Wiederverwendung ist so alt wie die Menschheit. «Doch wir haben irgendwann nach dem Weltkrieg und vor allem während der Industrialisierung verlernt, was Wiederverwendung bedeutet», sagt Felix Dillmann, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Organisation RE-WIN. «Wir konnten plötzlich grosse Mengen an natürlichen Ressourcen erschliessen – und zudem herrschte die Arbeitskapitalisierung vor.» Das führte zu einer Ressourcenverschwendung – vor allem auch in der Schweiz –, die uns jetzt auf die Füsse fällt. Denn unsere Deponien sind voll, und zwar oft mit Dingen, die sich mit ein wenig Einsatz auf jeden Fall weiterverwenden liessen, wie zum Beispiel Fenster. «Aktuell entsorgen wir rund dreitausend Mal die Anzahl Fenster des Prime Towers in Zürich pro Jahr. Ein Grossteil davon wird vergraben», sagt Dillmann. «Es ist an der Zeit, umzudenken. Nicht aus dem Wollen, sondern aus dem Müssen heraus.» Schon jetzt transportieren Städte wie Basel ihren Abfall über Kantonsgrenzen hinaus, da man selbst keine freien Deponien mehr hat. Andere Regionen liebäugeln damit, den Abfall Richtung Frankreich zu verschieben. «Das aber verbietet das hiesige Abfallgesetz», sagt Dillmann. «Abfall darf nur unter strengen Auflagen ins Ausland exportiert werden.»
Bestehende Bausubstanz nutzen
Es braucht daher neue Lösungen beziehungsweise das Erinnern an alte Vorgehensweisen wie das Wiederverwenden. Und hier kommt das Konzept des Urban Minings ins Spiel. Auch wenn Dillman den Begriff kritisch sieht, ist er von der Idee dahinter überzeugt. Bereits im Jahr 1995 gründete die Basler Architektin Barbara Buser gemeinsam mit Klara Kläusler den Verein Bauteilbörse Basel und legte den Grundstein für die Wiederverwertung von bereits genutzten Bauteilen in der Schweiz. Und genau darum geht es. Urban Mining bedeutet Baustoffgewinnung aus bestehender Bausubstanz, wie Fenster, Küchen oder auch Beton- und Stahlträger. Damit sich Urban Mining aber auch in der Schweiz durchsetzen kann, braucht es Kooperation und ein funktionierendes Netzwerk.
Ein Schlüsselprojekt sind hier die «Re-use-Höfe», welche die Lagerung und Weiterverwendung von Baumaterialien revolutionieren sollen. Dillmann erläutert: «Der Fokus liegt bei den Re-use-Höfen nicht unbedingt auf der langfristigen Lagerung, sondern auf der Optimierung der Logistikkette und der Integration von Recyclingunternehmern als Akteuren in dieser Kette.» So soll in den Re-use Höfen Material zwischengelagert werden, bevor es an anderer Stelle genutzt und weiterverarbeitet werden kann. «Die fehlende Logistik und zusammenhängende Lieferketten sind das hinderliche Element der Kreislaufwirtschaft», sagt der Experte. «Es gibt grosse Logistiker und gab Fabriken mit tausenden Quadratmetern Flächen. Was es im Moment einfach noch nicht gibt, sind Bauteillager.» Durch die Digitalisierung und Just-in-time-Konzepte haben viele Unternehmen ihre Lagerflächen minimiert. Dillmann sieht in den Re-use-Höfen jedoch eine Chance, diese Effizienzsteigerung weiterzuführen, indem Materialien effektiv zwischen- und eingelagert und so Unternehmen und Planern zur Weiterverarbeitung bereitgestellt werden können. «Zeitliche Asynchronität und fragmentierte Lieferketten machen es zu einer Herausforderung, grosse Mengen von Baumaterialien effizient wiederzuverwenden. Wir müssen diese Faktoren in den Griff bekommen, um eine erfolgreiche Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen.»
Pioniere und Politik sind gefragt
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Zusammenarbeit mit Recyclingunternehmen, die als Konkurrenten der Wiederverwendung gesehen werden könnten. «In den Re-use-Höfen geht es darum, in der Triage zwischen Recycling und Wiederverwendung zu harmonisieren. Was wiederverwendbar ist, entwickelt sich jedoch erst mit der Zeit.» Doch um Erfahrung zu sammeln, braucht es entsprechende Pionierprojekte. Re-Win betreibt aktuell fünf Re-use-Höfe in der Schweiz und Liechtenstein. Hier werden vor allem Fenster gesammelt, geprüft, inventarisiert und für den Transport vorbereitet. Grössere Positionen von über hundert Fenstern werden direkt auf der Baustelle vorbereitet und in die ukrainischen Verteillager transportiert. Die Sammellager stabilisieren den Materialfluss und kompensieren Bauverzögerungen und Krisen. «Mit einer Kapazität von 1500 bis 2000 Fenstern sind sie essenziell für ausgelastete Logistik und die kontinuierliche Belieferung der Empfängerorganisationen», sagt Dillmann.
Doch um Urban Mining flächendeckend umzusetzen, braucht es vor allem auch die Politik. «Für uns ist es entscheidend, dass alle Massnahmen auf Gesetzesebene verankert sind», sagt Dillmann. «Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, die es ermöglichen, dass die Kreislaufwirtschaft attraktiver und die Linearwirtschaft eventuell unattraktiver wird – beides ist akzeptabel.» Momentan erhalten in seinen Augen jedoch die wenigen Organisationen, die sich um eine nachhaltige Wirtschaft bemühen, noch relativ wenig Unterstützung von der öffentlichen Hand. Dabei gibt es ja ein Vorbild. Dazu der Experte: «Vor dreissig Jahren haben wir es relativ erfolgreich geschafft, das Konzept des Recyclings, eine Form der Kreislaufwirtschaft, zu etablieren. Es gab damals grosse schweizweite Initiativen seitens des Bundes, die unter anderem eine vorgezogene Recyclinggebühr eingeführt und die Zusammenarbeit gefördert haben, um Recycling praktikabel zu machen.» Und so wurde ein echter Markt für Recycling geschaffen. Ähnliches muss nun auch in Sachen Wiederverwendung passieren, damit die Kreislaufwirtschaft zunehmend an Bedeutung gewinnt und funktioniert.