Optimismus am Europa Forum Annual Meeting

Der Raum wird dunkel, die Video-Präsentation startet. Gezeigt werden starke Bilder aus Europa. Hinterlegt wird das Ganze mit einem Ausschnitt aus Winston Churchills Rede an der Universität Zürich im Jahr 1946. Ein Gänsehautmoment. «Let Europe Arise», so die abschliessenden Worte Churchills. Europa soll auferstehen. Moderatorin Christine Maier begrüsste die Anwesenden und spricht von den aktuellen Krisen, die Europa derzeit herausfordern. Krisen, die es zu überwinden gibt. Krisen, für welche die Millennials eine Lösung finden müssen. Auch Europa Forum Co-Direktor Dominik Isler greift das Thema «Krisen» auf. Und dass sie uns, anders als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ratlos machen. «Konfliktlinien durchziehen den Kontinent», so Isler. Dennoch handle Europa auffallend geschlossen. Gemeinsam werden Sanktionen ergriffen, gemeinsam gegen den Klimawandel gekämpft. Aber: «Europa funktioniert nicht wirklich», so Isler. «Die Welt ist an einem Scheidepunkt. Und wir bewegen uns kaum.» Doch die Millennials werden Europa prägen, davon ist der Co-Direktor des Europa Forums überzeugt. Ein Platz für die Schweiz Bundesrätin Simonetta Sommaruga beginnt ihre Rede mit einem Witz über die Einführung des Euro und den EU-Beitritt der Schweiz. Das Publikum lacht, aber eigentlich ist das Thema ernst. «Wir haben Krieg in Europa», hält die Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation fest. Dieser Krieg wirke sich auf verschiedene Bereiche aus. «Wir müssen uns fragen: Wo gehören wir hin? Wo sind unsere Verbündeten? Wie können wir unsere Interessen verwirklichen?» Seit dem Nein zum EWR vor dreissig Jahren orientiere sich die Schweiz in alle Himmelsrichtungen. «Wir sind weit in die Welt hinaus gezogen und haben einzelne Abkommen geschlossen», so Sommaruga. Die Schweiz profitiere vom Welthandel und offenen Grenzen. «Wir dürfen nicht blauäugig sein», warnt die Bundesrätin. Denn Globalisierung schaffe Abhängigkeiten.Was jetzt im Gasbereich geschehe, sei für viele ein Lehrstück. «Wir haben uns im Energiebereich abhängig gemacht.» Die Schweiz werde diesen Winter mit einem blauen Auge davon kommen – doch danach müsse sie Alternativen suchen. Robuster werden und die einheimische Stromproduktion ankurbeln. «Die Schlüsselindustrien müssen bei uns bleiben», hält Sommaruga fest. Sie meint in der Schweiz, aber auch in Europa. Die Globalisierung sei von der Realität eingeholt worden. Der Markt alleine werde es nicht richten und die Aussenpolitik stosse an ihre Grenzen. «Stimmt unser aussenpolitischer Kompass noch?», fragt die Bundesrätin und antwortet sogleich auf ihre Frage: «Ich finde nicht.» Der naheliegende Partner sei Europa, entsprechend solle man sich wieder stärker nach Europa orientieren. Die Zeit für naive Schwärmereien sei vorbei: «Es ist Zeit für eine Rückbesinnung auf Europa.» Erste Anzeichen würden schon in diese Richtung deuten. «Nun brauchen wir ein neues Abkommen.» Es werde ein zähes Ringen mit Europa, doch Aussenpolitik müsse mehr sein als Aussenwirtschaftspolitik. Mehr Engagement, neue Gelegenheiten Christian Wulff, ehemaliger Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, betont den Ernst der Lage der Ukraine und den damit einhergehenden Flüchtlingsstrom. «Wir alle müssen eine Schippe drauflegen, engagierter sein, wachsamer sein», fordert er. Es gelte, Fingerspitzengefühl dafür zu entwickeln, was die Situation derzeit gebiete: «Einzeln werden wir von der Krisenwelle mitgerissen. Gemeinsam können wir sie brechen», so Wulff. Europa und die Welt brauche tiefgreifende Veränderungen, um eine Enkel-taugliche Welt zu schaffen. «Wir müssen zusammenarbeiten. Im Interesse der Erhaltung der Menschheit auf diesem Planeten.» Von der Schweiz ist der Politiker fasziniert. Von ihrer Vielfalt. Von ihrem Geist der Kompromissfindung. «Das Schweizer Volk hat Einfluss auf die Politik. Das macht es zufriedener.» Als Europäer müsse man akzeptieren, dass die Schweiz etwas Besonderes sei. Auch Europa sei etwas Besonderes. Deshalb brauche es auch da Fingerspitzengefühl. Wulff fordert einen festen Zeitplan, um die Zusammenarbeit zu erarbeiten. Denn die Demokratie in Europa sei zerbrechlicher als angenommen, weil sie vom Einsatz der Bürger abhänge. «Wir brauchen Überzeugungstäter für Europa, für die Demokratie», fordert der deutsche Politiker und zeigt sich besorgt, dass der Glaube an die Demokratie sinkt. «Ich will nicht, dass wir durch Ignoranz unsere Demokratie aufs Spiel setzen.» Erschöpfung sei gefährlich. «Es ist schwierig, für Demokratie einzutreten, wenn sie weg ist.» In der Krise die Chance Zum Schluss spricht der Historiker Timothy Garton Ash. «Europa war in den Knien, als Winston Churchill seine berühmte Rede hielt», beginnt er. Heute befänden wir uns in einem völlig anderen Europa. Auch Garton Ash spricht von den Krisen; Ukraine-Krise, Klima-Krise, Krise in der Demokratie. Trotz oder gerade wegen all den Krisen bezeichnet er aber die jetzige Situation als «Kairos», als günstigen Zeitpunkt. Denn nichts bringt mehr Gelegenheiten mit sich als eine Krise: Die Gelegenheit, die Demokratie zu erneuern. Die Gelegenheit, neue Konzepte für erneuerbare Energie zu finden. Die Gelegenheit, als Europa zusammenzurücken.

Optimismus am Europa Forum Annual Meeting

«Zeit für eine Rückbesinnung auf Europa»