Das Abendessen wird von einer wichtigen Whatsapp unterbrochen, kurz vor Mitternacht muss eine E-Mail beantwortet werden, und frühmorgens erscheint schon eine geschäftliche Textnachricht auf dem Screen: Die Digitalisierung verwischt die Grenze zwischen Berufs- und Privatleben, wodurch die Arbeitsgesundheit vieler Erwerbstätiger leidet. Laut der Studie «Gesund digital arbeiten?!» des deutschen Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik (FIT), für die mehr als 5000 Personen befragt wurden, berichtet jeder Achte von starker bis sehr starker Belastung durch digitale Arbeit. Über ein Drittel der Antwortgebenden fühlt sich ausserdem durch mindestens einen digitalen Faktor sehr stark belastet.
Dieser digitale Stress steht in einem negativen Zusammenhang mit der Gesundheit und dem Wohlbefinden der Befragten. Stärkerer digitaler Stress geht mit einer schlechteren Einschätzung des allgemeinen Gesundheitszustands einher. «Die Erschöpfung ist grösser, je stärker der berichtete digitale Stress ist», schreiben die Studienautoren. Die Befragten fühlen sich ausserdem stärker gereizt. Vergleiche zwischen Personen mit geringem und starkem digitalem Stress zeigen, dass starker digitaler Stress auch häufiger mit spezifischen Gesundheitsbeschwerden wie psychischen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems einhergeht.
Klare Regeln aufstellen
Wie Imke Knafla, Co-Leiterin des Zentrums Klinische Psychologie & Psychotherapie am Institut für Angewandte Psychologie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), erklärt, sind die häufigsten Ursachen für digitalen Stress die ständige Erreichbarkeit, die Entgrenzung der Arbeit mit weniger klaren Erholungszeiten sowie die Komplexität digitaler Technologien: «Die Zyklen neuer Technologien werden immer kürzer, und wir müssen lernen, damit Schritt zu halten.»
Was also können Führungskräfte tun, um den digitalen Stress ihrer Mitarbeitenden zu reduzieren? Dazu gibt Knafla folgende Tipps: «Zuerst sollte man klare Kommunikationsregeln festlegen. Dies bedeutet, die Anzahl der genutzten Kommunikationskanäle – E-Mail, Chat, Smartphone – zu begrenzen.» Ausserdem müssten die digitalen Kompetenzen der Mitarbeitenden gestärkt werden, beispielsweise, indem man Schulungen zu digitalen Tools und deren optimaler Nutzung anbiete. Mit einer höheren Digitalkompetenz würden die Unsicherheit und das Belastungserleben im Umgang mit neuen Systemen sinken. Des Weiteren solle man ein gesundes Führungsverhalten und die psychologische Sicherheit fördern, damit sich Mitarbeitende trauen würden, Überforderung zu äussern. «Ausserdem muss die Nichterreichbarkeit geschützt werden, indem man Richtlinien zur Erreichbarkeit aufstellt – beispielsweise keine dienstlichen Anfragen ausserhalb der Arbeitszeit und keine Nutzung von privaten Nummern für betriebliche Kommunikation.»
Die eigenen Stressfaktoren benennen
Denjenigen Personen, die das Gefühl haben, selbst von digitalem Stress betroffen zu sein, empfiehlt die Professorin folgende Strategien: «Als Erstes gilt es, die Stressoren bewusst zu identifizieren und herauszufinden, was genau es ist, das einen stresst. Eine Ablenkung? Keine klaren Erholungszeiten? Die ständige Erreichbarkeit? Es ist leichter, adäquat zu reagieren, wenn man das Problem möglichst genau benennen kann.» Zudem rät sie dazu, bewusste Offlinezeiten einzuplanen und Pausen zu machen. Darüber hinaus solle man die Flut der Benachrichtigungen begrenzen – etwa, indem man die Anzahl der Push-Nachrichten einschränkt. Und ganz wichtig: Bei der Pflege von sozialen Kontakten und Hobbys sollten die Geräte bewusst ausgeschaltet werden. Digitaler Stress hat nicht nur Einfluss auf die Mitarbeitenden, sondern auch auf die Unternehmen. Gemäss der FIT-Studie denken Erwerbstätige mit starkem digitalem Stress öfter daran, die Arbeitsstelle oder den Beruf zu wechseln und zeigen eine schlechtere Leistung. Diese Personen schätzen auch ihre Arbeitsfähigkeit tiefer ein. Aus diesem Grund sollten sowohl Arbeitgeber als auch Mitarbeitende Interesse daran haben, sich für das Thema digitaler Stress zu sensibilisieren und etwas dagegen zu tun – insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien. «Unternehmen, die digitalem Stress entgegenwirken, können ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten und durch attraktivere Arbeitsplätze sogar erhöhen. Für Erwerbstätige wiederum bedeutet dies, auch digital gesund arbeiten zu können», heisst es in der Studie.