Die Bausteine waren schuld und ein nicht gehaltenes Versprechen. Kurz nach seiner Geburt 1949 im südfranzösischen Grasse zügelte Jean Claude Gandurs Familie nach Alexandria. Ein Jahrzehnt später sah sie sich durch die politischen Entwicklungen Ägyptens unter Präsident Gamal Abdel Nasser und den zunehmenden Nationalismus der Gesellschaft zur Rückkehr nach Europa veranlasst. Die Übersiedlung von Ägypten in die Schweiz kosteten den zwölfjährigen Jean Claude Gandur so gut wie alle seine Besitztümer. Die Eltern stellten in Aussicht, dass das Kind am Ziel der Reise seine geliebten Minibrix-Bausteine wieder antreffen würde, doch diese Hoffnung wurde enttäuscht. Gandur nahm sich vor, im Laufe seines Lebens eine Sammlung aufzubauen, welche die Fülle und den Reichtum der verlorenen Schätze reflektieren würde.
Die erste Bekanntschaft mit dem Sammeltrieb machte Jean Claude Gandur durch ein Buchstabenrätsel in den Dichtungen von Coca-Cola-Flaschen. «Viele Verwandte schenkten mir diese Flaschen», denn wie immer war es schwierig, alle notwendigen Buchstaben zusammenzutragen. Bald wurden diese Flaschensiegel ersetzt durch kleine ägyptische Ausgrabungen, sozusagen historische, echte Siegel, «allerdings grossteilig zerbrochen».
Zum wirklichen Sammler machte ihn jedoch ein Pariser Kunsthändler. Der dreissigjährige Jean Claude Gandur spazierte mit seiner späteren Frau durch das Pariser Viertel Louvre des Antiquaires. Als sie in einem Schaufenster eine antike Statue des Ganymed betrachteten, kam der Händler heraus und begann eine Unterhaltung über das Stück. Ein Ankauf war aus finanziellen Gründen nicht möglich, aber der Händler übergab das Stück, sagte, er vertraue den Herrschaften, und sie sollten zahlen, wann immer es ihnen möglich sei. Eine erstklassige Strategie, die François Antonovich für die kommenden Jahrzehnte zu einem engen Berater des Sammlers machte – schliesslich verfügte Jean Claude Gandur als Gründer eines der global führenden Öl- und Gasunternehmen über steigende Einkünfte.
Professionelle Berater als Kontrollhilfe
Schon seine Grosseltern haben gesammelt – «nicht professionell», wie er einräumt, «aber ihre Interieurs waren mit Kunst gefüllt». Diese Mischung aus klassischen Antiquitäten, bildender Kunst, Skulpturen und Asiatica haben Jean Claude Gandur inspiriert; sein Sammlungsbestand bewegt sich in diesen Gebieten.
In den 1990er-Jahren verlagerte sich sein Fokus auf Gemälde der Nachkriegszeit, später kam die Kunst des Mittelalters und der Renaissance dazu. Erst unlängst addierte Jean Claude Gandur zeitgenössische afrikanische Kunst zu seinem Portfolio. «Ich habe allerdings nie ein Stück altafrikanischer Kunst erworben, vor allem aus Angst vor den zahlreichen Fälschungen, die wohl schon immer im Umlauf waren.»
