Wer nicht früh genug plant, dem kann die Nachfolgeregelung eines Unternehmens schon mal Kopfzerbrechen oder schlaflose Nächte bereiten. Beim Corporate-Fashion-Produzent Metzler & Co. AG (Metzler Switzerland) ist die Stabübergabe an die vierte Generation gut über die Bühne gegangen, weil alle am gleichen Strick ziehen. Das Besondere dabei: Mit Alessia und Sandro Mastroberardino stehen an der Spitze des Unternehmens zwei Geschwister, die sogar Zwillinge sind.

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Die beiden Co-CEO sind Millennials und haben neue Ideen – aber den Familienbetrieb komplett umgestülpt haben sie trotzdem nicht. Dafür haben sie viel zu viel Respekt vor der Arbeit der früheren Generationen, die schon in das Unternehmen gesteckt wurde. Alessia Mastroberardino: «Es ist ein schönes Gefühl, ein Unternehmen zu führen, das über so viele Jahre im Familienbesitz war und ist.» So sei es ihnen möglich, vorgelebte Traditionen weiterzuführen, die für gewisse Werte stehen.

Die Werte bekamen sie schon während der Kindheit am Familientisch mit. Beide wählten jedoch zunächst berufliche Wege, die nichts mit dem Familienbetrieb zu tun hatten. Da Alessia Mastroberardino ihre ersten Berufserfahrungen im Banksektor sammelte, war es ein Quereinstieg, als sie 2009 bei Metzler anfing. Sie lernte «on the job» und ergänzte ihre Kenntnisse später berufsbegleitend mit einem Bachelor-Studium in Textilbusinessmanagement an der Textilfachschule Zürich.

Drei Jahre später entschied sich auch Sandro Mastroberardino, bei Metzler zu arbeiten. «Als meine Schwester und ich in die Firma einstiegen, wussten wir noch nicht, dass wir sie eines Tages übernehmen würden», blickt er zurück. Damals seien die Eltern noch weit vor der Pensionierung gestanden. «Die Freude und das Interesse am Arbeiten im Familienbetrieb sind mit der Zeit gewachsen.»

 

Fliessende Übernahme

Den Eltern und bisherigen Geschäftsführern Heidi und Tino Mastroberardino-Metzler war es wichtig, dass sich ihre Kinder in die verschiedenen Abteilungen einarbeiten. «So haben sie nicht nur das Textilbusiness von der Pike auf kennengelernt, sondern konnten sich auch mit internen Prozessabläufen vertraut machen», sagt Heidi Mastroberardino. Sie ist mit ihrem Mann heute noch maximal 50 Prozent im Unternehmen tätig, unter anderem in unterstützender und beratender Funktion. Einen harten Schnitt mit Schlüsselübergabe hat es nie gegeben.

«Wir haben schrittweise gewisse Verantwortungsbereiche an die Jungen übergeben und uns nach und nach aus der operativen Arbeit zurückgezogen», erklärt sie. Ihr und ihrem Mann lag in den vergangenen vierzig Jahren beispielsweise der direkte Kundenkontakt sehr am Herzen. Der sollte reibungs- und nahtlos weiterlaufen. Damit dies gelingt und die Kundinnen und Kunden auch zum neuen Führungsteam Vertrauen aufbauen konnten, liess sich Heidi Mastroberardino bei den Kundenbesuchen abwechslungsweise von ihrer Tochter oder ihrem Sohn begleiten.

Seit der Übernahme durch die Jungen im Jahr 2018 führen die Zwillinge die Tradition weiter, persönlich zur Kundschaft zu reisen. Sie schätzen es, dass sie seit Beginn stets Ansprechpartner haben, die ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen – insbesondere am Anfang und bis heute. Alessia Mastroberardino bezeichnet dies als «Win-win-Situation». Für Heidi und Tino Mastroberardino ist diese Art von Übergang ebenfalls optimal: «Wir haben nie Druck ausgeübt, dass die Kinder ins Geschäft kommen oder das Geschäft übernehmen.» Irgendwann sei es dann aber nötig gewesen, zu entscheiden, weil sie sonst einen anderen Weg hätten finden müssen.

