Vornweg: Was ist gute Führung?
Gute Führung misst sich meist an der Zufriedenheit der Mitarbeitenden oder dem Erreichen von Unternehmenszielen. Entscheidend ist die Zufriedenheit, da die Mitarbeitenden mit ihrer Arbeit erst die Grundlage für das Erreichen der Ziele bilden.
Welche Schlüsselkompetenzen brauchen Führungskräfte heute, um zeitgemäss zu führen?
Aus der Forschung wissen wir, dass gute Führung durch bestimmte Verhaltensweisen geprägt ist. Dazu zählt, dass die Führungsperson als Vorbild wirkt, dessen Verhalten von Mitarbeitenden gerne imitiert wird. Der Führungsstil muss also in den persönlichen Werten verankert sein, da jede Abweichung die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen untergräbt. Wenn beispielsweise Diversität und Integration gepredigt wird, aber nur mit einer kleinen Gruppe interagiert wird, sinkt das Vertrauen der übrigen Mitarbeitenden.
Welche Rolle spielt dabei Dialogkompetenz?
Wichtige Elemente guter Führung sind zudem das Setzen hoher Standards und das Bereitstellen der notwendigen Mittel. Die moderne Führungskraft agiert weniger autoritär, sondern eher als Coach, der Mitarbeitende fördert und begleitet. Dabei sind Dialogbereitschaft und Kommunikationskompetenz zentral, denn Studien zeigen, dass Führungskräfte etwa 80 Prozent ihrer Zeit in sozialen Interaktionen verbringen.
Führung ist immer relational, basiert also trotz aller Technologie vor allem auf Vertrauen. Was bedeutet dies für Ausbildung und Auswahl von Führungspersonen?
Leadership-Training besteht grösstenteils aus Kommunikations- und Interaktionstraining: Wie löse ich Konflikte zwischen Mitarbeitenden? Wie gebe ich konstruktives Feedback und spreche dabei auch negative Punkte an? Wie verhandle ich erfolgreich und baue mein Netzwerk auf? Deshalb ist es wichtig, diese Fähigkeiten bei der Auswahl von Führungskräften zu testen. Vertrauen wächst, wenn Mitarbeitende sich auf ihre Führungskraft verlassen können, diese sich vorhersehbar verhält und faire, transparente Entscheidungen trifft.
Sie führen Experimente mit immersiven Realitäten durch. Wie nützlich sind solche Erfahrungen für die Führung im Alltag?
Berechtigte Frage! Für technologieaffine Personen, die keinen einfachen Zugang zu Führungstrainings haben, kann Virtual-Reality(VR)-Training sehr nützlich sein, je nachdem, was trainiert wird. Ein häufiges Szenario ist das Halten einer Rede vor einem virtuellen Publikum. Das ist für viele stressig, nicht nur für Führungskräfte, sondern auch für Studierende, und man wird nur besser, indem man sich der Herausforderung wiederholt stellt. VR bietet hier einen guten Zwischenschritt: weniger einschüchternd als ein echtes Publikum, aber stressiger als allein vor dem Spiegel. Für bestimmte Kompetenzen, wie das Sprechen vor Publikum, kann VR-Training sehr hilfreich sein.
Wie schafft eine moderne Führungskraft den Balanceakt zwischen traditioneller Autorität und mehr Partizipation sowie flachen Hierarchien?
Das Problem sind nicht die Hierarchien an sich. Hierarchien sind notwendig, weil jemand die Verantwortung für Entscheidungen übernehmen muss. Es wäre unvorstellbar, jede Entscheidung durch lange demokratische Diskussionen und Abstimmungen zu treffen, die oft von Machtkämpfen begleitet wären. Hierarchien weisen Verantwortung zu, was wichtig ist, um das Phänomen der Verantwortungsdiffusion zu vermeiden, bei dem sich niemand zuständig fühlt und nichts erledigt wird. Problematisch sind schlechte Führungskräfte an der Spitze der Hierarchien, die autoritär oder wenig kompetent sind. Die Lösung liegt darin, einen partizipativen Führungsstil zu entwickeln, nicht darin, Hierarchien abzuschaffen.
Zur Person
Marianne Schmid Mast ist ordentliche Professorin für Organisationsverhalten und Dekanin der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Lausanne (HEC Lausanne). Ihre Forschung konzentriert sich auf das zwischenmenschliche Verhalten am Arbeitsplatz und umfasst nonverbales Verhalten, den ersten Eindruck, Macht und Führung sowie Kommunikation. Sie wendet verschiedene Forschungsmethoden an, darunter immersive VR und von KI generierte Videos.
Marianne Schmid Mast engagiert sich zudem als Mitglied im Executive Committee des Lucerne Dialogue und als Expertin im Leadership Programme. Mehr dazu.
Wie können «einsame Wölfe» das Potenzial der Gen-Z-Mitarbeitenden nutzen, und was muss sich dafür ändern?
Unternehmen, die Führungskräfte haben, die Gen-Z-Mitarbeitende mobilisieren können, werden einen Wettbewerbsvorteil haben. Andere werden Schwierigkeiten haben, Nachwuchskräfte zu gewinnen. Firmen müssen daher bei der Auswahl von Führungskräften auf Kompetenzen wie Dialogbereitschaft, soziale Kompetenz, Gerechtigkeitssinn, transparente Führung und moralische Werte achten. Bei Defiziten in diesen Bereichen sollten Führungskräfte entsprechend ausgebildet werden.
Viele kritisieren Führungskräfte in Wirtschaft und Politik. Wie findet man Führungspersönlichkeiten, die alle fördern und nicht nur sich selbst?
Es ist schwierig, die richtigen Führungskräfte zu finden, weil wir oft von charismatischen, extrovertierten Personen beeindruckt sind, die ihre Ideen überzeugend präsentieren. Das kann sowohl positiv sein, wenn solche Personen gute Intentionen haben, als auch gefährlich, wenn sie schlechte Ideen verbreiten. Wir sollten deshalb mehr auf die tatsächlichen Leistungen einer Person achten, statt nur auf ihre Worte. Im Zeitalter von Fake News ist es jedoch besonders herausfordernd, echte von falschen Informationen zu unterscheiden.
Does power corrupt? Oder was bedeutet es, dass Top-Führungskräfte selten ehrliches Feedback bekommen?
Es gibt mehrere Mechanismen, die erklären, warum Machtpositionen oft ausgenutzt werden. Ein Grund dafür ist, dass Führungskräfte oft kein ehrliches Feedback erhalten. Die Forschung zeigt, dass sie Informationen, selbst von Experten, ignorieren können. Das grosse Problem korrupten Führens – und gleichzeitig ein Lösungsansatz – sind fehlende interne Regulierungsprozesse und Aufsichtsmechanismen der Boards. Dennoch sind die meisten Führungskräfte nicht korrupt – sie stehen nur selten im Fokus der Aufmerksamkeit.
Dieser Artikel erschien am 10. Oktober 2024 im Lucerne Dialogue Magazine, der Zeitschrift der Dialogplattform Lucerne Dialogue.