Johan Six

Impulsgeber 2021: Wissenschaft

Veröffentlicht am 24.06.2021 - 08:51 Uhr
Quelle: Alessandro della Bella / PD

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Der Forschungsdrang dieser Impulsgeberinnen und Impulsgeber kennt keine Grenzen. Damit setzen sie Akzente, die nicht nur China, sondern die ganze Welt verändern.

Seit 2019 kürt das Europa Forum Luzern jedes Jahr herausragende Persönlichkeiten, deren Visionen etwas bewegen. Passend zum Jahresmotto «Im Banne Chinas» sind es heuer 25 Impulsgeberinnen und Impulsgeber, die im Spannungsfeld Schweiz, Europa und China Herausragendes leisten und Brücken bauen. Nachfolgend 5 Porträts aus dem Bereich Wissenschaft.

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Johan Six, 49: Wegbegleiter für ein nachhaltiges China

ETH-Forscher Johan Six ist einer der meistzitierten Wissenschafter der Welt. Sein Spezialgebiet ist die Bewertung und Entwicklung von landwirtschaftlichen Praktiken für mehr Nachhaltigkeit. Six geht dieses Thema ganzheitlich an: «Es geht nicht nur darum, die Landwirtschaft produktiver zu machen, sondern auch umweltfreundlich und in sozio-ökonomischer Harmonie mit den Bauern.» Sein Ziel ist eine ausreichende Produktivität in der Landwirtschaft, um die Nahrungsmittelversorgung sicherzustellen und parallel dazu den Landwirten ein verlässliches Einkommen zu bieten. Wobei er auch die Reduzierung von Treibhausgasemissionen und den optimalen Einsatz von Hilfsmitteln wie Dünger und Chemikalien im Blick hat.

In China hat er hier bereits einiges bewirken können: Während in den vergangenen Jahrzehnten das Wirtschaftswachstum und die Versorgungssicherheit für eine massiv wachsende Bevölkerung im Vordergrund standen, geht es in China nun darum, die Landwirtschaft und die Nahrungsmittelproduktion nachhaltiger zu gestalten. Six brachte dafür sein Know-how ein. Weil das Land wirtschaftlich prosperiert, sind dafür nun die finanziellen Mittel vorhanden. Entgegen den Erwartungen hat China noch einen Vorteil: «Das Regierungssystem kann Massnahmen viel schneller top-down umsetzen, als das in anderen Ländern der Fall ist», sagt Six.

Sein Engagement wurde zunächst vom chinesisch-schweizerischen Agrarriesen Syngenta mitfinanziert. «Ich bin dem Unternehmen aber keine Rechenschaft schuldig und kann völlig unabhängig agieren», betont Six. Derzeit ist der Forscher in Afrika unterwegs, um die Menschen und deren Lebensbedingungen dort zu studieren und eine nachhaltige Landwirtschaft zu entwickeln.  Bernhard Fischer

3 Fragen an Johan Six

Was sind die grössten Herausforderungen in China, um die Landwirtschaft produktiver und nachhaltiger zu machen?

In vielen Teilen Chinas ist die Bodenerosion ein grosses Problem. Die Nachhaltigkeit der Landwirtschaft ist vor allem durch den übermässigen Einsatz von Düngemitteln und Chemikalien zum Pflanzenschutz gefährdet.

Wie steht China in dieser Hinsicht im internationalen Vergleich da?

Der übermässige Einsatz von Chemikalien ist in einigen Gebieten Chinas sehr weit verbreitet. Aber es gibt derzeit grosse Anstrengungen, diesen zu reduzieren. Was die Bodendegradation angeht, so sind einige Gebiete in China stark betroffen, aber im Durchschnitt ist es nicht schlimmer als in anderen Ländern.

Was haben Sie in und für China erreichen können?

Ich habe viel Forschung zu alternativen Managementpraktiken -betrieben, um die Effizienz der Nährstoffnutzung zu verbessern. Ich hatte auch schon einige chinesische Studenten und Gastwissenschafter in meinem Labor, um dafür Kapazitäten aufzubauen.

