Seit Jahrzehnten folgt die Wirtschaft dem Prinzip «Extraktion, Produktion, Konsum, Entsorgung». Dieses lineare Modell hat zwar Wachstum gebracht, kostet jedoch Ressourcen und geht zulasten von Klima und Zukunftsfähigkeit. Heute zeigt sich: Wer allein auf endliche Rohstoffe setzt, verliert an Wettbewerbsfähigkeit. Auch der Druck vonseiten der Gesetzgeber und Finanzindustrie wächst spürbar. So verlangt die EU-Taxonomie Nachweise über Ressourcenschonung und CO₂-Fussabdruck. In der Schweiz werden erste Richtlinien zur grauen Energie eingeführt, etwa im Hochbau. Und Banken fragen nach zirkulären Strategien – nicht aus Idealismus, sondern aus Gründen der Risikobewertung.
Patrick Suppiger, Geschäftsführer Betonsuisse, Bern
Rohstoffe als Risiko – und Chance
Nachhaltigkeit ist aber weit mehr als nur die Vermeidung von CO₂. Sie beginnt mit der Frage, was wir überhaupt meinen: Geht es nur um Emissionen? Oder auch um Aspekte wie Bodenschonung, soziale Gesichtspunkte, die Entwicklung von Quartieren und die Langlebigkeit von Gebäuden? Die pauschale Forderung «weniger bauen» greift zu kurz. Unsere Infrastruktur altert. Die Bevölkerung wächst. Der Bedarf an Wohnraum, Bildungsbauten und Energieinfrastruktur steigt. Wir müssen bauen – aber anders: mit Blick auf Langlebigkeit, Wandelbarkeit und Rückbaubarkeit.
Laut der Weltbank werden sich die globalen Abfallmengen bis zum Jahr 2050 fast verdoppeln. In der Schweiz verursacht die Bauwirtschaft einen grossen Teil des Abfalls. Gleichzeitig schlummern allein in Schweizer Gebäuden Millionen Tonnen wertvoller Materialien, vom Stahlträger bis zur Betondecke. Wer diese systematisch nutzt oder wieder in Verkehr bringt, spart Kosten und erschliesst neue Märkte. Doch obwohl dieses Potenzial brachliegt, verläuft die Umsetzung schleppend. Dabei fehlt es nicht an Technologie, sondern an entsprechenden Denkmustern. Die Wirtschaft ist nach wie vor zu stark auf lineare Effizienz ausgerichtet, nicht auf Rückführung und Mehrfachnutzung. Renditerechnungen orientieren sich am Projektende und nicht am gesamten Lebenszyklus.
Ein bewährtes Beispiel: Beton im Kreislauf
Betonrecycling ist heute Standard. Betonabbruch ist kein Abfall, sondern eine Ressource. Die Schweizer Betonindustrie zeigt, wie es geht: Sie verwertet nahezu 85 Prozent des anfallenden Betonabbruchs wieder – ob als neuen Beton, als Zusatzstoff oder innovatives Produkt in Dämmstoffen. Bemerkenswert ist, dass die Branche im europäischen Vergleich damit an der Spitze liegt. Zudem beginnt Kreislaufwirtschaft im Fall von Beton bereits viel früher. Schon mit der Verwertung von Abfällen als alternativen Brenn- und Rohstoffen bei der Zementherstellung, dem wichtigsten Bestandteil von Beton, wird ein wichtiger Beitrag zur Nachhaltigkeit geleistet.
Statt Beton zu kritisieren und abzulehnen, sollten wir ihn verantwortungsvoll einsetzen – und als Teil der Lösung denken. Gefragt sind Bauwerke, die dauerhaft bestehen – und sich zugleich flexibel an neue Anforderungen anpassen lassen.
Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft beginnen mit der Frage, welche Faktoren wir messen – und welche nicht. CO₂ ist ein wichtiger Aspekt, aber nicht der einzige. Ein langlebiges Tragwerk aus Beton, das ein Jahrhundert hält, schneidet ökologisch oft besser ab als eine Leichtbaukonstruktion mit kurzer Lebensdauer. Wer nur Emissionen zählt, blendet Faktoren wie Ressourcenschonung, Versorgungssicherheit, Nutzungsflexibilität, Rückbaukosten oder städtebauliche Qualität aus. Das ist gefährlich – gerade in einem urbanisierten Land wie der Schweiz.
Was Entscheider jetzt tun können
Kreislaufwirtschaft beginnt nicht beim Rückbau, sondern in der Chefetage. Also in Punkten wie der strategischen Planung, dem Einkauf oder der Projektentwicklung. Wichtig ist es, zuerst einmal die Zielkonflikte sichtbar zu machen. Was kurzfristig teuer erscheint, spart langfristig Kosten. Und die Berechnung der Lebenszykluskosten lohnt sich. Parallel gilt es, den Bestand strategisch zudenken: Ein wichtiger Hebel liegt im Erhalt und Weiterbauen. Wer bestehende Strukturen integriert, spart oft auch Primärressourcen. Und letztlich sollte recyceltes Material eingesetzt werden.
Dabei muss das grosse Ganze stets im Blick behalten werden, denn Kreislaufwirtschaft ist kein Selbstzweck. Sie muss wirtschaftlich tragfähig, technisch machbar und gestalterisch überzeugend sein. Gleiches gilt für Materialsysteme, die man zusammen denken sollte: Beton ist kein Gegenspieler von anderen Baustoffen. Kreislaufwirtschaft heisst auch: klug kombinieren, nicht polarisieren.
Es beginnt beim Menschen
Zirkularität beginnt im Kopf – und zeigt sich im Beton. Wer heute zirkulär plant, baut nicht nur nachhaltiger – sondern auch wirtschaftlich robuster. Die Betonindustrie steht bereit, ihren Beitrag zu leisten – pragmatisch, lösungsorientiert und im Dialog. Zirkularität ist kein Slogan, sondern beginnt beim Umbau des Denkens. Wer dieses Prinzip ernst nimmt, muss bereit sein, mit Zielkonflikten umzugehen – und mit den Materialien, die unsere gebaute Umwelt prägen. Beton gehört zwingend dazu.