannien wieder an der Frontlinie und liefert – neben den USA und Ländern wie Polen – den grössten Beitrag zur Verteidigung eines europäischen Landes. 

Mit dem EU-Kritiker Boris Johnson an der Spitze.
Obwohl ich keine Bewunderung für Johnson habe und mir wünsche, dass er zurücktreten muss, weil er das Parlament anlog, muss ich doch eingestehen, dass sich seine Regierung im Ukraine-Krieg ziemlich gut macht. Aber es ist sicher eine Ironie der Geschichte, dass das grösste Ding, das Grossbritannien nach dem Brexit tut, der Eingriff in einen grossen europäischen Konflikt ist. Und zeigt für mich die Torheit eines EU-Rückzugs.

MUNICH, GERMANY - NOVEMBER 13: Historian, author and commentator Timothy Garton-Ash is photographed for the Sunday Times on November 13, 2019 in Munich, Germany. (Photo by Frank Bauer/Contour by Getty Images)

Preise Ash wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Karlspreis, dem Bundesverdienstkreuz, dem Orwell-Preis und dem Theodor Heuss Preis.

Quelle: Frank Bauer/Contour by Getty Images

Mit dem Austritt der Briten hat auch der politische Liberalismus in Europa an Kraft verloren. 
Ich will es nicht überstrapazieren, aber die Briten sind in meinen Augen empfindlicher bei Bürgerrechten, Demokratie oder Menschenrechten als manche andere Länder Europas. Schauen Sie sich den Umgang mit diktatorischen Regimes in Myanmar, China oder Russland an.

Könnte der Krieg die beiden Streithähne EU und UK wieder zusammenbringen?
Die Beziehungen zwischen der EU, vor allem zwischen Frankreich und Grossbritannien, waren in den vergangenen Jahren sehr schlecht. Aber ich sehe nun tatsächlich eine Chance für einen Reset. 

Inwiefern?
Wenn wir einen neuen Premier hätten, könnte er nach Brüssel fahren und sagen: Der Krieg hat vieles verändert. Lass uns mal nachdenken über die drei grossen Themen in Europa: Sicherheit, Aussenpolitik, Energie, die grüne Agenda. Und in all diesen drei Themen haben wir, Grossbritannien, einiges zu bieten. Also lasst uns unsere Beziehungen über den Ärmelkanal neu aufstarten. Und lasst uns die alten Fragen zur Seite legen, etwa den Streit mit den französischen Fischern oder jenen über nordirische Grenzprotokolle. Ein solches Konzept, sich auf Kernfragen zu konzentrieren, könnte auch die Schweiz interessieren.

Eine Gruppe von Ländern, die in Kernfragen zusammenarbeiten – und bei Fragen wie Arbeitsmarkt oder Migration lose verbunden sind? 
Nicht genau so. Aber ich mag die Vorstellung einer strategisch angelegten Zusammenarbeit mit der EU auf bestimmten Kerngebieten.

Sehen Sie einen Exit vom Brexit und eine Rückkehr in die EU?
Ein Wiedereintritt steht für die nächsten zehn Jahre nicht an. Zuerst müssen wir analysieren, was Brexit heisst. Aktuell gäbe es keine Ja-Mehrheit, vielleicht eine knappe Mehrheit jener, die den Brexit für einen Fehler halten. Es wäre wichtiger, in den nächsten zehn Jahren konstruktive, pragmatische Beziehungen zur EU herzustellen. Gegen 2030 kann man zusammensitzen und besprechen, wo die EU und Grossbritannien stehen. Vielleicht gehört Schottland ja dann zur EU, aber nicht mehr zu Grossbritannien.

Es ist sicher eine Ironie der Geschichte, dass das grösste Ding, das Grossbritannien nach dem Brexit tut, der Eingriff in einen grossen europäischen Konflikt ist.

Timothy Garton Ash

Eine Generationenfrage?
In Grossbritannien sind die Jungen eher pro Europa. Wenn das Brexit-Referendum drei Jahre später gekommen wäre oder wenn die 16- bis 18-Jährigen auch abgestimmt hätten, wäre eine Mehrheit für ein Bleiben gewesen. Die Zeit läuft auf engere Beziehungen von EU und Grossbritannien hinaus. Und aus meiner Welt der Wissenschaft kann ich sagen: Der Austausch, den wir über das Erasmus-Programm hatten, ist nun blockiert. Viele Studierende können nun nicht mehr an britischen Unis studieren. Sie wie wir sehen es als grossen Nachteil.

Bringt der Krieg Europa und die USA wieder näher?
Ich gehöre nicht zu jenen, die jetzt den grossen Schulterschluss feiern, das Bild eines vereinigten Westens. Das mag kurzfristig stimmen und in Fragen der Sicherheit Bestand haben, weil die Europäer wieder erkennen, dass es ohne die Amerikaner nicht geht. Längerfristig wird das transatlantische Verhältnis Risse kriegen.

Wann?
Vielleicht schon bei den Midterm-Wahlen in den USA oder bei den Präsidentschaftswahlen 2024, falls ein Trump-naher Präsident gewählt wird. Das würde den Graben vergrössern.

Millennials im Brennpunkt

«Let Europe arise. Die nächste Generation übernimmt in herausfordernden Zeiten. Welches Europa wollen die Millennials jetzt?» lautet das diesjährige Hauptthema der Gesprächs- und Ideenplattform Europa Forum. Als Höhepunkt der Jahresaktivitäten findet am 23. und 24. November 2022 das Annual Meeting im KKL Luzern statt.

Zu den namhaften Speakerinnen und Speakern zählen Bundesrätin Simonetta Sommaruga, Deutschlands früherer Aussenminister Sigmar Gabriel, Bundespräsident a.D. Christian Wulff, Historiker und Publizist Timothy Garton Ash, Schriftstellerin Nora Bossong, Chefin Sicherheitspolitik des VBS Pälvi Pulli, Alena Buyx und Franca Lehfeldt. Sichern Sie sich jetzt Ihr  Ticket.