 

Frischer Auftritt, neue Tools

Was macht das Zwillingsführungsteam nun anders? «Als Erstes modernisierten wir das Corporate-Fashion-Programm und investierten in einen neuen Online-Auftritt mit einem B2B- und einem B2C-Shop», blickt Sandro Mastroberardino zurück. Sie lagerten die IT aus, überarbeiteten und dokumentierten Prozessabläufe und das Kommunikationskonzept. Mit dem ganzen Team gibt es jetzt einmal im Monat eine Sitzung, in der man sich über laufende Projekte austauscht. Die Teamleiterinnen der Produktion in der Slowakei werden besser miteinbezogen. Und neue Zuschneideautomaten erleichtern den Produktionsmitarbeiterinnen die Arbeit.

«Als wir das Unternehmen übernahmen, hatten wir die zusätzliche Kapazität, ein paar Neuerungen einzuführen. Unsere Eltern waren im Tagesgeschäft absorbiert», ordnet Alessia Mastroberardino ein. Ihre Mutter betont, wie froh sie und ihr Mann waren, dass sie im Bereich IT und Finanzen auf das Know-how der nachrückenden Generation zurückgreifen konnten. Gab es nie Unstimmigkeiten aufgrund der neuen Ausrichtung? Es sei ganz normal, dass man nicht immer gleicher Meinung ist, erklärt die junge Geschäftsführerin. «Unterschiedliche Meinungen gab es sicher, aber es ging immer um die Sache, und wir gingen nie im Streit auseinander.»

«Wir haben nie Druck ausgeübt, dass die Kinder ins Geschäft kommen oder das Geschäft übernehmen.» Heidi Mastroberardino

 

Bei grösseren Investitionen wie etwa für die neue Webseite habe es gelegentlich eine gewisse Überzeugungsarbeit von Seiten der Jungen gebraucht, räumt Heidi Mastroberardino ein. Im Gespräch ist immer wieder eine grosse Wertschätzung zwischen den Generationen zu spüren. So lobt Sandro Mastroberardino das Logo von Metzler of Switzerland, das nach dem Rebranding im Jahr 2005 in einem zeitlosen Anthrazit gehalten ist: «Kompliment an meine Eltern für das Logo. Ich mache gerne neue Sachen, aber beim Logo war es nicht nötig.» Einzig das zweite Fashion-Label «Mastroberardino Uomo» wurde mit der Farbe Lime Green als Farbtupfer etwas aufgefrischt.

 

Mit der Zeit gehen

Apropos Grün: Wie hält es die neue Unternehmensleitung mit dem Thema Nachhaltigkeit? In den vergangenen fünf Jahren entschloss sich das Geschäftsführungsduo, die Firma mit dem Oeko-Tex®-Standard «Step» die ganze Wertschöpfungskette entlang zertifizieren zu lassen. «Diese Zertifikate sind heutzutage wichtig. Früher lebte man diese Werte einfach, heute muss man sie auf Papier bringen», erklärt Alessia Mastroberardino.

Auch was die Führungsarbeit anbelangt, hätten sich die Zeiten geändert, sagt ihr Bruder Sandro. Teamsitzungen finden heute stets mit Kaffee und Gipfeli statt. Die Bedürfnisse und die Ferienansprüche der Mitarbeitenden hätten sich gewandelt. So ging auch die neue Geschäftsleitung mit der Zeit und führte gleitende Arbeitszeiten und eine Du-Kultur in der ganzen Firma ein. Das wäre in den Jahren, als Heidi Mastroberardinos Vater die Geschäftsführung innehatte, noch nicht denkbar gewesen: «Mein Vater war der Patron, und was er sagte, wurde gemacht. Auch mein Mann und ich waren immer der Chef und die Chefin.»

«Als meine Schwester und ich in die Firma einstiegen, wussten wir noch nicht, dass wir sie eines Tages übernehmen würden.» Sandro Mastroberardino

 

Trotz flacherer Hierarchie gelingt es Alessia und Sandro Mastroberardino, dass sie als Führungsteam wahrgenommen werden. Die Tür zu ihrem Büro steht in Richtung Grossraumbüro immer offen. Die Mitarbeitenden nähmen die Kompetenzen von ihr und ihrem Bruder in ihrem Aufgabenbereich wahr, erklärt Alessia Mastroberardino: «Es braucht keinen Chef, der laut wird, um sich Respekt zu verschaffen. Wir leben vieles vor.» Der Co-Geschäftsführer ergänzt, dass die einzelnen Mitarbeitenden heute durch die digitalen Tools viel mehr Verantwortung tragen.