Stéphanie Balme, 49: Die Rechts-Expertin

Das chinesische Rechtssystem birgt für Stéphanie Balme keine Geheimnisse. Die Dekanin des Collège universitaire de Sciences Po in Paris kennt China aus erster Hand. Sie hat in Hongkong und Peking gelehrt und dort Studien für ihre Forschungsarbeit durchgeführt. Sie ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des European Institute for Chinese Studies (Eurics) und Vizepräsidentin der European China Law Studies Association (ECLS). Sie hat zahlreiche Bücher zum Recht in China veröffentlicht, darunter «Chine, les visages de la justice ordinaire. Entre faits et droit» (2016), «La tentation de la Chine: nouvelles idées reçues sur un pays en mutation» (2013) oder auch «Entre soi: l’élite du pouvoir dans la Chine contemporaine» (2004). 

Stephanie Balme doyenne du College Universitaire
Quelle: Thomas Arrive / Sciences Po

Zu behaupten, Stéphanie Balme kenne lediglich die Riten und Codes in China, wird ihr nicht gerecht. Vielmehr weiss sie auch, wie diese vermittelt werden, wie sie in ihrer Abhandlung über die Rolle der «Guanxi» im sozialen Bereich und deren Einfluss auf das Funktionieren des Regimes unter Beweis stellt. Die Reformen haben viele Aspekte des Regimes modernisiert, aber die Macht der Partei sorgt dafür, dass die Kontinuität des Regimes erhalten bleibt.

Die Justiz hat sich im Reich der Mitte in einem beeindruckenden Tempo entwickelt. «Hölzerne Gerichte ohne PC sind einem Hightech-System gewichen», erklärt Balme. Die Art und Weise, wie Recht gesprochen wird, habe sich hingegen nicht geändert: So steigt zwar die Zahl der Streitfälle, aber die Anzahl Anwälte bleibt sehr gering und auf die grossen Städte beschränkt. Zudem sei das chinesische Recht «ein unübersichtliches normatives Labyrinth», wie Balme immer wieder feststellen muss.  Emmanuel Garessus

Sebastian Heilmann, 56: Sino-Forscher

Sebastian Heilmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Politik und Wirtschaft Chinas an der Universität Trier mit dem Schwerpunkt «Politisches System und Wirtschaftsentwicklung in der Volksrepublik China, insbesondere Industrie- und Technologiepolitik». Heilmann hat in China studiert und gelebt. Seine Publikationen zur chinesischen Wirtschaftspolitik in englischer und chinesischer Sprache haben ihn zu einem der international bekanntesten europäischen China-Forscher gemacht. Von 2013 bis 2018 fungierte er als Gründungsdirektor des in Berlin ansässigen, international aktiven Mercator Institute for China Studies (Merics). Unter seiner Führung etablierte sich Merics als grösstes europäisches Forschungsinstitut zum gegenwärtigen China und wirkte als Think-Tank aktiv an den Debatten um eine Neuausrichtung europäischer China-Politik mit. Dies führte seit 2016 zu heftigen Attacken in chinesischen Staatsmedien und 2021 sogar zu offiziellen Sanktionen gegen das Institut. Die Wichtigkeit einer eigenständigen europäischen China-Forschung wurde durch diese Entwicklung unterstrichen.

25 OCT 2013, BERLIN/GERMANY: Mitarbeiterfotos MERICS, Mercator Institute for China Studies
Foto: www.marco-urban.de
Foto: www.marco-urban.de

Der Professor ist erfahrener Berater europäischer Regierungen, Verbände und Unternehmen. Eine seiner aktuellen Publikationen von 2020 heisst «Die Seidenstrassen-Illusion: Mythen und Realitäten eines eurasischen Superkontinents unter chinesischer Vorherrschaft». Heilmann ist davon überzeugt, dass Chinas weltwirtschaftliche Rolle und technologische Innovationskraft in Europa noch immer unterschätzt werden. Zugleich warnt er vor den Folgen sich verschärfender politischer Spannungen: Die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit China würden immer störungsanfälliger. Alle Geschäftsmodelle mit Bezug zum chinesischen Markt müssten mit Blick auf die geo- und technologiepolitischen Verwerfungen laufend überprüft und angepasst werden. Ein bequemes business as usual gebe es im Umgang mit China nicht mehr.  Eckhard Baschek

Keyu Jin, 39: Die Brückenbauerin

Keyu Jin ist Professorin für Volkswirtschaft an der London School of Economics (LSE). Als 14-Jährige kam die Chinesin als erste Schülerin ihrer Pekinger Schule als Austauschschülerin nach New York und studierte später auch in den Vereinigten Staaten. Nach Studium und Promotion in Harvard wurde sie als Professorin an die LSE berufen. Sie hatte zudem Gastprofessuren an den renommierten Universitäten in Berkeley und Yale inne. Das WEF ernannte sie 2014 zur Young Global Leader.