Die aktuelle Diskussion um die Rückgabe afrikanischer Artefakte, die in kolonialen Zusammenhängen geraubt wurden, verfolgt er daher mit professionellem Interesse, als Sammler lässt ihn diese Entwicklung aber kalt. Jedoch reduzierte er aufgrund der Sorge, durch seine Sammelleidenschaft Terrorismus im Nahen Osten zu finanzieren, entsprechende Ankäufe merklich: «Seit über zehn Jahren habe ich kein Werk aus dieser Region mehr angekauft.» Seither engagiert sich Jean Claude Gandur in der «Alliance for the Protection of Heritage in Conflict» (Aliph), als deren Chair er gegenwärtig fungiert. Die Fondation Gandur pour l’Art ist zudem vom International Council of Museums (Icom) als Mitglied kooptiert. «Nicht viele private Stiftungen geniessen dieses Privileg», freut sich der Sammler, denn man kann sich nicht um eine Mitgliedschaft bewerben, sondern wird von der Icom ausgewählt. Dementsprechend legt er bei europäischen oder ägyptischen Antiken grossen Wert darauf, die Provenienzen bis wenigstens 1970 zurückverfolgen zu können. Vor allem in diesen Sammelgebieten war Jean Claude Gandur froh, sich auf seinen erfahrenen Berater verlassen zu können. «Man ist weniger dazu verführt, aus intransparenten Quellen zu kaufen, wenn man strikte Auswahlkriterien hat, deren Einhaltung von einem externen Berater überprüft werden!»
In einer Stiftung über das Lebensende hinaus
Die klassische Nachkriegskunst hatte ihn zu den Wurzeln seines Sammelns zurückgeführt, denn er erstand eine Arbeit von César, die aus Kronkorken zusammengestellt war. «Ich verstand plötzlich, dass diese Werke aus der Nachkriegszeit Kunst meiner Zeit waren – und was meine Familie an der Wand hatte, war es nicht.» Auslöser dieser Erkenntnis waren die Gemälde der portugiesischen Malerin Maria Helena Vieira da Silva (1908–1992), die er daher bis heute zu seinen Lieblingen zählt. In den 1990er-Jahren ermöglichten ihm der wirtschaftliche Erfolg seiner Unternehmen sowie eine Baisse auf den Kunstmärkten umfangreiche Erwerbungen. «Im zwanzigsten Jahrhundert mussten alle nach Paris kommen, um malen zu können»: Im Zentrum dieses beispielhaften Sammlungskapitels bewegt sich die École de Paris, bestehend aus französischen Künstlerinnen und Künstlern sowie aus Ausländern, die zwischen 1940 und 1970 in Paris arbeiteten. «Ich fand es immer faszinierend, wie der Zweite Weltkrieg diejenigen Künstler beeinflusst und geprägt hat, die seine Schrecken erleben mussten.»
Die zweite Schule von Paris
«Ich bin nur der Kreateur meiner Sammlung, nicht ihr Eigentümer.» Das stimmt im philosophischen Sinn, im Fall von Jean Claude Gandur aber auch im juristischen, da er alle seine rund 3500 Kunstwerke einer Stiftung übertragen hat. Denn eines Tages müsse man sich entscheiden, ob man die Sammlung über die eigene Lebenszeit hinaus erhalten wolle oder ob man die Aussicht auf einen Nachlassverkauf akzeptiere. «Für mich bedeutet der Begriff Sammlung, dass eine Gruppe von Werken zusammengetragen und dauerhaft bewahrt wird – warum sollte man diese Idee an die Lebenszeit der Sammler binden?» Vor allem die Antikensammlung ist ein Kommunikationsinstrument; sie kann im musealen Kontext zeigen, wie Europa kreiert wurde, wie sich die alten Religionen voneinander unterscheiden, dass kulturelle Entwicklungen, Menschheitsgeschichte, nicht an politischen Grenzen haltmacht – «eine wichtige Botschaft in unserer heutigen Welt!», sagt Gandur. Seit 2011 gehen für diese Vermittlungsarbeit jährlich unzählige Leihgaben in alle Welt. Aktuell nach Brüssel, wo die Boghossian Foundation und die Fondation Gandur pour l’Art gemeinsam Kunst – von der Antike bis zur Zeitgenossenschaft – mit Afrika-Bezug präsentieren («Timeless Gazes: From Pharaohs to the Present Day», noch bis 7. September 2025).
Dieser Artikel ist im Millionär, einem Magazin der Handelszeitung, erschienen (Juni 2025).