Als typische Millennials würden sich die beiden nicht bezeichnen, auch wenn sie im Jahr 1988 geboren wurden. Alessia Mastroberardino: «Man sagt von unserer Generation, dass sie alles hinterfragt. Das tun wir nicht, sondern wir leben gewisse Sachen weiter.» Bei der Nachhaltigkeit sei es ihnen aber wichtig, woher die Ware kommt und wie sie produziert wurde – und diese Information wollen sie auch transparent an die Kunden weitergeben. Ein grosser Vorteil an ihrer Generation sei, dass sie mit analogen und digitalen Tools aufgewachsen seien, betont Sandro Mastroberardino.

 

Die Verantwortung teilen

Während die bisherigen Geschäftsführer von den Jungen in Sachen IT einiges lernten, konnten diese von ihnen im Gegenzug ebenfalls einiges abschauen. Zum Beispiel, sich nicht auf den Lorbeeren auszuruhen, am Boden zu bleiben und immer nur diejenigen Schritte umzusetzen, die sie auch wirklich stemmen können. «Der Begriff ‹Gesund wachsen› wurde uns sozusagen schon als Baby eingeimpft», sagt die junge Geschäftsführerin.

Als Verantwortliche für die Finanzen behält Alessia Mastroberardino das Budget stets im Blick. Ihr Bruder Sandro ist für die Produktion verantwortlich und reisst gerne neue Projekte an. Die Kunden pflegen sie beide. So ergänzen sich die beiden Geschwister ideal. Doch wie funktioniert das überhaupt, als Bruder und Schwester gemeinsam ein Unternehmen zu führen? Es sei wichtig, dass beide klar getrennte Aufgabenbereiche haben. Alessia Mastroberardino bezeichnet es als «tolles Gefühl», zu wissen, dass sie die Verantwortung mit ihrem Zwillingsbruder teilen kann. Zumal die Verbindung von Zwillingen eine ganz besondere ist.

«Es braucht keinen Chef, der laut wird, um sich Respekt zu verschaffen. Wir leben vieles vor.» Alessia Mastroberardino

 

Nach der grössten derzeitigen Herausforderung für die Textilindustrie gefragt, antwortet Heidi Mastroberardino: «Die globale Konkurrenz.» Ihre Tochter doppelt nach: «Durch die Öffnung der Weltmärkte werden die Aufträge heute international ausgeschrieben.» Zudem habe in allen Belangen die Schnelligkeit zugenommen. Die Kundenbedürfnisse seien komplexer geworden, das Angebot mit den verschiedenen Passformen und Ausführungen ebenso. Mit seiner mittleren Grösse ist das Unternehmen gut aufgestellt, um ein einzelnes Masshemd oder tausend Stück für eine ganze Organisation zu produzieren. Das habe Vorteile, wie Alessia Mastroberardino festhält: «Insbesondere der asiatische Markt ist nur an grossen Mengen interessiert.» Künftig will Metzler Switzerland zudem das Produktsortiment erweitern.

Auch in Zukunft werden die Herausforderungen wohl nicht weniger werden, etwa was die Personalfrage angeht – der Fachkräftemangel lässt grüssen. Das Familienunternehmen Metzler wird sich den Herausforderungen der Zeit und des Marktes stellen müssen. Dass sie das Unternehmen übernommen haben, haben die Zwillinge nie bereut. Die Entscheidung fiel ihnen leichter, weil zuvor viel Aufbauarbeit geleistet wurde. Sandro Mastroberardino: «Wir konnten mit dem Unternehmen ein schön fahrendes Schiff übernehmen; das hat die Entscheidung vereinfacht, diesen Schritt zu machen.»

Schweizer Familienunternehmen

Metzler Switzerland ist ein auf Hemden spezialisiertes Textilunternehmen aus dem St. Galler Rheintal. Zu den Kunden gehören Firmen, Vereine, Verkehrsbetriebe, Polizeikorps und Private. Die 80 Mitarbeitenden – 20 in Balgach, 60 in der Slowakei – verarbeiten jährlich 375 000 m2 Stoff zu 150 000 Oberteilen. 1911 gegründet, ist das Traditionsunternehmen seit mehr als 100 Jahren in Familienbesitz und wird aktuell von der 4. Generation geführt. 

Dieser Artikel erschien am 12. Oktober 2023 im Lucerne Dialogue Magazine, der Zeitschrift der Dialogplattform Lucerne Dialogue. Deren Jahresanlass, das Annual Meeting, fand am 22. und 23. November 2023 im KKL statt.