Ihre aktuelle Forschung konzentriert sich auf die aktive Rolle des Staates in der Wirtschaft, basierend auf den chinesischen Erfahrungen. Ein weiterer Schwerpunkt Jins gilt dem Technologiewettbewerb zwischen Volkswirtschaften. In diesem Zusammenhang untersucht sie auch, wie Staaten eine Balance finden können zwischen dem Interesse, nationale Technologiechampions zu fördern, und dem Schutz ihrer Konsumenten. In Kürze erscheint bei Penguin Random House Jins Buch über den Einfluss, den die neue chinesische Generation in den kommenden Jahren auf Wirtschaft und Gesellschaft haben wird. Sie schreibt zudem Kolumnen für die Financial Times und ist eine gefragte Rednerin bei internationalen Konferenzen. Zu den von Jin beratenen Institutionen gehören der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank, der New Yorker Federal Reserve, Goldman Sachs und andere Finanzinstitute. Der Fokus ihrer Beratung liegt zurzeit auf Finanzinstitutionen, die in chinesische Technologieunternehmen investieren wollen. Sie berät zudem chinesische Unicorn-Startups und sitzt seit 2017 im Verwaltungsrat von Richemont. 

Keyu Jin
Quelle: Bloomberg

Jin, die sich in London gleichermassen zuhause fühlt wie in ihrer Heimatstadt Peking, hat vor dem Hintergrund der oft hitzigen Diskussion über die Konflikte zwischen der westlichen Welt und China einen Wunsch: «Wir sollten respektieren, dass Gesellschaften unterschiedliche Kulturen und Werte haben und dass auch politisch-wirtschaftliche Systeme gut funktionieren können, die vom Schulbuch-Ideal des liberalen Kapitalismus abweichen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit dieser Offenheit viele Missverständnisse zwischen China, dem Westen und anderen Ländern vermeiden können.»  Florian Fels

Elizabeth C. Economy, 58: China-Expertin

Elizabeth C. Economy ist Expertin für chinesische Innen- und Aussenpolitik. Sie ist als Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University tätig und war ebenfalls als Senior Fellow und Direktorin für Asienstudien am Council on Foreign Relations. Dr. Economy ist Autorin zahlreicher Publikationen. Das Buch mit dem Titel «The Third Revolution: Xi Jinping and the New Chinese State» war auf der Shortlist für den Lionel-Gelber-Preis. Ihr nächstes Werk, das im November 2021 erscheint, heisst: «The World According to China». Sie ist zudem Autorin von «By All Means Necessary: How China’s Resource Quest is Changing the World». Ihre Artikel erschienen u.a. in Zeitschriften wie «Foreign Affairs», «Foreign Policy», «Harvard Business Review» und «New York Times» sowie «Wall Street Journal». Elizabeth C. Economy ist Mitglied des Verwaltungsrats des Swarthmore College und des Kuratoriums der Asia Foundation und des National Committee on U.S.-China Relations. Economy erhielt ihren BA mit Auszeichnung vom Swarthmore College, ihren AM von der Stanford University und ihren PhD von der University of Michigan. Im Jahr 2008 erhielt sie die Ehrendoktorwürde der Vermont Law School. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in New York City.  Tim Höfinghoff

Mag25 EFL 2021 Wissenschaft Economy
Quelle: ZVG
Die Jury, welche die Impulsgeberinnen und Impulsgeber 2021 kürte:

Executive Commitee, Europa Forum Luzern.

  • Marcel Stalder, Präsident, Chain IQ
  • Philipp Gmür, Vizepräsident, Helvetia
  • Morten Hannesbo, Quästor, Dignitinis
  • Elvira Bieri, SGS
  • Julie Cantalou, glp Lab
  • Andreas Gerber, Credit Suisse
  • Hans Hess, ehem. Swissmem
  • Daniel Keist, Metall Zug AG
  • Michael Moersch, Ringier Axel Springer Schweiz
  • Damian Müller, Ständerat
  • Fabian Peter, Regierungsrat Luzern
  • Cécile Rivière, foraus
  • Jean-Philippe Rochat, Kellerhals Carrard
  • Stefan Rösch-Rütsche, EY
  • Bruno Staffelbach, Rektor Universität Luzern
  • Fritz Studer, Luzerner Kantonalbank
  • Sophie Weerts, Professorin Universität Lausanne
  • Beat Züsli, Stadtpräsident Luzern