Bis vor wenigen Jahren wurden Abfälle aus der Nahrungsmittelproduktion im besten Fall als Futter in der Nutztierhaltung «entsorgt». Doch längst hat ein Umdenken stattgefunden – mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, technologischen Fortschritten und vor allem innovativen Unternehmen als Treiber.
«Abfälle» gelten vermehrt als lukrative Rohstoffe. Es geht primär um die Nutzbarmachung von Proteinen und Ballaststoffen. Im Fokus steht die Gewinnung funktioneller Lebensmittelzutaten. Doch welche «Abfälle» eignen sich für eine Valorisierung (für den menschlichen Verzehr geeignet) und welche für eine Verwertung (nicht für den menschlichen Verzehr geeignet)?
Zulassungsverfahren als Hürde
Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) hat daher das auf nachhaltige Entwicklung spezialisierte Beratungs- und Forschungsinstitut Integrale Planung GmbH beauftragt, das Potenzial abzuschätzen. Die Studie wurde kürzlich publiziert. Der Bericht beschränkt sich auf zehn für die Schweiz qualitativ relevante Nebenströme: Molke, Weizenkleie, Melasse, Rapspresskuchen, Biertrester (der Malzrückstand nach dem Läutern der Maische), Mosttrester, Rinderinnereien, Poulet-Innereien, Poulet-Hals und Schweinsinnereien. Die Relevanz wurde anhand von drei Kriterien grob beurteilt: Mengenrelevanz, Umweltrelevanz, technisch-wirtschaftliche Relevanz.
Dabei zeigt sich: Eine Valorisierung und Verwertung lohnen sich aus ökologischer Sicht fast in allen Fällen. Einzig bei einigen der untersuchten Nebenströme kann die Kompostierung wie auch die Verbrennung eine Mehrbelastung der Umwelt verursachen. Doch die erfolgreiche Valorisierung ist abhängig von einer vorhandenen Marktnachfrage, denn ohne Konsumenten ist auch ein Nebenstrom nur ein weiterer Lebensmittelverlust.
Durch mögliche künftige regulatorische Anpassungen oder auch die Möglichkeit der Beantragung von neuen Zulassungen für Produkte könnte sich die Umwelteinsparung einzelner Verwertungswege verändern. Ebenfalls könnten neuartige Produkte künftig Zulassungen erhalten und neue Umweltpotenziale erschliessen. Doch gleichzeitig wirkt das Zulassungsverfahren auch als Hürde, um neue Verfahren zu entwickeln und anzuwenden.
Initiative für mehr Wiederverwertung
Davon lassen sich innovative Unternehmen nicht abschrecken, vor allem wenn vielversprechende Nebenströme bereits in der Produktion anfallen. Beispielsweise bei der Brauerei Locher in Appenzell. Diese leistet einen wesentlichen Beitrag zur Verhinderung von Foodwaste. Aber nicht, weil seitens Regulierung und Umfeld Druck ausgeübt wird, sondern aus Überzeugung. Unter der neu lancierten Food-Upcycling-Marke Brewbee verwandelt sie Nebenprodukte in «genussvolle Lebensmittel», wie Initiant und Inhaber Karl Locher erklärt. Aktuell werden unter der neuen Marke Pizzas, Chips, pflanzenbasierte Produkte, Müeslis und Cornflakes produziert.
Die Weiterverwendung der eigenen Brauerei-Nebenprodukte ist für Karl Locher nur der erste Schritt in Richtung Nachhaltigkeit. Mit dem Projekt Climate Mission will er Lebensmittelproduzenten und Konsumenten zur Wiederverwertung von Reststoffen und Lebensmitteln motivieren. Das Ziel ist klar: mehr Ressourcenschonung und deutlich weniger Foodwaste.
Doch schon Gewinner
Doch um in die Gewinnzone zu gelangen, ist ein langer Atem nötig sowie entsprechendes Investitionskapital. Denn für die Privatwirtschaft muss neben der Ökologie auch die Ökonomie stimmen – es muss sich längerfristig kommerziell lohnen. Locher: «Es gibt Produkte, welche bereits Gewinn abwerfen, andere brauchen noch Zeit, um in die Gewinnzone zu kommen. Auf jeden Fall gibt es seit Anbeginn grosse Gewinner: die Natur und unsere Umwelt.»
Karl Locher, Inhaber der Brauerei Locher AG, Appenzell
Mir scheint es, als bewegten Sie sich immer weiter weg vom Kerngeschäft Bier. Ist das einer Diversifikationsstrategie geschuldet oder steckt mehr dahinter?
Alle diese Produkte entstehen aus unseren Rohstoff- oder Produkte-Nebenströmen. Unser Ziel ist, dass wir alle unsere Nebenprodukte wieder in den Lebensmittelkreislauf zurückführen können. Da wir Neuland betreten und die Mengen beträchtlich sind, können wir das nicht nur mit einem Rezept bewältigen. Daher brauchen wir eine ganze Linie von Produkten, um unsere Nebenströme in vielfältige hochwertige Lebensmittel zu verarbeiten.
Abgesehen von den Rohstoffen: Wie lassen sich Synergien zum Kerngeschäft nutzen?
Da wir im Lebensmittelsektor tätig sind, haben wir vielfach die gleichen Ansprechpartner wie beim Bier. Diese Personen sind dann gleichzeitig auch für den Einkauf einer ganzen Palette von Lebensmitteln zuständig oder leiten uns intern an die richtige Person weiter.
Was waren aus Ihrer Sicht die grössten Herausforderungen?
Da noch keine durchgehenden Anwendungen auf dem Markt waren, haben wir diese selbst entwickelt. Zudem gilt es, das Verständnis bei den Konsumenten weiter zu fördern. Nebenströme sind oftmals qualitativ gleichwertig oder sogar hochwertiger als Primärrohstoffe.